des Tons nur mit der übrigen gleichzeitigen Empfin- dung des Jnstruments genauer vereiniget wäre. Weil dieß aber selten ist, so finden wir kein näheres Subjekt für den Ton als unser Jch, und setzen ihn also dahin, und dieß noch um desto mehr, weil die Töne selten gleich- gültige Gefühle sind, und Gemüthsbewegungen veran- lassen, die wir nothwendig zu unserm Jch hinrechnen.
Den Gesichtsempfindungen von Farben und Figuren, schreiben wir fast ohne Ausnahme eine Wirk- lichkeit außer uns zu. Warum setzen wir diese Ein- drücke nicht in die Augen, nicht auf die Netzhaut hin? Darum nicht, weil diese sanften und zarten Eindrücke leicht durch die Organe durchgehen, ohne Erschütterun- gen hervorzubringen, wodurch die das Organ charakte- risirende Gefühle erreget würden. Zuweilen geschicht doch das letztere. Wenn das schwache Auge von dem Licht bis zum Blendenden angegriffen wird, dann fühlen wir, daß wir mit den Augen sehen. Wenn ein Funke aus dem Auge springet, das gestoßen und erschüttert wor- den ist, so empfinden wir die Veränderung auch wohl in dem Auge.
Jn den gewöhnlichen Fällen sehen wir also die Sache niemals in dem Auge. Der Cheßeldenische Blinde setzte sie dicht vor den Augen hin. Ohne Zweifel des- wegen, weil er es gewohnt war, die gefühlten Gegen- stände dicht an das Organ hin zu setzen.
Warum wir aber denn die Gesichtsempfindungen nicht in uns selbst, sondern außer uns hinsetzen, davon ist der Grund aus dem vorhergehenden leicht einzusehen. Sie konnten nicht in uns gesetzet werden, weil sie nicht in der Empfindung unsers Jchs begriffen waren. Auch sind sie nicht solche vorübergehende Eindrücke, wie die Töne, sondern ganze Haufen vereinigter Empfindungen. Der Anblick von einem Baum, von seiner Figur, Farbe, Bewegung ist eine solche Menge von Empfindungen,
die
V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
des Tons nur mit der uͤbrigen gleichzeitigen Empfin- dung des Jnſtruments genauer vereiniget waͤre. Weil dieß aber ſelten iſt, ſo finden wir kein naͤheres Subjekt fuͤr den Ton als unſer Jch, und ſetzen ihn alſo dahin, und dieß noch um deſto mehr, weil die Toͤne ſelten gleich- guͤltige Gefuͤhle ſind, und Gemuͤthsbewegungen veran- laſſen, die wir nothwendig zu unſerm Jch hinrechnen.
Den Geſichtsempfindungen von Farben und Figuren, ſchreiben wir faſt ohne Ausnahme eine Wirk- lichkeit außer uns zu. Warum ſetzen wir dieſe Ein- druͤcke nicht in die Augen, nicht auf die Netzhaut hin? Darum nicht, weil dieſe ſanften und zarten Eindruͤcke leicht durch die Organe durchgehen, ohne Erſchuͤtterun- gen hervorzubringen, wodurch die das Organ charakte- riſirende Gefuͤhle erreget wuͤrden. Zuweilen geſchicht doch das letztere. Wenn das ſchwache Auge von dem Licht bis zum Blendenden angegriffen wird, dann fuͤhlen wir, daß wir mit den Augen ſehen. Wenn ein Funke aus dem Auge ſpringet, das geſtoßen und erſchuͤttert wor- den iſt, ſo empfinden wir die Veraͤnderung auch wohl in dem Auge.
Jn den gewoͤhnlichen Faͤllen ſehen wir alſo die Sache niemals in dem Auge. Der Cheßeldeniſche Blinde ſetzte ſie dicht vor den Augen hin. Ohne Zweifel des- wegen, weil er es gewohnt war, die gefuͤhlten Gegen- ſtaͤnde dicht an das Organ hin zu ſetzen.
