Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Versuch. Ueber den Unterschied
sich zu haben, um richtig über die Sachen zu urtheilen.
Dieß findet erstlich da statt, wo die Sachen selbst einer-
ley Beziehungen haben mit ihren Zeichen, wie sich bey
den völlig angemessenen Zeichen der Mathematiker, und
auch bey den Wörtern der philosophischen Sprache, wenn
diese erfunden wäre, am deutlichsten zeigen würde, son-
sten aber bis auf einen gewissen Grad, so weit nemlich
die Analogie der Wörter mit den Gedanken sich erstre-
cket, bey jedwedem Ausdruck geschehen kann. Zwey-
tens auch in den Urtheilen über die ersten Grund-Ge-
meinbegriffe,
die von einer solchen Allgemeinheit sind,
daß sie sowohl die Zeichen, als jede andere Sachen un-
ter sich begreifen. Die ersten Grundsätze des Ver-
standes sind Urtheile, die von keinen besondern Beschaf-
fenheiten der Vorstellungen abhangen, sondern von jed-
weder Art von Dingen, von Jdeen, von Zeichen der
Jdeen, und von Objekten gleich richtig sind. Sie be-
stehen in Verhältnißgedanken, die bey der Vergleichung
und Verbindung jedweder Art vor Dingen, Sachen,
Wörter, Buchstaben, und was es auch seyn mag, das
sich der Denkkraft darstellet, überall auf eine und die-
selbige Art gedacht werden. Z. B. Jn dem Grundge-
meinsatz, den man das Princip der Jdentität nen-
net; A ist A, kann man sagen, die verglichenen Begrif-
fe sind die Buchstaben selbst. Aber um den ganzen Um-
fang des Satzes zu verstehen, muß man nicht blos bey
dem Buchstaben stehen bleiben. Denn hier ist das Zei-
chen A, obgleich der Satz auch von diesem Zeichen rich-
tig ist, das allgemeinste Zeichen eines jeden Dinges, ei-
ner jeden Vorstellung und eines jeden Begrifs.

2.

Die Entstehungsart der allgemeinen Urtheile und
Gemeinsätze der Vernunft, ist ohne Zweifel das
wichtigste und dunkelste in der ganzen Oekonomie des

Menschen-

VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied
ſich zu haben, um richtig uͤber die Sachen zu urtheilen.
Dieß findet erſtlich da ſtatt, wo die Sachen ſelbſt einer-
ley Beziehungen haben mit ihren Zeichen, wie ſich bey
den voͤllig angemeſſenen Zeichen der Mathematiker, und
auch bey den Woͤrtern der philoſophiſchen Sprache, wenn
dieſe erfunden waͤre, am deutlichſten zeigen wuͤrde, ſon-
ſten aber bis auf einen gewiſſen Grad, ſo weit nemlich
die Analogie der Woͤrter mit den Gedanken ſich erſtre-
cket, bey jedwedem Ausdruck geſchehen kann. Zwey-
tens auch in den Urtheilen uͤber die erſten Grund-Ge-
meinbegriffe,
die von einer ſolchen Allgemeinheit ſind,
daß ſie ſowohl die Zeichen, als jede andere Sachen un-
ter ſich begreifen. Die erſten Grundſaͤtze des Ver-
ſtandes ſind Urtheile, die von keinen beſondern Beſchaf-
fenheiten der Vorſtellungen abhangen, ſondern von jed-
weder Art von Dingen, von Jdeen, von Zeichen der
Jdeen, und von Objekten gleich richtig ſind. Sie be-
ſtehen in Verhaͤltnißgedanken, die bey der Vergleichung
und Verbindung jedweder Art vor Dingen, Sachen,
Woͤrter, Buchſtaben, und was es auch ſeyn mag, das
ſich der Denkkraft darſtellet, uͤberall auf eine und die-
ſelbige Art gedacht werden. Z. B. Jn dem Grundge-
meinſatz, den man das Princip der Jdentitaͤt nen-
net; A iſt A, kann man ſagen, die verglichenen Begrif-
fe ſind die Buchſtaben ſelbſt. Aber um den ganzen Um-
fang des Satzes zu verſtehen, muß man nicht blos bey
dem Buchſtaben ſtehen bleiben. Denn hier iſt das Zei-
chen A, obgleich der Satz auch von dieſem Zeichen rich-
tig iſt, das allgemeinſte Zeichen eines jeden Dinges, ei-
ner jeden Vorſtellung und eines jeden Begrifs.

2.

Die Entſtehungsart der allgemeinen Urtheile und
Gemeinſaͤtze der Vernunft, iſt ohne Zweifel das
wichtigſte und dunkelſte in der ganzen Oekonomie des

