Seelenfibern an, als es, wie bekannt ist, bey klingen- den Saiten wirklich statt findet. Und eine Denkkraft, welche Widersprüche gedenken sollte, müßte zugleich et- was gewahrnehmen und auch nicht gewahrnehmen kön- nen, zugleich dieselbigen Dinge für ähnliche erkennen, und auch für verschiedene, das ist, nicht für ähnliche. Eine solche Seele und ein solches Organ müßten doch wirklich selbst viereckte Zirkeln seyn.
Sollten solche Jdeen, als unsere widersprechende Prädikate sind, die Jdee vom Zirkelrunden und die Jdee von Winkeln und Ecken, in irgend einer Denkkraft als Prädikate Einer Figur vereiniget werden können, so müs- sen es solche Jdeen nicht mehr seyn, als sie es bey uns sind. Sie müssen sich nicht ausschließen, oder aufhe- ben. Und wenn sie das nicht thun, so sind sie freylich auch nicht widersprechend, aber denn sind sie auch nicht unsere Jdeen, sondern wer weis was anders?
Es bedarf meiner Meinung nach keiner weitern Er- läuterung, daß es überhaupt mit allen übrigern subjekti- visch nothwendigen Grundsätzen, welche die Beziehun- gen ausdrücken, die unsere Denkkraft bey ihren Jdeen und Begriffen nothwendig antrift, und also mit allen geometrischen Wahrheiten, und andern, die ihnen in Hinsicht dieser Nothwendigkeit, ähnlich sind, dieselbige Beschaffenheit habe. Daß gleiches zu gleichen hinzu- gesetzt, gleiche Summen gebe; daß der Zirkel so groß ist, als ein Triangel, dessen Grundlinie dem Umfang und dessen Höhe seinem Halbmesser gleich ist; und alle dergleichen allgemeine theoretische Wahrheiten, Wahr- heiten für jeden Verstand sind, kann so wenig geläugnet werden, als diese Wahrheiten selbst. Die Verhältnisse und Beziehungen denket der Verstand in diesen Jdeen, und legt sie nur solchen Objekten bey, die seine eigene Ge- schöpfe sind. Denn wo wir die Theorien anwenden auf wirkliche Gegenstände, da setzen wir voraus, daß das
Wirkli-
I.Band. M m
der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
Seelenfibern an, als es, wie bekannt iſt, bey klingen- den Saiten wirklich ſtatt findet. Und eine Denkkraft, welche Widerſpruͤche gedenken ſollte, muͤßte zugleich et- was gewahrnehmen und auch nicht gewahrnehmen koͤn- nen, zugleich dieſelbigen Dinge fuͤr aͤhnliche erkennen, und auch fuͤr verſchiedene, das iſt, nicht fuͤr aͤhnliche. Eine ſolche Seele und ein ſolches Organ muͤßten doch wirklich ſelbſt viereckte Zirkeln ſeyn.
Sollten ſolche Jdeen, als unſere widerſprechende Praͤdikate ſind, die Jdee vom Zirkelrunden und die Jdee von Winkeln und Ecken, in irgend einer Denkkraft als Praͤdikate Einer Figur vereiniget werden koͤnnen, ſo muͤſ- ſen es ſolche Jdeen nicht mehr ſeyn, als ſie es bey uns ſind. Sie muͤſſen ſich nicht ausſchließen, oder aufhe- ben. Und wenn ſie das nicht thun, ſo ſind ſie freylich auch nicht widerſprechend, aber denn ſind ſie auch nicht unſere Jdeen, ſondern wer weis was anders?
Es bedarf meiner Meinung nach keiner weitern Er- laͤuterung, daß es uͤberhaupt mit allen uͤbrigern ſubjekti- viſch nothwendigen Grundſaͤtzen, welche die Beziehun- gen ausdruͤcken, die unſere Denkkraft bey ihren Jdeen und Begriffen nothwendig antrift, und alſo mit allen geometriſchen Wahrheiten, und andern, die ihnen in Hinſicht dieſer Nothwendigkeit, aͤhnlich ſind, dieſelbige Beſchaffenheit habe. Daß gleiches zu gleichen hinzu- geſetzt, gleiche Summen gebe; daß der Zirkel ſo groß iſt, als ein Triangel, deſſen Grundlinie dem Umfang und deſſen Hoͤhe ſeinem Halbmeſſer gleich iſt; und alle dergleichen allgemeine theoretiſche Wahrheiten, Wahr- heiten fuͤr jeden Verſtand ſind, kann ſo wenig gelaͤugnet werden, als dieſe Wahrheiten ſelbſt. Die Verhaͤltniſſe und Beziehungen denket der Verſtand in dieſen Jdeen, und legt ſie nur ſolchen Objekten bey, die ſeine eigene Ge- ſchoͤpfe ſind. Denn wo wir die Theorien anwenden auf wirkliche Gegenſtaͤnde, da ſetzen wir voraus, daß das
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
Seelenfibern an, als es, wie bekannt iſt, bey klingen-
den Saiten wirklich ſtatt findet. Und eine Denkkraft,
welche Widerſpruͤche gedenken ſollte, muͤßte zugleich et-
was gewahrnehmen und auch nicht gewahrnehmen koͤn-
nen, zugleich dieſelbigen Dinge fuͤr aͤhnliche erkennen,
und auch fuͤr verſchiedene, das iſt, nicht fuͤr aͤhnliche.
Eine ſolche Seele und ein ſolches Organ muͤßten doch
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Sollten ſolche Jdeen, als unſere widerſprechende
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Praͤdikate Einer Figur vereiniget werden koͤnnen, ſo muͤſ-
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ſind. Sie muͤſſen ſich nicht ausſchließen, oder aufhe-
ben. Und wenn ſie das nicht thun, ſo ſind ſie freylich
auch nicht widerſprechend, aber denn ſind ſie auch nicht
unſere Jdeen, ſondern wer weis was anders?
Es bedarf meiner Meinung nach keiner weitern Er-
laͤuterung, daß es uͤberhaupt mit allen uͤbrigern ſubjekti-
viſch nothwendigen Grundſaͤtzen, welche die Beziehun-
gen ausdruͤcken, die unſere Denkkraft bey ihren Jdeen
und Begriffen nothwendig antrift, und alſo mit allen
geometriſchen Wahrheiten, und andern, die ihnen in
Hinſicht dieſer Nothwendigkeit, aͤhnlich ſind, dieſelbige
Beſchaffenheit habe. Daß gleiches zu gleichen hinzu-
geſetzt, gleiche Summen gebe; daß der Zirkel ſo groß
iſt, als ein Triangel, deſſen Grundlinie dem Umfang
und deſſen Hoͤhe ſeinem Halbmeſſer gleich iſt; und alle
dergleichen allgemeine theoretiſche Wahrheiten, Wahr-
heiten fuͤr jeden Verſtand ſind, kann ſo wenig gelaͤugnet
werden, als dieſe Wahrheiten ſelbſt. Die Verhaͤltniſſe
und Beziehungen denket der Verſtand in dieſen Jdeen,
und legt ſie nur ſolchen Objekten bey, die ſeine eigene Ge-
ſchoͤpfe ſind. Denn wo wir die Theorien anwenden auf
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/605>, abgerufen am 27.11.2024.
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