wenn wir den Gedanken fassen: "eine beständige auf dieselbige Art scheinende Sache, sey eine reelle Sache, und so an sich beschaffen, wie sie scheint," so wollen wir doch etwas mehreres ausdrücken, als blos dieses, daß sie uns so scheine. Sie wird und muß ihrer Natur nach, jedwedem andern, sie fühlenden und empfindenden We- sen, auch so erscheinen. Dieß ist noch ein Zug, der in jenem Prädikat enthalten ist.
Es ist noch derselbige Begriff von dem Objektivi- schen, der in der Philosophie beybehalten wird. Die Dinge sind für sich, auf diese oder jene Art beschaffen, heißt auch hier so viel als, jedwedes Wesen, das sie em- pfindet, oder sie als existirende Dinge sich vorstellet und gedenket, muß sie so empfinden, so sich vorstellen und gedenken, wenn es sie nemlich auf dieselbige Art geden- ket, wie wir es in solchen Fällen thun, in denen wir un- serer Erkenntniß eine objektivische Realität beylegen. Denn es wird stillschweigend angenommen, daß diesel- bigen Erfordernisse, die uns bewegen, unsere eigene Er- kenntnisse für objektivisch anzusehen, da wir wohl wissen, daß sie zuweilen nur subjektivischer Schein sind, auch bey andern denkenden Wesen vorhanden seyn müssen, wo die Erkenntniß objektivisch seyn soll. Von dem vollkom- mensten Verstande haben wir eine solche Vorstellung, nach der wir glauben müssen, daß er die Objekte so ge- denke, wie sie an sich sind. Daher sehen wir es als ei- nen Grundsatz an, daß da, wo wir selbst die Dinge uns so vorstellen, wie sie sind, unsere Vorstellungen von ihnen mit denen in dem göttlichen Verstande überein- stimmen. Jch rede hier nach dem Sinn derer, die eine solche objektivische Realität unserer Erkenntnisse behaup- ten. Ein viereckter Zirkel ist an sich ein Unding. Was heißt dieß, als es ist ein schlechthin ungedenkbares, auch von dem göttlichen Verstande ungedenkbares Ding, das nicht ist und nicht seyn kann, das nicht gefühlet und
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
wenn wir den Gedanken faſſen: „eine beſtaͤndige auf dieſelbige Art ſcheinende Sache, ſey eine reelle Sache, und ſo an ſich beſchaffen, wie ſie ſcheint,‟ ſo wollen wir doch etwas mehreres ausdruͤcken, als blos dieſes, daß ſie uns ſo ſcheine. Sie wird und muß ihrer Natur nach, jedwedem andern, ſie fuͤhlenden und empfindenden We- ſen, auch ſo erſcheinen. Dieß iſt noch ein Zug, der in jenem Praͤdikat enthalten iſt.
Es iſt noch derſelbige Begriff von dem Objektivi- ſchen, der in der Philoſophie beybehalten wird. Die Dinge ſind fuͤr ſich, auf dieſe oder jene Art beſchaffen, heißt auch hier ſo viel als, jedwedes Weſen, das ſie em- pfindet, oder ſie als exiſtirende Dinge ſich vorſtellet und gedenket, muß ſie ſo empfinden, ſo ſich vorſtellen und gedenken, wenn es ſie nemlich auf dieſelbige Art geden- ket, wie wir es in ſolchen Faͤllen thun, in denen wir un- ſerer Erkenntniß eine objektiviſche Realitaͤt beylegen. Denn es wird ſtillſchweigend angenommen, daß dieſel- bigen Erforderniſſe, die uns bewegen, unſere eigene Er- kenntniſſe fuͤr objektiviſch anzuſehen, da wir wohl wiſſen, daß ſie zuweilen nur ſubjektiviſcher Schein ſind, auch bey andern denkenden Weſen vorhanden ſeyn muͤſſen, wo die Erkenntniß objektiviſch ſeyn ſoll. Von dem vollkom- menſten Verſtande haben wir eine ſolche Vorſtellung, nach der wir glauben muͤſſen, daß er die Objekte ſo ge- denke, wie ſie an ſich ſind. Daher ſehen wir es als ei- nen Grundſatz an, daß da, wo wir ſelbſt die Dinge uns ſo vorſtellen, wie ſie ſind, unſere Vorſtellungen von ihnen mit denen in dem goͤttlichen Verſtande uͤberein- ſtimmen. Jch rede hier nach dem Sinn derer, die eine ſolche objektiviſche Realitaͤt unſerer Erkenntniſſe behaup- ten. Ein viereckter Zirkel iſt an ſich ein Unding. Was heißt dieß, als es iſt ein ſchlechthin ungedenkbares, auch von dem goͤttlichen Verſtande ungedenkbares Ding, das nicht iſt und nicht ſeyn kann, das nicht gefuͤhlet und
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
wenn wir den Gedanken faſſen: „eine beſtaͤndige auf
dieſelbige Art ſcheinende Sache, ſey eine reelle Sache,
und ſo an ſich beſchaffen, wie ſie ſcheint,‟ ſo wollen wir
doch etwas mehreres ausdruͤcken, als blos dieſes, daß ſie
uns ſo ſcheine. Sie wird und muß ihrer Natur nach,
jedwedem andern, ſie fuͤhlenden und empfindenden We-
ſen, auch ſo erſcheinen. Dieß iſt noch ein Zug, der in
jenem Praͤdikat enthalten iſt.
Es iſt noch derſelbige Begriff von dem Objektivi-
ſchen, der in der Philoſophie beybehalten wird. Die
Dinge ſind fuͤr ſich, auf dieſe oder jene Art beſchaffen,
heißt auch hier ſo viel als, jedwedes Weſen, das ſie em-
pfindet, oder ſie als exiſtirende Dinge ſich vorſtellet und
gedenket, muß ſie ſo empfinden, ſo ſich vorſtellen und
gedenken, wenn es ſie nemlich auf dieſelbige Art geden-
ket, wie wir es in ſolchen Faͤllen thun, in denen wir un-
ſerer Erkenntniß eine objektiviſche Realitaͤt beylegen.
Denn es wird ſtillſchweigend angenommen, daß dieſel-
bigen Erforderniſſe, die uns bewegen, unſere eigene Er-
kenntniſſe fuͤr objektiviſch anzuſehen, da wir wohl wiſſen,
daß ſie zuweilen nur ſubjektiviſcher Schein ſind, auch bey
andern denkenden Weſen vorhanden ſeyn muͤſſen, wo die
Erkenntniß objektiviſch ſeyn ſoll. Von dem vollkom-
menſten Verſtande haben wir eine ſolche Vorſtellung,
nach der wir glauben muͤſſen, daß er die Objekte ſo ge-
denke, wie ſie an ſich ſind. Daher ſehen wir es als ei-
nen Grundſatz an, daß da, wo wir ſelbſt die Dinge
uns ſo vorſtellen, wie ſie ſind, unſere Vorſtellungen von
ihnen mit denen in dem goͤttlichen Verſtande uͤberein-
ſtimmen. Jch rede hier nach dem Sinn derer, die eine
ſolche objektiviſche Realitaͤt unſerer Erkenntniſſe behaup-
ten. Ein viereckter Zirkel iſt an ſich ein Unding. Was
heißt dieß, als es iſt ein ſchlechthin ungedenkbares, auch
von dem goͤttlichen Verſtande ungedenkbares Ding, das
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/597>, abgerufen am 22.11.2024.
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