aber sie gehen von selbst hervor, und werden dann, wenn die Empfindungen reizen, dem wirksamen Princip der Seele mehr abgezwungen, als daß es sich selbst aus in- nerer Eigenmacht zu solchen Aeußerungen bestimmen sollte. Die höhern Aktus der Vernunft sind dagegen mehr geflissentliche, und mehr selbstthätige Handlungen, selbstthätige nemlich auch darum, weil die Denkkraft sie nicht nur vornimmt, sondern sich auch mehr mit Selbstthätigkeit bestimmt, so zu wirken, und mehr mit Anstrengung sich in dieser ihrer Wirksamkeit erhalten muß. Der gemeine Verstand wirket instinktartig, und ohne Bewußtseyn seiner Aktion; aber die höhere Ver- nunft arbeitet mehr mit Bewußtseyn ihres Verfahrens, und nach Plan und Absichten; freyer und mit mehrerer Gewalt über sich selbst. Was ist also Verstand und Vernunft, und die höhere Erkenntnißkraft anders als die zu einem höhern Grad der Selbstthätigkeit gebrachte Denkkraft?
Neunter
der hoͤhern Kenntniſſe ⁊c.
aber ſie gehen von ſelbſt hervor, und werden dann, wenn die Empfindungen reizen, dem wirkſamen Princip der Seele mehr abgezwungen, als daß es ſich ſelbſt aus in- nerer Eigenmacht zu ſolchen Aeußerungen beſtimmen ſollte. Die hoͤhern Aktus der Vernunft ſind dagegen mehr gefliſſentliche, und mehr ſelbſtthaͤtige Handlungen, ſelbſtthaͤtige nemlich auch darum, weil die Denkkraft ſie nicht nur vornimmt, ſondern ſich auch mehr mit Selbſtthaͤtigkeit beſtimmt, ſo zu wirken, und mehr mit Anſtrengung ſich in dieſer ihrer Wirkſamkeit erhalten muß. Der gemeine Verſtand wirket inſtinktartig, und ohne Bewußtſeyn ſeiner Aktion; aber die hoͤhere Ver- nunft arbeitet mehr mit Bewußtſeyn ihres Verfahrens, und nach Plan und Abſichten; freyer und mit mehrerer Gewalt uͤber ſich ſelbſt. Was iſt alſo Verſtand und Vernunft, und die hoͤhere Erkenntnißkraft anders als die zu einem hoͤhern Grad der Selbſtthaͤtigkeit gebrachte Denkkraft?
Neunter
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0649"n="589"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der hoͤhern Kenntniſſe ⁊c.</hi></fw><lb/>
aber ſie gehen von ſelbſt hervor, und werden dann, wenn<lb/>
die Empfindungen reizen, dem wirkſamen Princip der<lb/>
Seele mehr abgezwungen, als daß es ſich ſelbſt aus in-<lb/>
nerer Eigenmacht zu ſolchen Aeußerungen beſtimmen<lb/>ſollte. Die hoͤhern Aktus der Vernunft ſind dagegen<lb/>
mehr gefliſſentliche, und mehr ſelbſtthaͤtige Handlungen,<lb/><hirendition="#fr">ſelbſtthaͤtige</hi> nemlich auch <hirendition="#fr">darum,</hi> weil die Denkkraft<lb/>ſie nicht nur vornimmt, ſondern ſich auch mehr mit<lb/>
Selbſtthaͤtigkeit beſtimmt, ſo zu wirken, und mehr mit<lb/>
Anſtrengung ſich in dieſer ihrer Wirkſamkeit erhalten<lb/>
muß. Der gemeine Verſtand wirket inſtinktartig, und<lb/>
ohne Bewußtſeyn ſeiner Aktion; aber die hoͤhere Ver-<lb/>
nunft arbeitet mehr mit Bewußtſeyn ihres Verfahrens,<lb/>
und nach Plan und Abſichten; freyer und mit mehrerer<lb/>
Gewalt uͤber ſich ſelbſt. Was iſt alſo Verſtand und<lb/>
Vernunft, und die hoͤhere Erkenntnißkraft anders als<lb/>
die zu einem hoͤhern Grad der Selbſtthaͤtigkeit gebrachte<lb/>
Denkkraft?</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Neunter</fw><lb/></body></text></TEI>
[589/0649]
der hoͤhern Kenntniſſe ⁊c.
aber ſie gehen von ſelbſt hervor, und werden dann, wenn
die Empfindungen reizen, dem wirkſamen Princip der
Seele mehr abgezwungen, als daß es ſich ſelbſt aus in-
nerer Eigenmacht zu ſolchen Aeußerungen beſtimmen
ſollte. Die hoͤhern Aktus der Vernunft ſind dagegen
mehr gefliſſentliche, und mehr ſelbſtthaͤtige Handlungen,
ſelbſtthaͤtige nemlich auch darum, weil die Denkkraft
ſie nicht nur vornimmt, ſondern ſich auch mehr mit
Selbſtthaͤtigkeit beſtimmt, ſo zu wirken, und mehr mit
Anſtrengung ſich in dieſer ihrer Wirkſamkeit erhalten
muß. Der gemeine Verſtand wirket inſtinktartig, und
ohne Bewußtſeyn ſeiner Aktion; aber die hoͤhere Ver-
nunft arbeitet mehr mit Bewußtſeyn ihres Verfahrens,
und nach Plan und Abſichten; freyer und mit mehrerer
Gewalt uͤber ſich ſelbſt. Was iſt alſo Verſtand und
Vernunft, und die hoͤhere Erkenntnißkraft anders als
die zu einem hoͤhern Grad der Selbſtthaͤtigkeit gebrachte
Denkkraft?
Neunter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/649>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.