Erster Versuch. Ueber die Natur der Vorstellungen.
I. Von den Bemühungen der Philosophen, Vorstel- lungen, Empfindungen und Gedanken aus ei- ner Grundkraft abzuleiten.
Die Seele empfindet, sie har Vorstellungen von Sachen, von Beschaffenheiten und Ver- hältnissen, und sie denket. Dieß sind Aeus- serungen ihrer Kraft, die dem gemeinen Verstande sich als verschiedene Wirkungen von ihr dargestellet haben, und deswegen auch jede ihre eigene Benennung erhalten hat. Auf der äußern Fläche der Seele sie betrachtet, bis wohin nur die gemeine Beobachtung dringet, da sind Empfindungen nicht Vorstellungen, und beide nicht Gedanken. Jede dieser Kraft-Aeußerungen zei- get sich auf ihre eigene Art, mit einem eigenen Charak- ter und hat ihre besondere Wirkungen, die von den Wir- kungen der übrigen verschieden sind. Bis so weit schei- nen also diese Thätigkeiten, und ihre Vermögen, ver- schiedenartig zu seyn.
Aber wenn nun der forschende Philosoph jene ver- schiedene Scheine zu zergliedern suchet, etwas tiefer un- ter die Oberfläche der Seele hineindringet, und daselbst dem Entstehen der unterschiedenen Kraft-Aeußerungen aus
dem
I.Band. A
Erſter Verſuch. Ueber die Natur der Vorſtellungen.
I. Von den Bemuͤhungen der Philoſophen, Vorſtel- lungen, Empfindungen und Gedanken aus ei- ner Grundkraft abzuleiten.
Die Seele empfindet, ſie har Vorſtellungen von Sachen, von Beſchaffenheiten und Ver- haͤltniſſen, und ſie denket. Dieß ſind Aeuſ- ſerungen ihrer Kraft, die dem gemeinen Verſtande ſich als verſchiedene Wirkungen von ihr dargeſtellet haben, und deswegen auch jede ihre eigene Benennung erhalten hat. Auf der aͤußern Flaͤche der Seele ſie betrachtet, bis wohin nur die gemeine Beobachtung dringet, da ſind Empfindungen nicht Vorſtellungen, und beide nicht Gedanken. Jede dieſer Kraft-Aeußerungen zei- get ſich auf ihre eigene Art, mit einem eigenen Charak- ter und hat ihre beſondere Wirkungen, die von den Wir- kungen der uͤbrigen verſchieden ſind. Bis ſo weit ſchei- nen alſo dieſe Thaͤtigkeiten, und ihre Vermoͤgen, ver- ſchiedenartig zu ſeyn.
Aber wenn nun der forſchende Philoſoph jene ver- ſchiedene Scheine zu zergliedern ſuchet, etwas tiefer un- ter die Oberflaͤche der Seele hineindringet, und daſelbſt dem Entſtehen der unterſchiedenen Kraft-Aeußerungen aus
dem
I.Band. A
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[[1]/0061]
Erſter Verſuch.
Ueber die Natur der Vorſtellungen.
I.
Von den Bemuͤhungen der Philoſophen, Vorſtel-
lungen, Empfindungen und Gedanken aus ei-
ner Grundkraft abzuleiten.
Die Seele empfindet, ſie har Vorſtellungen
von Sachen, von Beſchaffenheiten und Ver-
haͤltniſſen, und ſie denket. Dieß ſind Aeuſ-
ſerungen ihrer Kraft, die dem gemeinen Verſtande ſich
als verſchiedene Wirkungen von ihr dargeſtellet haben,
und deswegen auch jede ihre eigene Benennung erhalten
hat. Auf der aͤußern Flaͤche der Seele ſie betrachtet, bis
wohin nur die gemeine Beobachtung dringet, da ſind
Empfindungen nicht Vorſtellungen, und beide
nicht Gedanken. Jede dieſer Kraft-Aeußerungen zei-
get ſich auf ihre eigene Art, mit einem eigenen Charak-
ter und hat ihre beſondere Wirkungen, die von den Wir-
kungen der uͤbrigen verſchieden ſind. Bis ſo weit ſchei-
nen alſo dieſe Thaͤtigkeiten, und ihre Vermoͤgen, ver-
ſchiedenartig zu ſeyn.
Aber wenn nun der forſchende Philoſoph jene ver-
ſchiedene Scheine zu zergliedern ſuchet, etwas tiefer un-
ter die Oberflaͤche der Seele hineindringet, und daſelbſt
dem Entſtehen der unterſchiedenen Kraft-Aeußerungen aus
dem
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/61>, abgerufen am 25.12.2024.
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