muß einen andern unabhängig von den Gegenständen, auf die äußern Wirkungen und Ausbrüche der Affektion selbst aufmerksam machen. Jndessen giebt es ganz ge- wiß Gegenstände, deren Eindruck bey allen gleiche Wir- kung hat, und solche kann man gebrauchen, um einem andern die Jdee von ihrer Wirkung abstrahiren zu las- sen. Nur wird die allgemeine Jdee auch hier nicht so wohl von der Aehnlichkeit in den Ursachen, als von der Aehnlichkeit in den Wirkungen solcher Jmpressionen ab- strahiret werden. Dieß hindert gleichwohl nicht, daß die Gemeinbegriffe von dem was Angenehm ist oder Un- angenehm, in verschiedenen Menschen sich nicht eben so auf einander beziehen sollten, als ihre Gemeinbilder von der weißen und schwarzen Farbe. Die weiße Farbe ist bey jedwedem eine Farbe, wie die ist, welche in dem Schnee und der Kreide empfunden wird. Angenehm ist bey jedem dasjenige, was ihn lebhafter macht, was den Umlauf des Geblüts befördert, was ihn zum Singen und Springen bringet, und überhaupt sich so äußert, wie bey andern.
Kommt es nun aber zu den Urtheilen über einzelne Gegenstände, die aus der Vergleichung der besondern Eindrücke von diesen mit jenen Abstraktionen entstehen, so findet man die Verschiedenheit. Die Urtheile über die physischen Jmpressionen von einer Speise auf die Zunge sind dieselbigen; der eine sagt wie der andere, die Spei- se schmeckt süß, oder sauer. Beyde finden den Eindruck dem vom Zucker oder vom Essig ähnlich: aber nicht bey- de sagen, sie schmecke angenehm. Das ist, sie finden nicht beyde, daß bey ihnen solche Affektionen entstehen, dergleichen sie von andern angenehmen Objekten erhal- ten hatten.
Und der Grund von dieser Verschiedenheit ist hier wiederum derselbige. Laßt uns annehmen, daß beyde an einer gewissen Speise einerley Geschmack finden, aber
nicht
VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
muß einen andern unabhaͤngig von den Gegenſtaͤnden, auf die aͤußern Wirkungen und Ausbruͤche der Affektion ſelbſt aufmerkſam machen. Jndeſſen giebt es ganz ge- wiß Gegenſtaͤnde, deren Eindruck bey allen gleiche Wir- kung hat, und ſolche kann man gebrauchen, um einem andern die Jdee von ihrer Wirkung abſtrahiren zu laſ- ſen. Nur wird die allgemeine Jdee auch hier nicht ſo wohl von der Aehnlichkeit in den Urſachen, als von der Aehnlichkeit in den Wirkungen ſolcher Jmpreſſionen ab- ſtrahiret werden. Dieß hindert gleichwohl nicht, daß die Gemeinbegriffe von dem was Angenehm iſt oder Un- angenehm, in verſchiedenen Menſchen ſich nicht eben ſo auf einander beziehen ſollten, als ihre Gemeinbilder von der weißen und ſchwarzen Farbe. Die weiße Farbe iſt bey jedwedem eine Farbe, wie die iſt, welche in dem Schnee und der Kreide empfunden wird. Angenehm iſt bey jedem dasjenige, was ihn lebhafter macht, was den Umlauf des Gebluͤts befoͤrdert, was ihn zum Singen und Springen bringet, und uͤberhaupt ſich ſo aͤußert, wie bey andern.
Kommt es nun aber zu den Urtheilen uͤber einzelne Gegenſtaͤnde, die aus der Vergleichung der beſondern Eindruͤcke von dieſen mit jenen Abſtraktionen entſtehen, ſo findet man die Verſchiedenheit. Die Urtheile uͤber die phyſiſchen Jmpreſſionen von einer Speiſe auf die Zunge ſind dieſelbigen; der eine ſagt wie der andere, die Spei- ſe ſchmeckt ſuͤß, oder ſauer. Beyde finden den Eindruck dem vom Zucker oder vom Eſſig aͤhnlich: aber nicht bey- de ſagen, ſie ſchmecke angenehm. Das iſt, ſie finden nicht beyde, daß bey ihnen ſolche Affektionen entſtehen, dergleichen ſie von andern angenehmen Objekten erhal- ten hatten.
Und der Grund von dieſer Verſchiedenheit iſt hier wiederum derſelbige. Laßt uns annehmen, daß beyde an einer gewiſſen Speiſe einerley Geſchmack finden, aber
nicht
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VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
muß einen andern unabhaͤngig von den Gegenſtaͤnden,
auf die aͤußern Wirkungen und Ausbruͤche der Affektion
ſelbſt aufmerkſam machen. Jndeſſen giebt es ganz ge-
wiß Gegenſtaͤnde, deren Eindruck bey allen gleiche Wir-
kung hat, und ſolche kann man gebrauchen, um einem
andern die Jdee von ihrer Wirkung abſtrahiren zu laſ-
ſen. Nur wird die allgemeine Jdee auch hier nicht ſo
wohl von der Aehnlichkeit in den Urſachen, als von der
Aehnlichkeit in den Wirkungen ſolcher Jmpreſſionen ab-
ſtrahiret werden. Dieß hindert gleichwohl nicht, daß
die Gemeinbegriffe von dem was Angenehm iſt oder Un-
angenehm, in verſchiedenen Menſchen ſich nicht eben ſo
auf einander beziehen ſollten, als ihre Gemeinbilder von
der weißen und ſchwarzen Farbe. Die weiße Farbe iſt
bey jedwedem eine Farbe, wie die iſt, welche in dem
Schnee und der Kreide empfunden wird. Angenehm iſt
bey jedem dasjenige, was ihn lebhafter macht, was den
Umlauf des Gebluͤts befoͤrdert, was ihn zum Singen
und Springen bringet, und uͤberhaupt ſich ſo aͤußert,
wie bey andern.
Kommt es nun aber zu den Urtheilen uͤber einzelne
Gegenſtaͤnde, die aus der Vergleichung der beſondern
Eindruͤcke von dieſen mit jenen Abſtraktionen entſtehen, ſo
findet man die Verſchiedenheit. Die Urtheile uͤber die
phyſiſchen Jmpreſſionen von einer Speiſe auf die Zunge
ſind dieſelbigen; der eine ſagt wie der andere, die Spei-
ſe ſchmeckt ſuͤß, oder ſauer. Beyde finden den Eindruck
dem vom Zucker oder vom Eſſig aͤhnlich: aber nicht bey-
de ſagen, ſie ſchmecke angenehm. Das iſt, ſie finden
nicht beyde, daß bey ihnen ſolche Affektionen entſtehen,
dergleichen ſie von andern angenehmen Objekten erhal-
ten hatten.
Und der Grund von dieſer Verſchiedenheit iſt hier
wiederum derſelbige. Laßt uns annehmen, daß beyde
an einer gewiſſen Speiſe einerley Geſchmack finden, aber
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/616>, abgerufen am 22.12.2024.
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