nünftiger Mann lachte einstmals einem Naturlehrer ins Gesicht, als dieser ihm sagte, daß er nach der Ursache forsche, warum ein Körper, den man aus der Hand lasse, herunterfalle; denn es schien dem ersten dieß eben so sehr sich von selbst zu verstehen, als daß zweymal zwey viere machen.
Jch übergehe, was in jeder guten Vernunftlehre über diese Gattung von Gemeinsätzen gesagt wird. Die Jnduktion ist allemal, wenn die Sätze von einigem Um- fang sind, unvollständig; man kann aber demohngeach- tet durch einen Hülfsschluß sich bey einigen von ihrer Allgemeinheit überzeugen. Einige aus dieser Klasse möchten durch eine genauere Entwickelung der Begriffe in die Klasse der nothwendigen Vernunftsätze gebracht werden können. Aber in wie vielen Fällen hat man diese Umänderung in der Philosophie nicht vergeblich versuchet? Die Metaphysiker haben nur gar zu gerne Sätze, die eigentlich nichts anders, als physische, psy- chologische und auch wohl kosmologische Beobachtungs- sätze seyn konnten, durch Demonstrationen aus Begrif- fen zu allgemeinen transcendenten Vernunftsätzen machen wollen, und dieß hat einigen Schein bey solchen gehabt, wie die allgemeinsten Bewegungsgesetze sind, worinn wirklich etwas allgemeines enthalten ist, was zu den nothwendigen Grundsätzen hingehöret. Nur hätte man dieß nicht auf ihren ganzen Jnhalt ausdehnen sollen. Jch übergehe diese Anmerkungen mit andern.
Diese allgemeinen Erfahrungssätze sind ein großer Schatz in unserer menschlichen Erkenntniß. Noch mehr. Sie sind das reelleste in ihr, und die wahren Materia- lien zu der Erkenntniß von wirklichen Dingen. Aber dennoch sind sie allein genommen, auch nichts mehr als dieß, nichts mehr als die Materie der reellen Erkennt- niß, und zwar bloße Materie, die nicht verbunden, nicht in Zusammenhang und Form gebracht werden kann,
wenn
I.Band. G g
der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
nuͤnftiger Mann lachte einſtmals einem Naturlehrer ins Geſicht, als dieſer ihm ſagte, daß er nach der Urſache forſche, warum ein Koͤrper, den man aus der Hand laſſe, herunterfalle; denn es ſchien dem erſten dieß eben ſo ſehr ſich von ſelbſt zu verſtehen, als daß zweymal zwey viere machen.
Jch uͤbergehe, was in jeder guten Vernunftlehre uͤber dieſe Gattung von Gemeinſaͤtzen geſagt wird. Die Jnduktion iſt allemal, wenn die Saͤtze von einigem Um- fang ſind, unvollſtaͤndig; man kann aber demohngeach- tet durch einen Huͤlfsſchluß ſich bey einigen von ihrer Allgemeinheit uͤberzeugen. Einige aus dieſer Klaſſe moͤchten durch eine genauere Entwickelung der Begriffe in die Klaſſe der nothwendigen Vernunftſaͤtze gebracht werden koͤnnen. Aber in wie vielen Faͤllen hat man dieſe Umaͤnderung in der Philoſophie nicht vergeblich verſuchet? Die Metaphyſiker haben nur gar zu gerne Saͤtze, die eigentlich nichts anders, als phyſiſche, pſy- chologiſche und auch wohl kosmologiſche Beobachtungs- ſaͤtze ſeyn konnten, durch Demonſtrationen aus Begrif- fen zu allgemeinen tranſcendenten Vernunftſaͤtzen machen wollen, und dieß hat einigen Schein bey ſolchen gehabt, wie die allgemeinſten Bewegungsgeſetze ſind, worinn wirklich etwas allgemeines enthalten iſt, was zu den nothwendigen Grundſaͤtzen hingehoͤret. Nur haͤtte man dieß nicht auf ihren ganzen Jnhalt ausdehnen ſollen. Jch uͤbergehe dieſe Anmerkungen mit andern.
