Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

der allgem. Vernunftwahrheiten, etc.
Uebergang der Denkkraft nach dem Gesetz der Substi-
tution,
und nach den übrigen nothwendigen Denkge-
setzen vor sich gehet, und nur nicht von einer bloßen As-
sociation
verschiedener, an sich trennbarer, Jdeen in
der Einbildungskraft, abhänget. Denn wo dieß letztere
Statt findet, da kann alles vorhergehende bleiben, wie
es ist, und die Reflexion dennoch einen andern Gang
nehmen, als sie wirklich nimmt. Wenn also der Ge-
danke: "diese Wirkung muß erfolgen, und auf eine be-
stimmte Art erfolgen, wo eine bestimmte Ursache unter
bestimmten Umständen vorhanden ist," eine nothwen-
dige
Folge von der vorhergehenden Jdee von der Ursache
seyn soll, so wird entweder eine unmittelbare Folge-
rung
gemacht, oder es wird Einerley für Einerley sub-
stituiret.
Die Wirkung, welche hervorgebracht
wird, muß in diesem Fall Einerley mit dem seyn, was
in den Jdeen von der Aktion der Ursache schon enthalten
ist, nur daß jenes in einem andern Subjekte vorgestellet
wird. Oder mit andern Worten: die Wirkung in dem
Dinge, welches sie aufnimmt, muß einerley, und gleich-
sam nur die Fortsetzung von dem seyn, was in der
Thätigkeit der wirkenden Kraft als vorhanden vorgestel-
let und gedacht wird.

Da sehen wir mögliche Fälle, wo der Gedanke von
der ursachlichen Verbindung seiner Form nach ein
subjektivisch absolut nothwendiger Gedanke seyn
würde; aber zugleich sieht man auch den Grund, warum
von unsern Verhältnißgedanken über die wirklichen
Verknüpfungen in der Welt so wenige oder gar keine
dahin gehören.

Wir begreifen bey den wirklichen Verursachungen
manches, aber keine von ihnen völlig. Wenn eine in
Bewegung gesetzte Kugel auf eine andere ruhende zufäh-
ret, so muß zum mindesten eine von ihnen, wenn nicht
alle beide ihren Zustand verändern. Jch sage, dieß

letztere
J i 2

der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
Uebergang der Denkkraft nach dem Geſetz der Subſti-
tution,
und nach den uͤbrigen nothwendigen Denkge-
ſetzen vor ſich gehet, und nur nicht von einer bloßen Aſ-
ſociation
verſchiedener, an ſich trennbarer, Jdeen in
der Einbildungskraft, abhaͤnget. Denn wo dieß letztere
Statt findet, da kann alles vorhergehende bleiben, wie
es iſt, und die Reflexion dennoch einen andern Gang
nehmen, als ſie wirklich nimmt. Wenn alſo der Ge-
danke: „dieſe Wirkung muß erfolgen, und auf eine be-
ſtimmte Art erfolgen, wo eine beſtimmte Urſache unter
beſtimmten Umſtaͤnden vorhanden iſt,‟ eine nothwen-
dige
Folge von der vorhergehenden Jdee von der Urſache
ſeyn ſoll, ſo wird entweder eine unmittelbare Folge-
rung
gemacht, oder es wird Einerley fuͤr Einerley ſub-
ſtituiret.
Die Wirkung, welche hervorgebracht
wird, muß in dieſem Fall Einerley mit dem ſeyn, was
in den Jdeen von der Aktion der Urſache ſchon enthalten
iſt, nur daß jenes in einem andern Subjekte vorgeſtellet
wird. Oder mit andern Worten: die Wirkung in dem
Dinge, welches ſie aufnimmt, muß einerley, und gleich-
ſam nur die Fortſetzung von dem ſeyn, was in der
Thaͤtigkeit der wirkenden Kraft als vorhanden vorgeſtel-
let und gedacht wird.

Da ſehen wir moͤgliche Faͤlle, wo der Gedanke von
der urſachlichen Verbindung ſeiner Form nach ein
ſubjektiviſch abſolut nothwendiger Gedanke ſeyn
wuͤrde; aber zugleich ſieht man auch den Grund, warum
von unſern Verhaͤltnißgedanken uͤber die wirklichen
Verknuͤpfungen in der Welt ſo wenige oder gar keine
dahin gehoͤren.

Wir begreifen bey den wirklichen Verurſachungen
manches, aber keine von ihnen voͤllig. Wenn eine in
Bewegung geſetzte Kugel auf eine andere ruhende zufaͤh-
ret, ſo muß zum mindeſten eine von ihnen, wenn nicht
alle beide ihren Zuſtand veraͤndern. Jch ſage, dieß

