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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der allgem. Vernunftwahrheiten, etc.
Denkkraft an sich gegründet. Wir kennen wenig-
stens einige von diesen allgemeinen Naturgesetzen, denen
der Verstand als Verstand so unterworfen ist, wie das
Licht dem Gesetz des Zurückfallens und des Brechens.

Widersprechende Dinge, viereckte Zirkel,
kann die Denkkraft nicht denken;
wir können kein
Bild, noch Vorstellung davon machen; wir schreiben
solchen Sachen nicht nur keine Wirklichkeit, kein Seyn
zu, sondern wir können ihm dergleichen nicht zuschreiben.
Dieß ist das Gesetz der Denkbarkeit, des Wider-
spruchs; der Grundsatz aller nothwendigen
Falschheiten.

Zwischen zwey kontradiktorisch einander ent-
gegenstehenden Fällen läßt sich kein dritter ge-
denken,
und wenn Einer von ihnen auf etwas Wider-
sprechendes hinführt, so muß der zweete nothwendig als
der wahre angenommen werden. Dieß ist der Grund-
satz aller möglichen Fälle.
Seyn oder Nichtseyn.
So seyn oder nicht so seyn u. s. f.

Wir müssen Ein Ding mit sich selbst für Ei-
nerley halten.
Wenn A nicht als Einerley vorge-
stellet wird, wie B, so müssen wir sie als verschiedene
Dinge ansehen. Dieß ist das Gesetz der Jdenti-
tät und der Diversität.

Wenn wir A als ein wirklich vorhandenes Ob-
jekt empfinden, und auch B als ein solches empfinden,
und zwischen diesen beiden Empfindungen andere Objekte
empfunden werden, oder wenn doch ein Aktus des
Empfindens
zwischen ihnen vorgeht, dessen grössere
oder geringere Länge uns fühlbar ist, so müssen wir A
und B als von einander, mehr oder minder, abste-
hend
gedenken. Das Grundgesetz der Koexistential-
relationen
oder der unwirksamen Beziehungen.

Andere dergleichen Formen der Verhältnißgedan-
ken oder Denkarten will ich hier übergehen. Es kann

aus
I. Band. K k

der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
Denkkraft an ſich gegruͤndet. Wir kennen wenig-
ſtens einige von dieſen allgemeinen Naturgeſetzen, denen
der Verſtand als Verſtand ſo unterworfen iſt, wie das
Licht dem Geſetz des Zuruͤckfallens und des Brechens.

Widerſprechende Dinge, viereckte Zirkel,
kann die Denkkraft nicht denken;
wir koͤnnen kein
Bild, noch Vorſtellung davon machen; wir ſchreiben
ſolchen Sachen nicht nur keine Wirklichkeit, kein Seyn
zu, ſondern wir koͤnnen ihm dergleichen nicht zuſchreiben.
Dieß iſt das Geſetz der Denkbarkeit, des Wider-
ſpruchs; der Grundſatz aller nothwendigen
Falſchheiten.

Zwiſchen zwey kontradiktoriſch einander ent-
gegenſtehenden Faͤllen laͤßt ſich kein dritter ge-
denken,
und wenn Einer von ihnen auf etwas Wider-
ſprechendes hinfuͤhrt, ſo muß der zweete nothwendig als
der wahre angenommen werden. Dieß iſt der Grund-
ſatz aller moͤglichen Faͤlle.
Seyn oder Nichtſeyn.
So ſeyn oder nicht ſo ſeyn u. ſ. f.

Wir muͤſſen Ein Ding mit ſich ſelbſt fuͤr Ei-
nerley halten.
Wenn A nicht als Einerley vorge-
ſtellet wird, wie B, ſo muͤſſen wir ſie als verſchiedene
Dinge anſehen. Dieß iſt das Geſetz der Jdenti-
taͤt und der Diverſitaͤt.

Wenn wir A als ein wirklich vorhandenes Ob-
jekt empfinden, und auch B als ein ſolches empfinden,
und zwiſchen dieſen beiden Empfindungen andere Objekte
empfunden werden, oder wenn doch ein Aktus des
Empfindens
zwiſchen ihnen vorgeht, deſſen groͤſſere
oder geringere Laͤnge uns fuͤhlbar iſt, ſo muͤſſen wir A
und B als von einander, mehr oder minder, abſte-
hend
gedenken. Das Grundgeſetz der Koexiſtential-
relationen
oder der unwirkſamen Beziehungen.

Andere dergleichen Formen der Verhaͤltnißgedan-
ken oder Denkarten will ich hier uͤbergehen. Es kann

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I. Band. K k
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[513/0573] der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c. Denkkraft an ſich gegruͤndet. Wir kennen wenig- ſtens einige von dieſen allgemeinen Naturgeſetzen, denen der Verſtand als Verſtand ſo unterworfen iſt, wie das Licht dem Geſetz des Zuruͤckfallens und des Brechens. Widerſprechende Dinge, viereckte Zirkel, kann die Denkkraft nicht denken; wir koͤnnen kein Bild, noch Vorſtellung davon machen; wir ſchreiben ſolchen Sachen nicht nur keine Wirklichkeit, kein Seyn zu, ſondern wir koͤnnen ihm dergleichen nicht zuſchreiben. Dieß iſt das Geſetz der Denkbarkeit, des Wider- ſpruchs; der Grundſatz aller nothwendigen Falſchheiten. Zwiſchen zwey kontradiktoriſch einander ent- gegenſtehenden Faͤllen laͤßt ſich kein dritter ge- denken, und wenn Einer von ihnen auf etwas Wider- ſprechendes hinfuͤhrt, ſo muß der zweete nothwendig als der wahre angenommen werden. Dieß iſt der Grund- ſatz aller moͤglichen Faͤlle. Seyn oder Nichtſeyn. So ſeyn oder nicht ſo ſeyn u. ſ. f. Wir muͤſſen Ein Ding mit ſich ſelbſt fuͤr Ei- nerley halten. Wenn A nicht als Einerley vorge- ſtellet wird, wie B, ſo muͤſſen wir ſie als verſchiedene Dinge anſehen. Dieß iſt das Geſetz der Jdenti- taͤt und der Diverſitaͤt. Wenn wir A als ein wirklich vorhandenes Ob- jekt empfinden, und auch B als ein ſolches empfinden, und zwiſchen dieſen beiden Empfindungen andere Objekte empfunden werden, oder wenn doch ein Aktus des Empfindens zwiſchen ihnen vorgeht, deſſen groͤſſere oder geringere Laͤnge uns fuͤhlbar iſt, ſo muͤſſen wir A und B als von einander, mehr oder minder, abſte- hend gedenken. Das Grundgeſetz der Koexiſtential- relationen oder der unwirkſamen Beziehungen. Andere dergleichen Formen der Verhaͤltnißgedan- ken oder Denkarten will ich hier uͤbergehen. Es kann aus I. Band. K k

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/573>, abgerufen am 24.11.2024.