Dieſe allgemeinen Erfahrungsſaͤtze ſind ein großer Schatz in unſerer menſchlichen Erkenntniß. Noch mehr. Sie ſind das reelleſte in ihr, und die wahren Materia- lien zu der Erkenntniß von wirklichen Dingen. Aber dennoch ſind ſie allein genommen, auch nichts mehr als dieß, nichts mehr als die Materie der reellen Erkennt- niß, und zwar bloße Materie, die nicht verbunden, nicht in Zuſammenhang und Form gebracht werden kann,
wenn
I.Band. G g
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0525"n="465"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.</hi></fw><lb/>
nuͤnftiger Mann lachte einſtmals einem Naturlehrer ins<lb/>
Geſicht, als dieſer ihm ſagte, daß er nach der Urſache<lb/>
forſche, warum ein Koͤrper, den man aus der Hand laſſe,<lb/>
herunterfalle; denn es ſchien dem erſten dieß eben ſo ſehr<lb/>ſich von ſelbſt zu verſtehen, als daß zweymal zwey viere<lb/>
machen.</p><lb/><p>Jch uͤbergehe, was in jeder guten Vernunftlehre<lb/>
uͤber dieſe Gattung von Gemeinſaͤtzen geſagt wird. Die<lb/>
Jnduktion iſt allemal, wenn die Saͤtze von einigem Um-<lb/>
fang ſind, unvollſtaͤndig; man kann aber demohngeach-<lb/>
tet durch einen Huͤlfsſchluß ſich bey einigen von ihrer<lb/>
Allgemeinheit uͤberzeugen. Einige aus dieſer Klaſſe<lb/>
moͤchten durch eine genauere Entwickelung der Begriffe<lb/>
in die Klaſſe der nothwendigen Vernunftſaͤtze gebracht<lb/>
werden koͤnnen. Aber in wie vielen Faͤllen hat man<lb/>
dieſe Umaͤnderung in der Philoſophie nicht vergeblich<lb/>
verſuchet? Die Metaphyſiker haben nur gar zu gerne<lb/>
Saͤtze, die eigentlich nichts anders, als phyſiſche, pſy-<lb/>
chologiſche und auch wohl kosmologiſche Beobachtungs-<lb/>ſaͤtze ſeyn konnten, durch Demonſtrationen aus Begrif-<lb/>
fen zu allgemeinen tranſcendenten Vernunftſaͤtzen machen<lb/>
wollen, und dieß hat einigen Schein bey ſolchen gehabt,<lb/>
wie die allgemeinſten Bewegungsgeſetze ſind, worinn<lb/>
wirklich etwas allgemeines enthalten iſt, was zu den<lb/>
nothwendigen Grundſaͤtzen hingehoͤret. Nur haͤtte man<lb/>
dieß nicht auf ihren ganzen Jnhalt ausdehnen ſollen.<lb/>
Jch uͤbergehe dieſe Anmerkungen mit andern.</p><lb/><p>Dieſe allgemeinen Erfahrungsſaͤtze ſind ein großer<lb/>
Schatz in unſerer menſchlichen Erkenntniß. Noch mehr.<lb/>
Sie ſind das reelleſte in ihr, und die wahren Materia-<lb/>
lien zu der Erkenntniß von wirklichen Dingen. Aber<lb/>
dennoch ſind ſie allein genommen, auch nichts mehr als<lb/>
dieß, nichts mehr als die Materie der reellen Erkennt-<lb/>
niß, und zwar bloße Materie, die nicht verbunden,<lb/>
nicht in Zuſammenhang und Form gebracht werden kann,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">I.</hi><hirendition="#fr">Band.</hi> G g</fw><fwplace="bottom"type="catch">wenn</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[465/0525]
der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
nuͤnftiger Mann lachte einſtmals einem Naturlehrer ins
Geſicht, als dieſer ihm ſagte, daß er nach der Urſache
forſche, warum ein Koͤrper, den man aus der Hand laſſe,
herunterfalle; denn es ſchien dem erſten dieß eben ſo ſehr
ſich von ſelbſt zu verſtehen, als daß zweymal zwey viere
machen.
Jch uͤbergehe, was in jeder guten Vernunftlehre
uͤber dieſe Gattung von Gemeinſaͤtzen geſagt wird. Die
Jnduktion iſt allemal, wenn die Saͤtze von einigem Um-
fang ſind, unvollſtaͤndig; man kann aber demohngeach-
tet durch einen Huͤlfsſchluß ſich bey einigen von ihrer
Allgemeinheit uͤberzeugen. Einige aus dieſer Klaſſe
moͤchten durch eine genauere Entwickelung der Begriffe
in die Klaſſe der nothwendigen Vernunftſaͤtze gebracht
werden koͤnnen. Aber in wie vielen Faͤllen hat man
dieſe Umaͤnderung in der Philoſophie nicht vergeblich
verſuchet? Die Metaphyſiker haben nur gar zu gerne
Saͤtze, die eigentlich nichts anders, als phyſiſche, pſy-
chologiſche und auch wohl kosmologiſche Beobachtungs-
ſaͤtze ſeyn konnten, durch Demonſtrationen aus Begrif-
fen zu allgemeinen tranſcendenten Vernunftſaͤtzen machen
wollen, und dieß hat einigen Schein bey ſolchen gehabt,
wie die allgemeinſten Bewegungsgeſetze ſind, worinn
wirklich etwas allgemeines enthalten iſt, was zu den
nothwendigen Grundſaͤtzen hingehoͤret. Nur haͤtte man
dieß nicht auf ihren ganzen Jnhalt ausdehnen ſollen.
Jch uͤbergehe dieſe Anmerkungen mit andern.
Dieſe allgemeinen Erfahrungsſaͤtze ſind ein großer
Schatz in unſerer menſchlichen Erkenntniß. Noch mehr.
Sie ſind das reelleſte in ihr, und die wahren Materia-
lien zu der Erkenntniß von wirklichen Dingen. Aber
dennoch ſind ſie allein genommen, auch nichts mehr als
dieß, nichts mehr als die Materie der reellen Erkennt-
niß, und zwar bloße Materie, die nicht verbunden,
nicht in Zuſammenhang und Form gebracht werden kann,
wenn
I. Band. G g
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/525>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.