Wirkliche so beschaffen sey, als die Allgemeinbegriffe es vorstellen. Jn jenen Beziehungen arbeitet aber der Verstand nach Gesetzen, die wir für Gesetze jedweder Denkkraft ansehen müssen. Daher müssen wir auch die gewahrgenommene Beziehungen solcher Jdeen als noth- wendige Denkarten jedweden Verstandes ansehen, der eben solche Vorstellungen in sich hat und gegeneinander hält. Das heißt; diese Wahrheiten sind objektivische Wahrheiten, und daß sie es sind, ist so gewiß, als sie selbst Wahrheiten sind. Wir können jenes so wenig be- zweifeln oder läugnen, als dieses.
4.
Vielleicht aber hat man dieß auch nicht so eigentlich im Sinn; und vielleicht haben, wenigstens einige, da sie alle Wahrheit für etwas Relatives auf den Men- schen angesehen, sich nur aus Versehen allgemeiner aus- gedrucket, als es ihre wahre Meinung gewesen ist. So viel ist gewiß, daß die meisten sich nur auf die sinnliche Kenntniß von wirklichen Gegenständen berufen, wenn sie ihre Meinung mit Beyspielen beweisen wollen. Und dann ist es ohne Zweifel eine ganz andere Frage: Ob nicht unsere Empfindungskenntnisse, die Verhält- nisse der existirenden Dinge, nach den Vorstellungen von ihnen aus der Empfindung, etwas anders als höch- stens ein beständiger subjektivischer Schein sey? Von den Vorstellungen, als Bildern und Jmpressionen ist wiederum nicht die Rede, wie ich oben erinnert habe, sondern von ihren Verhältnissen. Oft genug sind diese Kenntnisse nur subjektivisch; aber es giebt doch andere Fälle, die uns aufmerksam machen müssen. Das Buch, was ich jetzo vor mir sehe und in Händen nehme, ist dasselbige, wofür ichs halte, und was ich sonsten oft in Händen gehabt. Sollte es denn nur mir und auch wohl andern Menschen dasselbige Buch zu seyn scheinen, und
nur
VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
Wirkliche ſo beſchaffen ſey, als die Allgemeinbegriffe es vorſtellen. Jn jenen Beziehungen arbeitet aber der Verſtand nach Geſetzen, die wir fuͤr Geſetze jedweder Denkkraft anſehen muͤſſen. Daher muͤſſen wir auch die gewahrgenommene Beziehungen ſolcher Jdeen als noth- wendige Denkarten jedweden Verſtandes anſehen, der eben ſolche Vorſtellungen in ſich hat und gegeneinander haͤlt. Das heißt; dieſe Wahrheiten ſind objektiviſche Wahrheiten, und daß ſie es ſind, iſt ſo gewiß, als ſie ſelbſt Wahrheiten ſind. Wir koͤnnen jenes ſo wenig be- zweifeln oder laͤugnen, als dieſes.
4.
Vielleicht aber hat man dieß auch nicht ſo eigentlich im Sinn; und vielleicht haben, wenigſtens einige, da ſie alle Wahrheit fuͤr etwas Relatives auf den Men- ſchen angeſehen, ſich nur aus Verſehen allgemeiner aus- gedrucket, als es ihre wahre Meinung geweſen iſt. So viel iſt gewiß, daß die meiſten ſich nur auf die ſinnliche Kenntniß von wirklichen Gegenſtaͤnden berufen, wenn ſie ihre Meinung mit Beyſpielen beweiſen wollen. Und dann iſt es ohne Zweifel eine ganz andere Frage: Ob nicht unſere Empfindungskenntniſſe, die Verhaͤlt- niſſe der exiſtirenden Dinge, nach den Vorſtellungen von ihnen aus der Empfindung, etwas anders als hoͤch- ſtens ein beſtaͤndiger ſubjektiviſcher Schein ſey? Von den Vorſtellungen, als Bildern und Jmpreſſionen iſt wiederum nicht die Rede, wie ich oben erinnert habe, ſondern von ihren Verhaͤltniſſen. Oft genug ſind dieſe Kenntniſſe nur ſubjektiviſch; aber es giebt doch andere Faͤlle, die uns aufmerkſam machen muͤſſen. Das Buch, was ich jetzo vor mir ſehe und in Haͤnden nehme, iſt daſſelbige, wofuͤr ichs halte, und was ich ſonſten oft in Haͤnden gehabt. Sollte es denn nur mir und auch wohl andern Menſchen daſſelbige Buch zu ſeyn ſcheinen, und
nur
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VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
Wirkliche ſo beſchaffen ſey, als die Allgemeinbegriffe es
vorſtellen. Jn jenen Beziehungen arbeitet aber der
Verſtand nach Geſetzen, die wir fuͤr Geſetze jedweder
Denkkraft anſehen muͤſſen. Daher muͤſſen wir auch die
gewahrgenommene Beziehungen ſolcher Jdeen als noth-
wendige Denkarten jedweden Verſtandes anſehen, der
eben ſolche Vorſtellungen in ſich hat und gegeneinander
haͤlt. Das heißt; dieſe Wahrheiten ſind objektiviſche
Wahrheiten, und daß ſie es ſind, iſt ſo gewiß, als ſie
ſelbſt Wahrheiten ſind. Wir koͤnnen jenes ſo wenig be-
zweifeln oder laͤugnen, als dieſes.
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Vielleicht aber hat man dieß auch nicht ſo eigentlich
im Sinn; und vielleicht haben, wenigſtens einige, da
ſie alle Wahrheit fuͤr etwas Relatives auf den Men-
ſchen angeſehen, ſich nur aus Verſehen allgemeiner aus-
gedrucket, als es ihre wahre Meinung geweſen iſt. So
viel iſt gewiß, daß die meiſten ſich nur auf die ſinnliche
Kenntniß von wirklichen Gegenſtaͤnden berufen, wenn
ſie ihre Meinung mit Beyſpielen beweiſen wollen. Und
dann iſt es ohne Zweifel eine ganz andere Frage: Ob
nicht unſere Empfindungskenntniſſe, die Verhaͤlt-
niſſe der exiſtirenden Dinge, nach den Vorſtellungen
von ihnen aus der Empfindung, etwas anders als hoͤch-
ſtens ein beſtaͤndiger ſubjektiviſcher Schein ſey? Von
den Vorſtellungen, als Bildern und Jmpreſſionen iſt
wiederum nicht die Rede, wie ich oben erinnert habe,
ſondern von ihren Verhaͤltniſſen. Oft genug ſind dieſe
Kenntniſſe nur ſubjektiviſch; aber es giebt doch andere
Faͤlle, die uns aufmerkſam machen muͤſſen. Das Buch,
was ich jetzo vor mir ſehe und in Haͤnden nehme, iſt
daſſelbige, wofuͤr ichs halte, und was ich ſonſten oft in
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/606>, abgerufen am 22.12.2024.
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