Je mehr die zuerst aufgenommene Veränderungen oder Empfindungen zu Vorstellungen geworden sind, und je selbstthätiger wir sie als Vorstellungen wieder erwecken, verbinden und trennen, und in gewisse Stellungen in uns bringen können, desto leichter urtheilen wir über sie, und desto mehrere Verhältnisse und Beziehungen erken- nen wir in ihnen.
Das höhere Denken erfodert allgemeine Bilder. Diese befassen wenigere und schwächere Züge in sich, als die Empfindungsvorstellungen, von denen sie der feinste Auszug sind. Sie machen die Gegenstände und die Materie aus, welche die höhere Vernunft bearbeitet, wenn sie allgemeine Verhältnisse ausforschet, die unsere eingeschränkte Kraft nur alsdenn deutlich zu bemerken vermögend wird, wenn sie das Aehnliche und Allgemei- ne in den absoluten Beschaffenheiten der Dinge abson- dert, und es abgesondert in sich gegenwärtig erhalten kann. Die sinnlichen Bilder von einzelnen Dingen sind viel zu stark und zu reichhaltig, um von der Eigenmacht der Seele in so mancherley Stellungen und Verbindun- gen gebracht, und so selbstthätig bearbeitet zu werden, als zur Bemerkung allgemeiner Verhältnisse und Beziehun- gen erfodert wird.
Ferner. Alle allgemeine Denkungsgesetze, wonach die Denkkraft Verhältnisse und Beziehungen noth- wendig denken muß, entsprechen gewissen ähnlichen Ge- setzen der Vorstellungskraft, nach welchen diese ihre Bilder bearbeiten muß. Zum Exempel:
Jene kann nicht zugleich denken und auch nicht den- ken. Aber eben so wenig kann diese zugleich eine Vor- stellung haben, und nicht haben.
Die Denkkraft urtheilt über die ursachliche Bezie- hung. Aber welche Dinge hält sie nothwendig für ab- hängig von einander, und warum hält sie solche dafür? darum, weil die Vorstellungen dieser Gegenstände in
der
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des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
Je mehr die zuerſt aufgenommene Veraͤnderungen oder Empfindungen zu Vorſtellungen geworden ſind, und je ſelbſtthaͤtiger wir ſie als Vorſtellungen wieder erwecken, verbinden und trennen, und in gewiſſe Stellungen in uns bringen koͤnnen, deſto leichter urtheilen wir uͤber ſie, und deſto mehrere Verhaͤltniſſe und Beziehungen erken- nen wir in ihnen.
Das hoͤhere Denken erfodert allgemeine Bilder. Dieſe befaſſen wenigere und ſchwaͤchere Zuͤge in ſich, als die Empfindungsvorſtellungen, von denen ſie der feinſte Auszug ſind. Sie machen die Gegenſtaͤnde und die Materie aus, welche die hoͤhere Vernunft bearbeitet, wenn ſie allgemeine Verhaͤltniſſe ausforſchet, die unſere eingeſchraͤnkte Kraft nur alsdenn deutlich zu bemerken vermoͤgend wird, wenn ſie das Aehnliche und Allgemei- ne in den abſoluten Beſchaffenheiten der Dinge abſon- dert, und es abgeſondert in ſich gegenwaͤrtig erhalten kann. Die ſinnlichen Bilder von einzelnen Dingen ſind viel zu ſtark und zu reichhaltig, um von der Eigenmacht der Seele in ſo mancherley Stellungen und Verbindun- gen gebracht, und ſo ſelbſtthaͤtig bearbeitet zu werden, als zur Bemerkung allgemeiner Verhaͤltniſſe und Beziehun- gen erfodert wird.
Ferner. Alle allgemeine Denkungsgeſetze, wonach die Denkkraft Verhaͤltniſſe und Beziehungen noth- wendig denken muß, entſprechen gewiſſen aͤhnlichen Ge- ſetzen der Vorſtellungskraft, nach welchen dieſe ihre Bilder bearbeiten muß. Zum Exempel:
Jene kann nicht zugleich denken und auch nicht den- ken. Aber eben ſo wenig kann dieſe zugleich eine Vor- ſtellung haben, und nicht haben.
Die Denkkraft urtheilt uͤber die urſachliche Bezie- hung. Aber welche Dinge haͤlt ſie nothwendig fuͤr ab- haͤngig von einander, und warum haͤlt ſie ſolche dafuͤr? darum, weil die Vorſtellungen dieſer Gegenſtaͤnde in
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des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
Je mehr die zuerſt aufgenommene Veraͤnderungen oder
Empfindungen zu Vorſtellungen geworden ſind, und je
ſelbſtthaͤtiger wir ſie als Vorſtellungen wieder erwecken,
verbinden und trennen, und in gewiſſe Stellungen in
uns bringen koͤnnen, deſto leichter urtheilen wir uͤber ſie,
und deſto mehrere Verhaͤltniſſe und Beziehungen erken-
nen wir in ihnen.
Das hoͤhere Denken erfodert allgemeine Bilder.
Dieſe befaſſen wenigere und ſchwaͤchere Zuͤge in ſich, als
die Empfindungsvorſtellungen, von denen ſie der feinſte
Auszug ſind. Sie machen die Gegenſtaͤnde und die
Materie aus, welche die hoͤhere Vernunft bearbeitet,
wenn ſie allgemeine Verhaͤltniſſe ausforſchet, die unſere
eingeſchraͤnkte Kraft nur alsdenn deutlich zu bemerken
vermoͤgend wird, wenn ſie das Aehnliche und Allgemei-
ne in den abſoluten Beſchaffenheiten der Dinge abſon-
dert, und es abgeſondert in ſich gegenwaͤrtig erhalten
kann. Die ſinnlichen Bilder von einzelnen Dingen ſind
viel zu ſtark und zu reichhaltig, um von der Eigenmacht
der Seele in ſo mancherley Stellungen und Verbindun-
gen gebracht, und ſo ſelbſtthaͤtig bearbeitet zu werden, als
zur Bemerkung allgemeiner Verhaͤltniſſe und Beziehun-
gen erfodert wird.
Ferner. Alle allgemeine Denkungsgeſetze, wonach
die Denkkraft Verhaͤltniſſe und Beziehungen noth-
wendig denken muß, entſprechen gewiſſen aͤhnlichen Ge-
ſetzen der Vorſtellungskraft, nach welchen dieſe ihre
Bilder bearbeiten muß. Zum Exempel:
Jene kann nicht zugleich denken und auch nicht den-
ken. Aber eben ſo wenig kann dieſe zugleich eine Vor-
ſtellung haben, und nicht haben.
Die Denkkraft urtheilt uͤber die urſachliche Bezie-
hung. Aber welche Dinge haͤlt ſie nothwendig fuͤr ab-
haͤngig von einander, und warum haͤlt ſie ſolche dafuͤr?
darum, weil die Vorſtellungen dieſer Gegenſtaͤnde in
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/655>, abgerufen am 22.11.2024.
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