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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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VII. Versuch. Von der Nothwendigkeit
auf dieselbige Art modificiret werden, wie ich. Solche
Jmpressionen sind nur etwas Subjektivisches; das
was sie sind, sind sie nur für den, der sie aufnimmt.
Aber in diesen Jmpressionen liegt auch kein Gedanke,
und keine Wahrheit, ob sie gleich sonsten ihre Fehler ha-
ben können. Denken bestehet in dem Gewahrnehmen
der Verhältnisse der Vorstellungen; und in diesen
kann nur Wahrheit oder Jrrthum seyn. Was es auch
für eine Jmpression ist, die ich von der rothen Farbe
empfange, so ist doch der Schnitt an dem Buche, das
vor mir lieget, roth; nemlich es ist dieselbige Jmpres-
sion, die ich in andern Fällen gehabt und roth genennet
habe. Ein Ding ist rund; ist eckigt; diese Ausdrücke
wollen nichts mehr sagen, als daß der Sache etwas zu-
komme, welches einerley mit dem ist, was ich eckigt
und rund nenne. Es ist nichts daran gelegen, wenn
ein anderer die Jmpression von den Ecken hat, die ich
von dem Runde habe. Die Richtigkeit des Gedankens
hängt nur davon ab, daß mein Urtheil richtig sey, und
das Urtheil ist ein Verhältnißgedanke. Die Jmpressio-
nen sind nur die Schriftzüge oder Buchstaben. Diese
mögen seyn, welche sie wollen, sie sind zu entziffern, wenn
jeder Buchstabe seinen eigenen Zug hat, und die Worte,
zu welcher Sprache sie auch gehören, sind verständlich,
wenn jeder bestimmte Gedanke seinen bestimmten Ton
hat.

Die Vorstellungen als Vorstellungen, Bilder,
Zeichen der Sachen, sind nur relativischer Natur.
Aus diesem Satz folget aber nicht, daß die Gedanken
von den Verhältnissen der Sachen, und von ihren Be-
schaffenheiten, denn diese letztern sind auch nichts als
Gedanken von Verhältnissen, es gleichfalls seyn müssen.
Es kann die Proportion: Das Bild zum Bilde, wie
Sache zur Sache, dieselbige bleiben; wenn gleich zwey
andere Bilder an die Stelle der erstern beiden gesetzet

werden;

VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
auf dieſelbige Art modificiret werden, wie ich. Solche
Jmpreſſionen ſind nur etwas Subjektiviſches; das
was ſie ſind, ſind ſie nur fuͤr den, der ſie aufnimmt.
Aber in dieſen Jmpreſſionen liegt auch kein Gedanke,
und keine Wahrheit, ob ſie gleich ſonſten ihre Fehler ha-
ben koͤnnen. Denken beſtehet in dem Gewahrnehmen
der Verhaͤltniſſe der Vorſtellungen; und in dieſen
kann nur Wahrheit oder Jrrthum ſeyn. Was es auch
fuͤr eine Jmpreſſion iſt, die ich von der rothen Farbe
empfange, ſo iſt doch der Schnitt an dem Buche, das
vor mir lieget, roth; nemlich es iſt dieſelbige Jmpreſ-
ſion, die ich in andern Faͤllen gehabt und roth genennet
habe. Ein Ding iſt rund; iſt eckigt; dieſe Ausdruͤcke
wollen nichts mehr ſagen, als daß der Sache etwas zu-
komme, welches einerley mit dem iſt, was ich eckigt
und rund nenne. Es iſt nichts daran gelegen, wenn
ein anderer die Jmpreſſion von den Ecken hat, die ich
von dem Runde habe. Die Richtigkeit des Gedankens
haͤngt nur davon ab, daß mein Urtheil richtig ſey, und
das Urtheil iſt ein Verhaͤltnißgedanke. Die Jmpreſſio-
nen ſind nur die Schriftzuͤge oder Buchſtaben. Dieſe
moͤgen ſeyn, welche ſie wollen, ſie ſind zu entziffern, wenn
jeder Buchſtabe ſeinen eigenen Zug hat, und die Worte,
zu welcher Sprache ſie auch gehoͤren, ſind verſtaͤndlich,
wenn jeder beſtimmte Gedanke ſeinen beſtimmten Ton
hat.

Die Vorſtellungen als Vorſtellungen, Bilder,
Zeichen der Sachen, ſind nur relativiſcher Natur.
Aus dieſem Satz folget aber nicht, daß die Gedanken
von den Verhaͤltniſſen der Sachen, und von ihren Be-
ſchaffenheiten, denn dieſe letztern ſind auch nichts als
Gedanken von Verhaͤltniſſen, es gleichfalls ſeyn muͤſſen.
Es kann die Proportion: Das Bild zum Bilde, wie
Sache zur Sache, dieſelbige bleiben; wenn gleich zwey
andere Bilder an die Stelle der erſtern beiden geſetzet

werden;
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[534/0594] VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit auf dieſelbige Art modificiret werden, wie ich. Solche Jmpreſſionen ſind nur etwas Subjektiviſches; das was ſie ſind, ſind ſie nur fuͤr den, der ſie aufnimmt. Aber in dieſen Jmpreſſionen liegt auch kein Gedanke, und keine Wahrheit, ob ſie gleich ſonſten ihre Fehler ha- ben koͤnnen. Denken beſtehet in dem Gewahrnehmen der Verhaͤltniſſe der Vorſtellungen; und in dieſen kann nur Wahrheit oder Jrrthum ſeyn. Was es auch fuͤr eine Jmpreſſion iſt, die ich von der rothen Farbe empfange, ſo iſt doch der Schnitt an dem Buche, das vor mir lieget, roth; nemlich es iſt dieſelbige Jmpreſ- ſion, die ich in andern Faͤllen gehabt und roth genennet habe. Ein Ding iſt rund; iſt eckigt; dieſe Ausdruͤcke wollen nichts mehr ſagen, als daß der Sache etwas zu- komme, welches einerley mit dem iſt, was ich eckigt und rund nenne. Es iſt nichts daran gelegen, wenn ein anderer die Jmpreſſion von den Ecken hat, die ich von dem Runde habe. Die Richtigkeit des Gedankens haͤngt nur davon ab, daß mein Urtheil richtig ſey, und das Urtheil iſt ein Verhaͤltnißgedanke. Die Jmpreſſio- nen ſind nur die Schriftzuͤge oder Buchſtaben. Dieſe moͤgen ſeyn, welche ſie wollen, ſie ſind zu entziffern, wenn jeder Buchſtabe ſeinen eigenen Zug hat, und die Worte, zu welcher Sprache ſie auch gehoͤren, ſind verſtaͤndlich, wenn jeder beſtimmte Gedanke ſeinen beſtimmten Ton hat. Die Vorſtellungen als Vorſtellungen, Bilder, Zeichen der Sachen, ſind nur relativiſcher Natur. Aus dieſem Satz folget aber nicht, daß die Gedanken von den Verhaͤltniſſen der Sachen, und von ihren Be- ſchaffenheiten, denn dieſe letztern ſind auch nichts als Gedanken von Verhaͤltniſſen, es gleichfalls ſeyn muͤſſen. Es kann die Proportion: Das Bild zum Bilde, wie Sache zur Sache, dieſelbige bleiben; wenn gleich zwey andere Bilder an die Stelle der erſtern beiden geſetzet werden;

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/594>, abgerufen am 24.11.2024.