Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Versuch. Ueber den Unterschied
len scheinet doch das Bewußtseyn, daß ich fühle und
empfinde, zu stark und zu lebhaft zu seyn, als daß ich
mir nur einbilden könnte, zu empfinden. Diese
Schwierigkeit verdienet eine nähere Betrachtung.

Das Empfindungsurtheil ist ein reines Empfin-
dungsurtheil, oder würde es doch seyn, wenn nichts
mehr, als eine bloße Beziehung zweer oder mehrerer
gegenwärtigen gefühlten Eindrücke, und deren Gewahr-
nehmung, darinn enthalten ist. Wenn ich nichts mehr
denke, als daß der Eindruck von einem Baum von dem
Eindruck der Hütte, bey dem er stehet, unterschieden ist,
so ist dieß ein solches einfaches Empfindungsurtheil, das
keine anderweitige Vorstellungen und keine Gemeinbil-
der voraussetzet, noch von Jdeenverknüpfung abhängt.
Solche einfache Urtheile sind in uns; aber ehe sie zu
Stande kommen, haben sie auch schon Gemeinbilder
abgesondert, die sich mit der Beziehung und mit der Ge-
wahrnehmung vereinigen.*)

Jedwedes Empfindungsurtheil, worinn wir einer
uns gegenwärtigen Sache eine Beschaffenheit zuschreiben,
die wir in dem sinnlichen Eindruck von ihr gewahrneh-
men, -- ich rede hier nur zunächst von den Empfindun-
gen äußerer Gegenstände, -- ist, so wie es nun in
uns ist, ein zusammengesetzter Gedanke, der unter seine
Jngredienzen allgemeine Vorstellungen oder Gemein-
bilder hat, die sich mit der gegenwärtigen Jmpression
verbinden. Die einfachste Beobachtung "das Feuer
leuchtet," faßt folgende Stücke in sich:

Erstlich einen gefühlten Eindruck oder eine sinn-
liche Jmpression von dem Feuer, und einen hervorste-
chenden Zug in ihr, der besonders gefühlet, von der
ganzen Jmpression unterschieden, und auf das Ganze,
wie eine Beschaffenheit auf ihr Subjett, bezogen
wird.

Dann
*) Sieh. Versuch 4. VI. 5.

VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied
len ſcheinet doch das Bewußtſeyn, daß ich fuͤhle und
empfinde, zu ſtark und zu lebhaft zu ſeyn, als daß ich
mir nur einbilden koͤnnte, zu empfinden. Dieſe
Schwierigkeit verdienet eine naͤhere Betrachtung.

Das Empfindungsurtheil iſt ein reines Empfin-
dungsurtheil, oder wuͤrde es doch ſeyn, wenn nichts
mehr, als eine bloße Beziehung zweer oder mehrerer
gegenwaͤrtigen gefuͤhlten Eindruͤcke, und deren Gewahr-
nehmung, darinn enthalten iſt. Wenn ich nichts mehr
denke, als daß der Eindruck von einem Baum von dem
Eindruck der Huͤtte, bey dem er ſtehet, unterſchieden iſt,
ſo iſt dieß ein ſolches einfaches Empfindungsurtheil, das
keine anderweitige Vorſtellungen und keine Gemeinbil-
der vorausſetzet, noch von Jdeenverknuͤpfung abhaͤngt.
Solche einfache Urtheile ſind in uns; aber ehe ſie zu
Stande kommen, haben ſie auch ſchon Gemeinbilder
abgeſondert, die ſich mit der Beziehung und mit der Ge-
wahrnehmung vereinigen.*)

Jedwedes Empfindungsurtheil, worinn wir einer
uns gegenwaͤrtigen Sache eine Beſchaffenheit zuſchreiben,
die wir in dem ſinnlichen Eindruck von ihr gewahrneh-
men, — ich rede hier nur zunaͤchſt von den Empfindun-
gen aͤußerer Gegenſtaͤnde, — iſt, ſo wie es nun in
uns iſt, ein zuſammengeſetzter Gedanke, der unter ſeine
Jngredienzen allgemeine Vorſtellungen oder Gemein-
bilder hat, die ſich mit der gegenwaͤrtigen Jmpreſſion
verbinden. Die einfachſte Beobachtung „das Feuer
leuchtet,“ faßt folgende Stuͤcke in ſich:

Erſtlich einen gefuͤhlten Eindruck oder eine ſinn-
liche Jmpreſſion von dem Feuer, und einen hervorſte-
chenden Zug in ihr, der beſonders gefuͤhlet, von der
ganzen Jmpreſſion unterſchieden, und auf das Ganze,
wie eine Beſchaffenheit auf ihr Subjett, bezogen
wird.

