Empfindung habe. Dennoch sehe ich den Thurm grö- ßer, als meinen Finger, mit dem ich sonsten ihn leicht ganz vor meinen Augen bedecken kann.
Die gewöhnlichen Erklärungen, die man von diesen sichtlichen Scheinarten giebet, nach welchen sie Wirkun- gen einer schlußartigen Verknüpfung von Jdeen seyn sollen, gestehe ich, gefallen mir nicht. Die Jdeenasso- ciation ist allerdings mit ein Spiel und hindert hier, wie bey andern Empfindungen bekannter Gegenstände, nur zu oft die Aufmerksamkeit, das, was wirklich eine Em- pfindung ist, von dem, was wir hinzudenken, zu unter- scheiden. Aber das bey Seite gesetzet, was sie unter besondern Unständen vermag, so deucht mich doch, man habe ihr in dem erwähnten Fällen zu viel beygeleget. Unser sinnliches Urtheil darf hier nicht nothwendig auf- hören, ein unmittelbares Urtheil und eine reine Beob- achtung zu seyn. Es ist wirklich das letztere, wenn nur dasjenige, dessen wir uns als gegenwärtig in der Jm- pression von dem Objekte klar und deutlich bewußt sind, mit der Sorgfalt bemerket wird, die ein scharfer Beob- achter in seiner Gewalt hat. Jch will meine Erklärung darüber hersetzen. Da aber eine solche Deduktion, wor- inn alle Behauptungen durch die nöthigen Beobachtun- gen beleget würden, hier viel zu weitläuftig seyn würde, so begnüge ich mich, diese Gedanken nur wie eine Hypo- these ansehen zu lassen.
Zuvörderst muß man wohl die Fälle unterscheiden, wo wir mit Sorgfalt auf den sinnlichen Eindruck acht haben, und die, wo dieß nicht geschicht. Das letztere ist das gewöhnlichste. Bey unsern individuellen Em- pfindungen beachten wir selten das Besondere und Eige- ne, wenn wir mit bekannten Objekten zu thun haben, die wir nur im Ganzen unterscheiden und greifen wollen. Der sichtliche Schein der Dinge, die um mich in mei- ner Stube sind, ändert sich ab, je nachdem das Licht sie
ändert,
der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
Empfindung habe. Dennoch ſehe ich den Thurm groͤ- ßer, als meinen Finger, mit dem ich ſonſten ihn leicht ganz vor meinen Augen bedecken kann.
Die gewoͤhnlichen Erklaͤrungen, die man von dieſen ſichtlichen Scheinarten giebet, nach welchen ſie Wirkun- gen einer ſchlußartigen Verknuͤpfung von Jdeen ſeyn ſollen, geſtehe ich, gefallen mir nicht. Die Jdeenaſſo- ciation iſt allerdings mit ein Spiel und hindert hier, wie bey andern Empfindungen bekannter Gegenſtaͤnde, nur zu oft die Aufmerkſamkeit, das, was wirklich eine Em- pfindung iſt, von dem, was wir hinzudenken, zu unter- ſcheiden. Aber das bey Seite geſetzet, was ſie unter beſondern Unſtaͤnden vermag, ſo deucht mich doch, man habe ihr in dem erwaͤhnten Faͤllen zu viel beygeleget. Unſer ſinnliches Urtheil darf hier nicht nothwendig auf- hoͤren, ein unmittelbares Urtheil und eine reine Beob- achtung zu ſeyn. Es iſt wirklich das letztere, wenn nur dasjenige, deſſen wir uns als gegenwaͤrtig in der Jm- preſſion von dem Objekte klar und deutlich bewußt ſind, mit der Sorgfalt bemerket wird, die ein ſcharfer Beob- achter in ſeiner Gewalt hat. Jch will meine Erklaͤrung daruͤber herſetzen. Da aber eine ſolche Deduktion, wor- inn alle Behauptungen durch die noͤthigen Beobachtun- gen beleget wuͤrden, hier viel zu weitlaͤuftig ſeyn wuͤrde, ſo begnuͤge ich mich, dieſe Gedanken nur wie eine Hypo- theſe anſehen zu laſſen.
