Jn der That aber scheint es nur so. Denn so oft es der Reflexion möglich wird, zu urtheilen, daß z. B. ein Körper von der Gestalt wie ein Baumblatt, nur zufäl- lig die grüne Farbe besitze, so oft wird es auch der Vor- stellungskraft möglich, das Bild des Körpers und das Bild von der Farbe von einander zu trennen, wenn sie mit Fleiß auf diese Arbeit gerichtet wird. Wer sollte sich nicht Baumblätter mit jedweder Farbe einbilden können, auch ohne daß man gelbe und röthliche gesehen habe? So lange man zwey Vorstellungen nicht aus- einander setzen, und abgesondert haben kann, so lange ist die Reflexion gezwungen, beide für einerley oder doch für nothwendig verknüpft zu erklären. Wenn zwey Jdeen unterschieden werden sollen, so müssen sie, wenigstens so lange der Aktus des Vergleichens dauert, in so weit von einander getrennet seyn, daß die Eine ausnehmend gefühlt werde, und gerade in der Axe der Aufmerksam- keit gestellet sey, wenn die andere nur zur Seite lieget.
So ist es also offenbar, daß die Beziehungen der Vorstellungen, die zu dem Aktus des Denkens erfo- dert werden, nichts anders sind, als Thätigkeiten der vorstellenden Kraft, die nur mit den Vorstellungen sich beschäftiget, diese mehr und besser ausdrucket, beson- ders stellet, auszeichnet, verbindet, ordnet, abwechselt. Eine erhöhete, verfeinerte Vorstellungskraft ist also die- selbige gleichartige Kraft, von der die Beziehungen der Vorstellungen, und also Eins der wesentlichen Stücke des Denkens abhangen.
IV. Andere
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des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
Jn der That aber ſcheint es nur ſo. Denn ſo oft es der Reflexion moͤglich wird, zu urtheilen, daß z. B. ein Koͤrper von der Geſtalt wie ein Baumblatt, nur zufaͤl- lig die gruͤne Farbe beſitze, ſo oft wird es auch der Vor- ſtellungskraft moͤglich, das Bild des Koͤrpers und das Bild von der Farbe von einander zu trennen, wenn ſie mit Fleiß auf dieſe Arbeit gerichtet wird. Wer ſollte ſich nicht Baumblaͤtter mit jedweder Farbe einbilden koͤnnen, auch ohne daß man gelbe und roͤthliche geſehen habe? So lange man zwey Vorſtellungen nicht aus- einander ſetzen, und abgeſondert haben kann, ſo lange iſt die Reflexion gezwungen, beide fuͤr einerley oder doch fuͤr nothwendig verknuͤpft zu erklaͤren. Wenn zwey Jdeen unterſchieden werden ſollen, ſo muͤſſen ſie, wenigſtens ſo lange der Aktus des Vergleichens dauert, in ſo weit von einander getrennet ſeyn, daß die Eine ausnehmend gefuͤhlt werde, und gerade in der Axe der Aufmerkſam- keit geſtellet ſey, wenn die andere nur zur Seite lieget.
So iſt es alſo offenbar, daß die Beziehungen der Vorſtellungen, die zu dem Aktus des Denkens erfo- dert werden, nichts anders ſind, als Thaͤtigkeiten der vorſtellenden Kraft, die nur mit den Vorſtellungen ſich beſchaͤftiget, dieſe mehr und beſſer ausdrucket, beſon- ders ſtellet, auszeichnet, verbindet, ordnet, abwechſelt. Eine erhoͤhete, verfeinerte Vorſtellungskraft iſt alſo die- ſelbige gleichartige Kraft, von der die Beziehungen der Vorſtellungen, und alſo Eins der weſentlichen Stuͤcke des Denkens abhangen.
IV. Andere
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des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
Jn der That aber ſcheint es nur ſo. Denn ſo oft es der
Reflexion moͤglich wird, zu urtheilen, daß z. B. ein
Koͤrper von der Geſtalt wie ein Baumblatt, nur zufaͤl-
lig die gruͤne Farbe beſitze, ſo oft wird es auch der Vor-
ſtellungskraft moͤglich, das Bild des Koͤrpers und das
Bild von der Farbe von einander zu trennen, wenn ſie
mit Fleiß auf dieſe Arbeit gerichtet wird. Wer ſollte
ſich nicht Baumblaͤtter mit jedweder Farbe einbilden
koͤnnen, auch ohne daß man gelbe und roͤthliche geſehen
habe? So lange man zwey Vorſtellungen nicht aus-
einander ſetzen, und abgeſondert haben kann, ſo lange iſt
die Reflexion gezwungen, beide fuͤr einerley oder doch fuͤr
nothwendig verknuͤpft zu erklaͤren. Wenn zwey Jdeen
unterſchieden werden ſollen, ſo muͤſſen ſie, wenigſtens
ſo lange der Aktus des Vergleichens dauert, in ſo weit
von einander getrennet ſeyn, daß die Eine ausnehmend
gefuͤhlt werde, und gerade in der Axe der Aufmerkſam-
keit geſtellet ſey, wenn die andere nur zur Seite lieget.
So iſt es alſo offenbar, daß die Beziehungen der
Vorſtellungen, die zu dem Aktus des Denkens erfo-
dert werden, nichts anders ſind, als Thaͤtigkeiten der
vorſtellenden Kraft, die nur mit den Vorſtellungen
ſich beſchaͤftiget, dieſe mehr und beſſer ausdrucket, beſon-
ders ſtellet, auszeichnet, verbindet, ordnet, abwechſelt.
Eine erhoͤhete, verfeinerte Vorſtellungskraft iſt alſo die-
ſelbige gleichartige Kraft, von der die Beziehungen der
Vorſtellungen, und alſo Eins der weſentlichen Stuͤcke
des Denkens abhangen.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/657>, abgerufen am 22.12.2024.
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