Dann
*) Sieh. Verſuch 4. VI. 5.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0494" n="434"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber den Unter&#x017F;chied</hi></fw><lb/>
len &#x017F;cheinet doch das Bewußt&#x017F;eyn, daß ich <hi rendition="#fr">fu&#x0364;hle</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">empfinde,</hi> zu &#x017F;tark und zu lebhaft zu &#x017F;eyn, als daß ich<lb/>
mir <hi rendition="#fr">nur einbilden</hi> ko&#x0364;nnte, zu empfinden. Die&#x017F;e<lb/>
Schwierigkeit verdienet eine na&#x0364;here Betrachtung.</p><lb/>
            <p>Das <hi rendition="#fr">Empfindungsurtheil</hi> i&#x017F;t ein <hi rendition="#fr">reines</hi> Empfin-<lb/>
dungsurtheil, oder wu&#x0364;rde es doch &#x017F;eyn, wenn nichts<lb/>
mehr, als eine bloße <hi rendition="#fr">Beziehung</hi> zweer oder mehrerer<lb/>
gegenwa&#x0364;rtigen gefu&#x0364;hlten Eindru&#x0364;cke, und deren Gewahr-<lb/>
nehmung, darinn enthalten i&#x017F;t. Wenn ich nichts mehr<lb/>
denke, als daß der Eindruck von einem Baum von dem<lb/>
Eindruck der Hu&#x0364;tte, bey dem er &#x017F;tehet, unter&#x017F;chieden i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t dieß ein &#x017F;olches einfaches Empfindungsurtheil, das<lb/>
keine anderweitige Vor&#x017F;tellungen und keine Gemeinbil-<lb/>
der voraus&#x017F;etzet, noch von Jdeenverknu&#x0364;pfung abha&#x0364;ngt.<lb/>
Solche <hi rendition="#fr">einfache</hi> Urtheile &#x017F;ind in uns; aber ehe &#x017F;ie zu<lb/>
Stande kommen, haben &#x017F;ie auch &#x017F;chon <hi rendition="#fr">Gemeinbilder</hi><lb/>
abge&#x017F;ondert, die &#x017F;ich mit der Beziehung und mit der Ge-<lb/>
wahrnehmung vereinigen.<note place="foot" n="*)">Sieh. <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch</hi> 4. <hi rendition="#aq">VI.</hi> 5.</note></p><lb/>
            <p>Jedwedes Empfindungsurtheil, worinn wir einer<lb/>
uns gegenwa&#x0364;rtigen Sache eine Be&#x017F;chaffenheit zu&#x017F;chreiben,<lb/>
die wir in dem &#x017F;innlichen Eindruck von ihr gewahrneh-<lb/>
men, &#x2014; ich rede hier nur zuna&#x0364;ch&#x017F;t von den Empfindun-<lb/>
gen <hi rendition="#fr">a&#x0364;ußerer</hi> Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, &#x2014; i&#x017F;t, &#x017F;o wie es nun in<lb/>
uns i&#x017F;t, ein zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzter Gedanke, der unter &#x017F;eine<lb/>
Jngredienzen allgemeine Vor&#x017F;tellungen oder Gemein-<lb/>
bilder hat, die &#x017F;ich mit der gegenwa&#x0364;rtigen Jmpre&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
verbinden. Die einfach&#x017F;te Beobachtung &#x201E;das Feuer<lb/>
leuchtet,&#x201C; faßt folgende Stu&#x0364;cke in &#x017F;ich:</p><lb/>
            <p>Er&#x017F;tlich einen <hi rendition="#fr">gefu&#x0364;hlten Eindruck</hi> oder eine &#x017F;inn-<lb/>
liche Jmpre&#x017F;&#x017F;ion von dem Feuer, und einen hervor&#x017F;te-<lb/>
chenden Zug in ihr, der be&#x017F;onders gefu&#x0364;hlet, von der<lb/>
ganzen Jmpre&#x017F;&#x017F;ion unter&#x017F;chieden, und auf das Ganze,<lb/>
wie eine <hi rendition="#fr">Be&#x017F;chaffenheit</hi> auf ihr <hi rendition="#fr">Subjett, bezogen<lb/>
wird.</hi></p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Dann</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0494] VI. Verſuch. Ueber den Unterſchied len ſcheinet doch das Bewußtſeyn, daß ich fuͤhle und empfinde, zu ſtark und zu lebhaft zu ſeyn, als daß ich mir nur einbilden koͤnnte, zu empfinden. Dieſe Schwierigkeit verdienet eine naͤhere Betrachtung. Das Empfindungsurtheil iſt ein reines Empfin- dungsurtheil, oder wuͤrde es doch ſeyn, wenn nichts mehr, als eine bloße Beziehung zweer oder mehrerer gegenwaͤrtigen gefuͤhlten Eindruͤcke, und deren Gewahr- nehmung, darinn enthalten iſt. Wenn ich nichts mehr denke, als daß der Eindruck von einem Baum von dem Eindruck der Huͤtte, bey dem er ſtehet, unterſchieden iſt, ſo iſt dieß ein ſolches einfaches Empfindungsurtheil, das keine anderweitige Vorſtellungen und keine Gemeinbil- der vorausſetzet, noch von Jdeenverknuͤpfung abhaͤngt. Solche einfache Urtheile ſind in uns; aber ehe ſie zu Stande kommen, haben ſie auch ſchon Gemeinbilder abgeſondert, die ſich mit der Beziehung und mit der Ge- wahrnehmung vereinigen. *) Jedwedes Empfindungsurtheil, worinn wir einer uns gegenwaͤrtigen Sache eine Beſchaffenheit zuſchreiben, die wir in dem ſinnlichen Eindruck von ihr gewahrneh- men, — ich rede hier nur zunaͤchſt von den Empfindun- gen aͤußerer Gegenſtaͤnde, — iſt, ſo wie es nun in uns iſt, ein zuſammengeſetzter Gedanke, der unter ſeine Jngredienzen allgemeine Vorſtellungen oder Gemein- bilder hat, die ſich mit der gegenwaͤrtigen Jmpreſſion verbinden. Die einfachſte Beobachtung „das Feuer leuchtet,“ faßt folgende Stuͤcke in ſich: Erſtlich einen gefuͤhlten Eindruck oder eine ſinn- liche Jmpreſſion von dem Feuer, und einen hervorſte- chenden Zug in ihr, der beſonders gefuͤhlet, von der ganzen Jmpreſſion unterſchieden, und auf das Ganze, wie eine Beſchaffenheit auf ihr Subjett, bezogen wird. Dann *) Sieh. Verſuch 4. VI. 5.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/494
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/494>, abgerufen am 27.11.2024.