Warum wir aber denn die Geſichtsempfindungen nicht in uns ſelbſt, ſondern außer uns hinſetzen, davon iſt der Grund aus dem vorhergehenden leicht einzuſehen. Sie konnten nicht in uns geſetzet werden, weil ſie nicht in der Empfindung unſers Jchs begriffen waren. Auch ſind ſie nicht ſolche voruͤbergehende Eindruͤcke, wie die Toͤne, ſondern ganze Haufen vereinigter Empfindungen. Der Anblick von einem Baum, von ſeiner Figur, Farbe, Bewegung iſt eine ſolche Menge von Empfindungen,
die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0480"n="420"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">V.</hi> Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer</hi></fw><lb/>
des Tons nur mit der uͤbrigen gleichzeitigen Empfin-<lb/>
dung des Jnſtruments genauer vereiniget waͤre. Weil<lb/>
dieß aber ſelten iſt, ſo finden wir kein naͤheres Subjekt<lb/>
fuͤr den Ton als unſer Jch, und ſetzen ihn alſo dahin,<lb/>
und dieß noch um deſto mehr, weil die Toͤne ſelten gleich-<lb/>
guͤltige Gefuͤhle ſind, und Gemuͤthsbewegungen veran-<lb/>
laſſen, die wir nothwendig zu unſerm Jch hinrechnen.</p><lb/><p>Den <hirendition="#fr">Geſichtsempfindungen</hi> von <hirendition="#fr">Farben</hi> und<lb/><hirendition="#fr">Figuren,</hi>ſchreiben wir faſt ohne Ausnahme eine Wirk-<lb/>
lichkeit <hirendition="#fr">außer uns</hi> zu. Warum ſetzen wir dieſe Ein-<lb/>
druͤcke nicht in die Augen, nicht auf die Netzhaut hin?<lb/>
Darum nicht, weil dieſe ſanften und zarten Eindruͤcke<lb/>
leicht durch die Organe durchgehen, ohne Erſchuͤtterun-<lb/>
gen hervorzubringen, wodurch die das Organ charakte-<lb/>
riſirende Gefuͤhle erreget wuͤrden. Zuweilen geſchicht doch<lb/>
das letztere. Wenn das ſchwache Auge von dem Licht<lb/>
bis zum Blendenden angegriffen wird, dann fuͤhlen wir,<lb/>
daß wir mit den Augen ſehen. Wenn ein Funke aus<lb/>
dem Auge ſpringet, das geſtoßen und erſchuͤttert wor-<lb/>
den iſt, ſo empfinden wir die Veraͤnderung auch wohl<lb/><hirendition="#fr">in</hi> dem Auge.</p><lb/><p>Jn den gewoͤhnlichen Faͤllen ſehen wir alſo die Sache<lb/>
niemals in dem Auge. Der Cheßeldeniſche Blinde<lb/>ſetzte ſie dicht vor den Augen hin. Ohne Zweifel des-<lb/>
wegen, weil er es gewohnt war, die <hirendition="#fr">gefuͤhlten</hi> Gegen-<lb/>ſtaͤnde dicht an das Organ hin zu ſetzen.</p><lb/><p>Warum wir aber denn die Geſichtsempfindungen<lb/>
nicht in uns ſelbſt, ſondern außer uns hinſetzen, davon<lb/>
iſt der Grund aus dem vorhergehenden leicht einzuſehen.<lb/>
Sie konnten nicht in <hirendition="#fr">uns</hi> geſetzet werden, weil ſie nicht<lb/>
in der Empfindung unſers Jchs begriffen waren. Auch<lb/>ſind ſie nicht ſolche voruͤbergehende Eindruͤcke, wie die<lb/>
Toͤne, ſondern ganze Haufen vereinigter Empfindungen.<lb/>
Der Anblick von einem Baum, von ſeiner Figur, Farbe,<lb/>
Bewegung iſt eine ſolche Menge von Empfindungen,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[420/0480]
V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
des Tons nur mit der uͤbrigen gleichzeitigen Empfin-
dung des Jnſtruments genauer vereiniget waͤre. Weil
dieß aber ſelten iſt, ſo finden wir kein naͤheres Subjekt
fuͤr den Ton als unſer Jch, und ſetzen ihn alſo dahin,
und dieß noch um deſto mehr, weil die Toͤne ſelten gleich-
guͤltige Gefuͤhle ſind, und Gemuͤthsbewegungen veran-
laſſen, die wir nothwendig zu unſerm Jch hinrechnen.
Den Geſichtsempfindungen von Farben und
Figuren, ſchreiben wir faſt ohne Ausnahme eine Wirk-
lichkeit außer uns zu. Warum ſetzen wir dieſe Ein-
druͤcke nicht in die Augen, nicht auf die Netzhaut hin?
Darum nicht, weil dieſe ſanften und zarten Eindruͤcke
leicht durch die Organe durchgehen, ohne Erſchuͤtterun-
gen hervorzubringen, wodurch die das Organ charakte-
riſirende Gefuͤhle erreget wuͤrden. Zuweilen geſchicht doch
das letztere. Wenn das ſchwache Auge von dem Licht
bis zum Blendenden angegriffen wird, dann fuͤhlen wir,
daß wir mit den Augen ſehen. Wenn ein Funke aus
dem Auge ſpringet, das geſtoßen und erſchuͤttert wor-
den iſt, ſo empfinden wir die Veraͤnderung auch wohl
in dem Auge.
Jn den gewoͤhnlichen Faͤllen ſehen wir alſo die Sache
niemals in dem Auge. Der Cheßeldeniſche Blinde
ſetzte ſie dicht vor den Augen hin. Ohne Zweifel des-
wegen, weil er es gewohnt war, die gefuͤhlten Gegen-
ſtaͤnde dicht an das Organ hin zu ſetzen.
Warum wir aber denn die Geſichtsempfindungen
nicht in uns ſelbſt, ſondern außer uns hinſetzen, davon
iſt der Grund aus dem vorhergehenden leicht einzuſehen.
Sie konnten nicht in uns geſetzet werden, weil ſie nicht
in der Empfindung unſers Jchs begriffen waren. Auch
ſind ſie nicht ſolche voruͤbergehende Eindruͤcke, wie die
Toͤne, ſondern ganze Haufen vereinigter Empfindungen.
Der Anblick von einem Baum, von ſeiner Figur, Farbe,
Bewegung iſt eine ſolche Menge von Empfindungen,
die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/480>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.