Zuvoͤrderſt muß man wohl die Faͤlle unterſcheiden, wo wir mit Sorgfalt auf den ſinnlichen Eindruck acht haben, und die, wo dieß nicht geſchicht. Das letztere iſt das gewoͤhnlichſte. Bey unſern individuellen Em- pfindungen beachten wir ſelten das Beſondere und Eige- ne, wenn wir mit bekannten Objekten zu thun haben, die wir nur im Ganzen unterſcheiden und greifen wollen. Der ſichtliche Schein der Dinge, die um mich in mei- ner Stube ſind, aͤndert ſich ab, je nachdem das Licht ſie
aͤndert,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0503"n="443"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.</hi></fw><lb/>
Empfindung habe. Dennoch <hirendition="#fr">ſehe</hi> ich den Thurm groͤ-<lb/>
ßer, als meinen Finger, mit dem ich ſonſten ihn leicht<lb/>
ganz vor meinen Augen bedecken kann.</p><lb/><p>Die gewoͤhnlichen Erklaͤrungen, die man von dieſen<lb/>ſichtlichen Scheinarten giebet, nach welchen ſie Wirkun-<lb/>
gen einer ſchlußartigen Verknuͤpfung von Jdeen ſeyn<lb/>ſollen, geſtehe ich, gefallen mir nicht. Die Jdeenaſſo-<lb/>
ciation iſt allerdings mit ein Spiel und hindert hier, wie<lb/>
bey andern Empfindungen bekannter Gegenſtaͤnde, nur<lb/>
zu oft die Aufmerkſamkeit, das, was wirklich eine Em-<lb/>
pfindung iſt, von dem, was wir hinzudenken, zu unter-<lb/>ſcheiden. Aber das bey Seite geſetzet, was ſie unter<lb/>
beſondern Unſtaͤnden vermag, ſo deucht mich doch, man<lb/>
habe ihr in dem erwaͤhnten Faͤllen zu viel beygeleget.<lb/>
Unſer ſinnliches Urtheil darf hier nicht nothwendig auf-<lb/>
hoͤren, ein <hirendition="#fr">unmittelbares</hi> Urtheil und eine <hirendition="#fr">reine</hi> Beob-<lb/>
achtung zu ſeyn. Es iſt wirklich das letztere, wenn nur<lb/>
dasjenige, deſſen wir uns als gegenwaͤrtig in der Jm-<lb/>
preſſion von dem Objekte klar und deutlich bewußt ſind,<lb/>
mit der Sorgfalt bemerket wird, die ein ſcharfer Beob-<lb/>
achter in ſeiner Gewalt hat. Jch will meine Erklaͤrung<lb/>
daruͤber herſetzen. Da aber eine ſolche Deduktion, wor-<lb/>
inn alle Behauptungen durch die noͤthigen Beobachtun-<lb/>
gen beleget wuͤrden, hier viel zu weitlaͤuftig ſeyn wuͤrde,<lb/>ſo begnuͤge ich mich, dieſe Gedanken nur wie eine Hypo-<lb/>
theſe anſehen zu laſſen.</p><lb/><p>Zuvoͤrderſt muß man wohl die Faͤlle unterſcheiden,<lb/>
wo wir mit Sorgfalt auf den ſinnlichen Eindruck acht<lb/>
haben, und die, wo dieß nicht geſchicht. Das letztere<lb/>
iſt das gewoͤhnlichſte. Bey unſern individuellen Em-<lb/>
pfindungen beachten wir ſelten das Beſondere und Eige-<lb/>
ne, wenn wir mit bekannten Objekten zu thun haben,<lb/>
die wir nur im Ganzen unterſcheiden und greifen wollen.<lb/>
Der ſichtliche Schein der Dinge, die um mich in mei-<lb/>
ner Stube ſind, aͤndert ſich ab, je nachdem das Licht ſie<lb/><fwplace="bottom"type="catch">aͤndert,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[443/0503]
der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
Empfindung habe. Dennoch ſehe ich den Thurm groͤ-
ßer, als meinen Finger, mit dem ich ſonſten ihn leicht
ganz vor meinen Augen bedecken kann.
Die gewoͤhnlichen Erklaͤrungen, die man von dieſen
ſichtlichen Scheinarten giebet, nach welchen ſie Wirkun-
gen einer ſchlußartigen Verknuͤpfung von Jdeen ſeyn
ſollen, geſtehe ich, gefallen mir nicht. Die Jdeenaſſo-
ciation iſt allerdings mit ein Spiel und hindert hier, wie
bey andern Empfindungen bekannter Gegenſtaͤnde, nur
zu oft die Aufmerkſamkeit, das, was wirklich eine Em-
pfindung iſt, von dem, was wir hinzudenken, zu unter-
ſcheiden. Aber das bey Seite geſetzet, was ſie unter
beſondern Unſtaͤnden vermag, ſo deucht mich doch, man
habe ihr in dem erwaͤhnten Faͤllen zu viel beygeleget.
Unſer ſinnliches Urtheil darf hier nicht nothwendig auf-
hoͤren, ein unmittelbares Urtheil und eine reine Beob-
achtung zu ſeyn. Es iſt wirklich das letztere, wenn nur
dasjenige, deſſen wir uns als gegenwaͤrtig in der Jm-
preſſion von dem Objekte klar und deutlich bewußt ſind,
mit der Sorgfalt bemerket wird, die ein ſcharfer Beob-
achter in ſeiner Gewalt hat. Jch will meine Erklaͤrung
daruͤber herſetzen. Da aber eine ſolche Deduktion, wor-
inn alle Behauptungen durch die noͤthigen Beobachtun-
gen beleget wuͤrden, hier viel zu weitlaͤuftig ſeyn wuͤrde,
ſo begnuͤge ich mich, dieſe Gedanken nur wie eine Hypo-
theſe anſehen zu laſſen.
Zuvoͤrderſt muß man wohl die Faͤlle unterſcheiden,
wo wir mit Sorgfalt auf den ſinnlichen Eindruck acht
haben, und die, wo dieß nicht geſchicht. Das letztere
iſt das gewoͤhnlichſte. Bey unſern individuellen Em-
pfindungen beachten wir ſelten das Beſondere und Eige-
ne, wenn wir mit bekannten Objekten zu thun haben,
die wir nur im Ganzen unterſcheiden und greifen wollen.
Der ſichtliche Schein der Dinge, die um mich in mei-
ner Stube ſind, aͤndert ſich ab, je nachdem das Licht ſie
aͤndert,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/503>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.