Einer Quelle entspringen, weil wir da, wo keine Ver- schiedenheit in den Umständen wahrgenommen wird, die einen Einfluß auf die Jmpression haben, annehmen, daß dergleichen auch nicht vorhanden sey. Alsdenn müssen wir unsere Jmpressionen für entsprechende Zeichen der Objekte ansehen. Wir lernen mit der Zeit, durch die Vergleichung der Empfindungen, diese einfließende Ur- sachen kennen, und berichtigen unsere Urtheile, wenn wir etwan dergleichen vorher schon gefället hatten; denn die mehresten kommen in der Schule der Natur nicht ehe zu ihrer Reife, als bis sie zugleich auch schon berichtiget worden sind.
Jn der gemeinen Jdee von der Realität unserer Vorstellungen lieget aber noch ein anderer Nebenzug. Wir rechnen die Jmpressionen, so wie sie bey uns sind, mit zu dem, was objektivisch in ihnen ist, und setzen voraus, daß diese bey allen empfindenden Wesen die- selbigen sind. Doch haben wir die Meinung nicht von allen Arten von Eindrücken. Wir wählen diejenigen von ihnen aus, die wir unter den gewöhnlichsten Umständen erlangen. Der gemeine Verstand argwohnet es nicht, daß seine innere Modifikation von der rothen Farbe nicht eben dieselbige seyn sollte, die alle Menschen haben, und so lange wir nur bey Menschen bleiben, irret er auch wohl nicht sehr. Darum sieht er die rothe Farbe nicht blos für etwas Eigenes an, das von andern Farben unter- schieden ist, sondern glaubet auch, sie werde denselbigen Eindruck nothwendig auf jedes Auge bewirken müssen. Der gewöhnlichste, beständigste Schein ist für ihn ganz und gar Realität. Hierinn berichtiget die Vernunft den gemeinen Verstand, und lehret, daß das Objektivische sich nirgends weiter als auf die Ver- hältnisse der Eindrücke erstrecken könne, und schränket von dieser Seite die gemeine Vorstellung etwas ein.
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
Einer Quelle entſpringen, weil wir da, wo keine Ver- ſchiedenheit in den Umſtaͤnden wahrgenommen wird, die einen Einfluß auf die Jmpreſſion haben, annehmen, daß dergleichen auch nicht vorhanden ſey. Alsdenn muͤſſen wir unſere Jmpreſſionen fuͤr entſprechende Zeichen der Objekte anſehen. Wir lernen mit der Zeit, durch die Vergleichung der Empfindungen, dieſe einfließende Ur- ſachen kennen, und berichtigen unſere Urtheile, wenn wir etwan dergleichen vorher ſchon gefaͤllet hatten; denn die mehreſten kommen in der Schule der Natur nicht ehe zu ihrer Reife, als bis ſie zugleich auch ſchon berichtiget worden ſind.
Jn der gemeinen Jdee von der Realitaͤt unſerer Vorſtellungen lieget aber noch ein anderer Nebenzug. Wir rechnen die Jmpreſſionen, ſo wie ſie bey uns ſind, mit zu dem, was objektiviſch in ihnen iſt, und ſetzen voraus, daß dieſe bey allen empfindenden Weſen die- ſelbigen ſind. Doch haben wir die Meinung nicht von allen Arten von Eindruͤcken. Wir waͤhlen diejenigen von ihnen aus, die wir unter den gewoͤhnlichſten Umſtaͤnden erlangen. Der gemeine Verſtand argwohnet es nicht, daß ſeine innere Modifikation von der rothen Farbe nicht eben dieſelbige ſeyn ſollte, die alle Menſchen haben, und ſo lange wir nur bey Menſchen bleiben, irret er auch wohl nicht ſehr. Darum ſieht er die rothe Farbe nicht blos fuͤr etwas Eigenes an, das von andern Farben unter- ſchieden iſt, ſondern glaubet auch, ſie werde denſelbigen Eindruck nothwendig auf jedes Auge bewirken muͤſſen. Der gewoͤhnlichſte, beſtaͤndigſte Schein iſt fuͤr ihn ganz und gar Realitaͤt. Hierinn berichtiget die Vernunft den gemeinen Verſtand, und lehret, daß das Objektiviſche ſich nirgends weiter als auf die Ver- haͤltniſſe der Eindruͤcke erſtrecken koͤnne, und ſchraͤnket von dieſer Seite die gemeine Vorſtellung etwas ein.
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
Einer Quelle entſpringen, weil wir da, wo keine Ver-
ſchiedenheit in den Umſtaͤnden wahrgenommen wird, die
einen Einfluß auf die Jmpreſſion haben, annehmen, daß
dergleichen auch nicht vorhanden ſey. Alsdenn muͤſſen
wir unſere Jmpreſſionen fuͤr entſprechende Zeichen der
Objekte anſehen. Wir lernen mit der Zeit, durch die
Vergleichung der Empfindungen, dieſe einfließende Ur-
ſachen kennen, und berichtigen unſere Urtheile, wenn wir
etwan dergleichen vorher ſchon gefaͤllet hatten; denn die
mehreſten kommen in der Schule der Natur nicht ehe zu
ihrer Reife, als bis ſie zugleich auch ſchon berichtiget
worden ſind.
Jn der gemeinen Jdee von der Realitaͤt unſerer
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Wir rechnen die Jmpreſſionen, ſo wie ſie bey uns ſind,
mit zu dem, was objektiviſch in ihnen iſt, und ſetzen
voraus, daß dieſe bey allen empfindenden Weſen die-
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allen Arten von Eindruͤcken. Wir waͤhlen diejenigen von
ihnen aus, die wir unter den gewoͤhnlichſten Umſtaͤnden
erlangen. Der gemeine Verſtand argwohnet es nicht,
daß ſeine innere Modifikation von der rothen Farbe nicht
eben dieſelbige ſeyn ſollte, die alle Menſchen haben, und
ſo lange wir nur bey Menſchen bleiben, irret er auch wohl
nicht ſehr. Darum ſieht er die rothe Farbe nicht blos
fuͤr etwas Eigenes an, das von andern Farben unter-
ſchieden iſt, ſondern glaubet auch, ſie werde denſelbigen
Eindruck nothwendig auf jedes Auge bewirken muͤſſen.
Der gewoͤhnlichſte, beſtaͤndigſte Schein iſt fuͤr
ihn ganz und gar Realitaͤt. Hierinn berichtiget
die Vernunft den gemeinen Verſtand, und lehret, daß
das Objektiviſche ſich nirgends weiter als auf die Ver-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/621>, abgerufen am 24.11.2024.
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