Menſchen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0522" n="462"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber den Unter&#x017F;chied</hi></fw><lb/>
&#x017F;ich zu haben, um richtig u&#x0364;ber die <hi rendition="#fr">Sachen</hi> zu urtheilen.<lb/>
Dieß findet er&#x017F;tlich da &#x017F;tatt, wo die Sachen &#x017F;elb&#x017F;t einer-<lb/>
ley Beziehungen haben mit ihren Zeichen, wie &#x017F;ich bey<lb/>
den vo&#x0364;llig angeme&#x017F;&#x017F;enen Zeichen der Mathematiker, und<lb/>
auch bey den Wo&#x0364;rtern der philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Sprache, wenn<lb/>
die&#x017F;e erfunden wa&#x0364;re, am deutlich&#x017F;ten zeigen wu&#x0364;rde, &#x017F;on-<lb/>
&#x017F;ten aber bis auf einen gewi&#x017F;&#x017F;en Grad, &#x017F;o weit nemlich<lb/>
die Analogie der Wo&#x0364;rter mit den Gedanken &#x017F;ich er&#x017F;tre-<lb/>
cket, bey jedwedem Ausdruck ge&#x017F;chehen kann. Zwey-<lb/>
tens auch in den Urtheilen u&#x0364;ber die <hi rendition="#fr">er&#x017F;ten Grund-Ge-<lb/>
meinbegriffe,</hi> die von einer &#x017F;olchen Allgemeinheit &#x017F;ind,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;owohl die Zeichen, als jede andere Sachen un-<lb/>
ter &#x017F;ich begreifen. Die <hi rendition="#fr">er&#x017F;ten Grund&#x017F;a&#x0364;tze</hi> des Ver-<lb/>
&#x017F;tandes &#x017F;ind Urtheile, die von keinen be&#x017F;ondern Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheiten der Vor&#x017F;tellungen abhangen, &#x017F;ondern von jed-<lb/>
weder Art von Dingen, von Jdeen, von Zeichen der<lb/>
Jdeen, und von Objekten gleich richtig &#x017F;ind. Sie be-<lb/>
&#x017F;tehen in Verha&#x0364;ltnißgedanken, die bey der Vergleichung<lb/>
und Verbindung jedweder Art vor Dingen, Sachen,<lb/>
Wo&#x0364;rter, Buch&#x017F;taben, und was es auch &#x017F;eyn mag, das<lb/>
&#x017F;ich der Denkkraft dar&#x017F;tellet, u&#x0364;berall auf eine und die-<lb/>
&#x017F;elbige Art gedacht werden. Z. B. Jn dem Grundge-<lb/>
mein&#x017F;atz, den man das <hi rendition="#fr">Princip der Jdentita&#x0364;t</hi> nen-<lb/>
net; <hi rendition="#aq">A</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#aq">A,</hi> kann man &#x017F;agen, die verglichenen Begrif-<lb/>
fe &#x017F;ind die Buch&#x017F;taben &#x017F;elb&#x017F;t. Aber um den ganzen Um-<lb/>
fang des Satzes zu ver&#x017F;tehen, muß man nicht blos bey<lb/>
dem Buch&#x017F;taben &#x017F;tehen bleiben. Denn hier i&#x017F;t das Zei-<lb/>
chen <hi rendition="#aq">A,</hi> obgleich der Satz auch von die&#x017F;em Zeichen rich-<lb/>
tig i&#x017F;t, das allgemein&#x017F;te Zeichen eines jeden Dinges, ei-<lb/>
ner jeden Vor&#x017F;tellung und eines jeden Begrifs.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>2.</head><lb/>
            <p>Die Ent&#x017F;tehungsart der allgemeinen Urtheile und<lb/><hi rendition="#fr">Gemein&#x017F;a&#x0364;tze der Vernunft,</hi> i&#x017F;t ohne Zweifel das<lb/>
wichtig&#x017F;te und dunkel&#x017F;te in der ganzen Oekonomie des<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Men&#x017F;chen-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[462/0522] VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied ſich zu haben, um richtig uͤber die Sachen zu urtheilen. Dieß findet erſtlich da ſtatt, wo die Sachen ſelbſt einer- ley Beziehungen haben mit ihren Zeichen, wie ſich bey den voͤllig angemeſſenen Zeichen der Mathematiker, und auch bey den Woͤrtern der philoſophiſchen Sprache, wenn dieſe erfunden waͤre, am deutlichſten zeigen wuͤrde, ſon- ſten aber bis auf einen gewiſſen Grad, ſo weit nemlich die Analogie der Woͤrter mit den Gedanken ſich erſtre- cket, bey jedwedem Ausdruck geſchehen kann. Zwey- tens auch in den Urtheilen uͤber die erſten Grund-Ge- meinbegriffe, die von einer ſolchen Allgemeinheit ſind, daß ſie ſowohl die Zeichen, als jede andere Sachen un- ter ſich begreifen. Die erſten Grundſaͤtze des Ver- ſtandes ſind Urtheile, die von keinen beſondern Beſchaf- fenheiten der Vorſtellungen abhangen, ſondern von jed- weder Art von Dingen, von Jdeen, von Zeichen der Jdeen, und von Objekten gleich richtig ſind. Sie be- ſtehen in Verhaͤltnißgedanken, die bey der Vergleichung und Verbindung jedweder Art vor Dingen, Sachen, Woͤrter, Buchſtaben, und was es auch ſeyn mag, das ſich der Denkkraft darſtellet, uͤberall auf eine und die- ſelbige Art gedacht werden. Z. B. Jn dem Grundge- meinſatz, den man das Princip der Jdentitaͤt nen- net; A iſt A, kann man ſagen, die verglichenen Begrif- fe ſind die Buchſtaben ſelbſt. Aber um den ganzen Um- fang des Satzes zu verſtehen, muß man nicht blos bey dem Buchſtaben ſtehen bleiben. Denn hier iſt das Zei- chen A, obgleich der Satz auch von dieſem Zeichen rich- tig iſt, das allgemeinſte Zeichen eines jeden Dinges, ei- ner jeden Vorſtellung und eines jeden Begrifs. 2. Die Entſtehungsart der allgemeinen Urtheile und Gemeinſaͤtze der Vernunft, iſt ohne Zweifel das wichtigſte und dunkelſte in der ganzen Oekonomie des Menſchen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/522
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/522>, abgerufen am 22.11.2024.