Daß hier die Jdeenassociation das bewirken soll- te, was man ihr zuschreibet, hat in der That sehr vieles gegen sich, wodurch es unwahrscheinlich wird. Wenn der Astronom gleich völlig überzeugt ist, daß die Sonne viele millionenmal größer ist, als der Mond, so ist er doch bey der möglichsten Anstrengung seiner Phantasie unvermögend, den sichtlichen Schein umzuändern, und dieß müßte in den angeführten Beyspielen der gegebenen Erklärung zu Folge, doch geschehen. Der Schein aus der Empfindung soll durch eine reproducirte Einbildung umgeändert, oder doch von ihr verdränget werden. Die Phantasie ist allerdings sehr mächtig, und giebt den Em- pfindungen Farben und Gestalten, die sie nicht haben. Dieß muß allerdings eingeräumet werden, aber wenn man genauer nachsieht, so bemerket man, daß sie diese ihre Metamorphosen mehr in der Wiedererinnerung der Empfindungen, als während des Gefühls selbst zu Stande bringe. So lange wir empfinden, und auf das gegenwärtige aufmerksam sind, läßt sich der wahre Ein- druck noch nicht so schwer von der begleitenden Einbil- dung auskennen; nur wenn die gegenwärtige Empfin- dung vorüber ist, und dann in eben der Gestalt, wie ei- ne andere Einbildung wieder gegenwärtig wird, so ver- liert sich eines von ihren vorigen Merkmalen, und dann wird sie nur zu leicht mit den Phantasien, die sie ehemals begleiteten, so vermischt, daß diese mit ihr als Eine ehe- malige Empfindung sich darstellen. So lange die Em- pfindung selbst oder die Empfindungsvorstellung noch fortdauert, hat sie über die zugleich gegenwärtige schwä- chere Einbildung einen größern Vorzug, der von dem scharfen und ruhig und mit Sorgfalt beobachtenden Selbstgefühl gefaßt werden kann. Es geschicht oft ge- nug, daß sie dennoch mit der Empfindung verwechselt wird; aber wo es gar nicht angeht, daß sie unterschie- den werden kann, da haben wir auch keine Sicherheit,
daß
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der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
Daß hier die Jdeenaſſociation das bewirken ſoll- te, was man ihr zuſchreibet, hat in der That ſehr vieles gegen ſich, wodurch es unwahrſcheinlich wird. Wenn der Aſtronom gleich voͤllig uͤberzeugt iſt, daß die Sonne viele millionenmal groͤßer iſt, als der Mond, ſo iſt er doch bey der moͤglichſten Anſtrengung ſeiner Phantaſie unvermoͤgend, den ſichtlichen Schein umzuaͤndern, und dieß muͤßte in den angefuͤhrten Beyſpielen der gegebenen Erklaͤrung zu Folge, doch geſchehen. Der Schein aus der Empfindung ſoll durch eine reproducirte Einbildung umgeaͤndert, oder doch von ihr verdraͤnget werden. Die Phantaſie iſt allerdings ſehr maͤchtig, und giebt den Em- pfindungen Farben und Geſtalten, die ſie nicht haben. Dieß muß allerdings eingeraͤumet werden, aber wenn man genauer nachſieht, ſo bemerket man, daß ſie dieſe ihre Metamorphoſen mehr in der Wiedererinnerung der Empfindungen, als waͤhrend des Gefuͤhls ſelbſt zu Stande bringe. So lange wir empfinden, und auf das gegenwaͤrtige aufmerkſam ſind, laͤßt ſich der wahre Ein- druck noch nicht ſo ſchwer von der begleitenden Einbil- dung auskennen; nur wenn die gegenwaͤrtige Empfin- dung voruͤber iſt, und dann in eben der Geſtalt, wie ei- ne andere Einbildung wieder gegenwaͤrtig wird, ſo ver- liert ſich eines von ihren vorigen Merkmalen, und dann wird ſie nur zu leicht mit den Phantaſien, die ſie ehemals begleiteten, ſo vermiſcht, daß dieſe mit ihr als Eine ehe- malige Empfindung ſich darſtellen. So lange die Em- pfindung ſelbſt oder die Empfindungsvorſtellung noch fortdauert, hat ſie uͤber die zugleich gegenwaͤrtige ſchwaͤ- chere Einbildung einen groͤßern Vorzug, der von dem ſcharfen und ruhig und mit Sorgfalt beobachtenden Selbſtgefuͤhl gefaßt werden kann. Es geſchicht oft ge- nug, daß ſie dennoch mit der Empfindung verwechſelt wird; aber wo es gar nicht angeht, daß ſie unterſchie- den werden kann, da haben wir auch keine Sicherheit,
daß
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der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
Daß hier die Jdeenaſſociation das bewirken ſoll-
te, was man ihr zuſchreibet, hat in der That ſehr vieles
gegen ſich, wodurch es unwahrſcheinlich wird. Wenn
der Aſtronom gleich voͤllig uͤberzeugt iſt, daß die Sonne
viele millionenmal groͤßer iſt, als der Mond, ſo iſt er
doch bey der moͤglichſten Anſtrengung ſeiner Phantaſie
unvermoͤgend, den ſichtlichen Schein umzuaͤndern, und
dieß muͤßte in den angefuͤhrten Beyſpielen der gegebenen
Erklaͤrung zu Folge, doch geſchehen. Der Schein aus
der Empfindung ſoll durch eine reproducirte Einbildung
umgeaͤndert, oder doch von ihr verdraͤnget werden. Die
Phantaſie iſt allerdings ſehr maͤchtig, und giebt den Em-
pfindungen Farben und Geſtalten, die ſie nicht haben.
Dieß muß allerdings eingeraͤumet werden, aber wenn
man genauer nachſieht, ſo bemerket man, daß ſie dieſe
ihre Metamorphoſen mehr in der Wiedererinnerung
der Empfindungen, als waͤhrend des Gefuͤhls ſelbſt zu
Stande bringe. So lange wir empfinden, und auf das
gegenwaͤrtige aufmerkſam ſind, laͤßt ſich der wahre Ein-
druck noch nicht ſo ſchwer von der begleitenden Einbil-
dung auskennen; nur wenn die gegenwaͤrtige Empfin-
dung voruͤber iſt, und dann in eben der Geſtalt, wie ei-
ne andere Einbildung wieder gegenwaͤrtig wird, ſo ver-
liert ſich eines von ihren vorigen Merkmalen, und dann
wird ſie nur zu leicht mit den Phantaſien, die ſie ehemals
begleiteten, ſo vermiſcht, daß dieſe mit ihr als Eine ehe-
malige Empfindung ſich darſtellen. So lange die Em-
pfindung ſelbſt oder die Empfindungsvorſtellung noch
fortdauert, hat ſie uͤber die zugleich gegenwaͤrtige ſchwaͤ-
chere Einbildung einen groͤßern Vorzug, der von dem
ſcharfen und ruhig und mit Sorgfalt beobachtenden
Selbſtgefuͤhl gefaßt werden kann. Es geſchicht oft ge-
nug, daß ſie dennoch mit der Empfindung verwechſelt
wird; aber wo es gar nicht angeht, daß ſie unterſchie-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/501>, abgerufen am 22.11.2024.
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