letztere
J i 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0559" n="499"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der allgem. Vernunftwahrheiten, &#x204A;c.</hi></fw><lb/>
Uebergang der Denkkraft nach dem Ge&#x017F;etz der <hi rendition="#fr">Sub&#x017F;ti-<lb/>
tution,</hi> und nach den u&#x0364;brigen nothwendigen Denkge-<lb/>
&#x017F;etzen vor &#x017F;ich gehet, und nur nicht von einer bloßen <hi rendition="#fr">A&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ociation</hi> ver&#x017F;chiedener, an &#x017F;ich trennbarer, Jdeen in<lb/>
der Einbildungskraft, abha&#x0364;nget. Denn wo dieß letztere<lb/>
Statt findet, da kann alles vorhergehende bleiben, wie<lb/>
es i&#x017F;t, und die Reflexion dennoch einen andern Gang<lb/>
nehmen, als &#x017F;ie wirklich nimmt. Wenn al&#x017F;o der Ge-<lb/>
danke: &#x201E;die&#x017F;e Wirkung muß erfolgen, und auf eine be-<lb/>
&#x017F;timmte Art erfolgen, wo eine be&#x017F;timmte Ur&#x017F;ache unter<lb/>
be&#x017F;timmten Um&#x017F;ta&#x0364;nden vorhanden i&#x017F;t,&#x201F; eine <hi rendition="#fr">nothwen-<lb/>
dige</hi> Folge von der vorhergehenden Jdee von der Ur&#x017F;ache<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;o wird entweder eine <hi rendition="#fr">unmittelbare Folge-<lb/>
rung</hi> gemacht, oder es wird Einerley fu&#x0364;r Einerley <hi rendition="#fr">&#x017F;ub-<lb/>
&#x017F;tituiret.</hi> Die <hi rendition="#fr">Wirkung,</hi> welche hervorgebracht<lb/>
wird, muß in die&#x017F;em Fall Einerley mit dem &#x017F;eyn, was<lb/>
in den Jdeen von der Aktion der Ur&#x017F;ache &#x017F;chon enthalten<lb/>
i&#x017F;t, nur daß jenes in einem andern Subjekte vorge&#x017F;tellet<lb/>
wird. Oder mit andern Worten: die Wirkung in dem<lb/>
Dinge, welches &#x017F;ie aufnimmt, muß einerley, und gleich-<lb/>
&#x017F;am nur die <hi rendition="#fr">Fort&#x017F;etzung</hi> von dem &#x017F;eyn, was in der<lb/>
Tha&#x0364;tigkeit der wirkenden Kraft als vorhanden vorge&#x017F;tel-<lb/>
let und gedacht wird.</p><lb/>
            <p>Da &#x017F;ehen wir mo&#x0364;gliche Fa&#x0364;lle, wo der Gedanke von<lb/>
der <hi rendition="#fr">ur&#x017F;achlichen Verbindung</hi> &#x017F;einer Form nach ein<lb/>
&#x017F;ubjektivi&#x017F;ch <hi rendition="#fr">ab&#x017F;olut nothwendiger</hi> Gedanke &#x017F;eyn<lb/>
wu&#x0364;rde; aber zugleich &#x017F;ieht man auch den Grund, warum<lb/>
von un&#x017F;ern Verha&#x0364;ltnißgedanken u&#x0364;ber die <hi rendition="#fr">wirklichen</hi><lb/>
Verknu&#x0364;pfungen in der Welt &#x017F;o wenige oder gar keine<lb/>
dahin geho&#x0364;ren.</p><lb/>
            <p>Wir begreifen bey den <hi rendition="#fr">wirklichen</hi> Verur&#x017F;achungen<lb/>
manches, aber keine von ihnen vo&#x0364;llig. Wenn eine in<lb/>
Bewegung ge&#x017F;etzte Kugel auf eine andere ruhende zufa&#x0364;h-<lb/>
ret, &#x017F;o muß zum minde&#x017F;ten eine von ihnen, wenn nicht<lb/>
alle beide ihren Zu&#x017F;tand vera&#x0364;ndern. Jch &#x017F;age, dieß<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J i 2</fw><fw place="bottom" type="catch">letztere</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[499/0559] der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c. Uebergang der Denkkraft nach dem Geſetz der Subſti- tution, und nach den uͤbrigen nothwendigen Denkge- ſetzen vor ſich gehet, und nur nicht von einer bloßen Aſ- ſociation verſchiedener, an ſich trennbarer, Jdeen in der Einbildungskraft, abhaͤnget. Denn wo dieß letztere Statt findet, da kann alles vorhergehende bleiben, wie es iſt, und die Reflexion dennoch einen andern Gang nehmen, als ſie wirklich nimmt. Wenn alſo der Ge- danke: „dieſe Wirkung muß erfolgen, und auf eine be- ſtimmte Art erfolgen, wo eine beſtimmte Urſache unter beſtimmten Umſtaͤnden vorhanden iſt,‟ eine nothwen- dige Folge von der vorhergehenden Jdee von der Urſache ſeyn ſoll, ſo wird entweder eine unmittelbare Folge- rung gemacht, oder es wird Einerley fuͤr Einerley ſub- ſtituiret. Die Wirkung, welche hervorgebracht wird, muß in dieſem Fall Einerley mit dem ſeyn, was in den Jdeen von der Aktion der Urſache ſchon enthalten iſt, nur daß jenes in einem andern Subjekte vorgeſtellet wird. Oder mit andern Worten: die Wirkung in dem Dinge, welches ſie aufnimmt, muß einerley, und gleich- ſam nur die Fortſetzung von dem ſeyn, was in der Thaͤtigkeit der wirkenden Kraft als vorhanden vorgeſtel- let und gedacht wird. Da ſehen wir moͤgliche Faͤlle, wo der Gedanke von der urſachlichen Verbindung ſeiner Form nach ein ſubjektiviſch abſolut nothwendiger Gedanke ſeyn wuͤrde; aber zugleich ſieht man auch den Grund, warum von unſern Verhaͤltnißgedanken uͤber die wirklichen Verknuͤpfungen in der Welt ſo wenige oder gar keine dahin gehoͤren. Wir begreifen bey den wirklichen Verurſachungen manches, aber keine von ihnen voͤllig. Wenn eine in Bewegung geſetzte Kugel auf eine andere ruhende zufaͤh- ret, ſo muß zum mindeſten eine von ihnen, wenn nicht alle beide ihren Zuſtand veraͤndern. Jch ſage, dieß letztere J i 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/559
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/559>, abgerufen am 16.07.2024.