jekte können als Prädikate von andern Dingen, als ihren Subjekten, vorgestellet werden. Wir nehmen diese Veränderung der Formen wirklich vor, wie die Er- fahrung lehret. Alle Beschaffenheiten, sobald sie für sich allein ein Gegenstand der Betrachtung werden, nehmen die Form der Dinge an, denen man Beschaffen- heiten beyleget, sobald man in ihnen etwas unterschei- det. Dieß hängt von der Absonderung und Vereini- gung der Empfindungsvorstellungen in der Einbildungs- kraft ab.
Es giebt aber auch Ganze, die es durch die Natur der Empfindung sind, welche nicht getheilet werden kön- nen, sondern für uns so sehr einzelne ganze Empfindun- gen sind, daß sie entweder völlig vorhanden sind, oder nichts von ihnen. Die einfachen Empfindungen ge- hören alle zu dieser Gattung, nebst noch andern, in wel- chen sich besondere Theile als Merkmale unterscheiden, aber wegen ihrer innigen Vereinigung oder natürlichen Unzertrennlichkeit nicht von einander absondern lassen.
Hume, als Verfasser der berüchteten Schrift über die menschliche Natur,*) erklärte die Jdee, die wir von unserm Jch, oder von unserer Seele haben, "für einen Jnbegriff von einer Menge besonderer, auf "einander gefolgter einzelner aber getheilter und zerstreue- "ter Empfindungen, aus deren Verbindung in der "Phantasie die Jdee von Einem Ganzen, als einem "Subjekt gemacht worden, welches das einzelne Em- "pfundene als seine Beschaffenheiten in sich halte." Er zog daraus die Folgerung, daß wir auch mit Evidenz nichts mehr von der Seele behaupten könnten, als daß sie ein Jnbegriff von Beschaffenheiten und Veränderun- gen sey, welche, da sie unmittelbar gefühlet werden, wirklich existiren; nicht aber, daß sie Ein Ding, ein
Ganzes
*)Treatise of human nature. 3. vol. 8.
V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
jekte koͤnnen als Praͤdikate von andern Dingen, als ihren Subjekten, vorgeſtellet werden. Wir nehmen dieſe Veraͤnderung der Formen wirklich vor, wie die Er- fahrung lehret. Alle Beſchaffenheiten, ſobald ſie fuͤr ſich allein ein Gegenſtand der Betrachtung werden, nehmen die Form der Dinge an, denen man Beſchaffen- heiten beyleget, ſobald man in ihnen etwas unterſchei- det. Dieß haͤngt von der Abſonderung und Vereini- gung der Empfindungsvorſtellungen in der Einbildungs- kraft ab.
Es giebt aber auch Ganze, die es durch die Natur der Empfindung ſind, welche nicht getheilet werden koͤn- nen, ſondern fuͤr uns ſo ſehr einzelne ganze Empfindun- gen ſind, daß ſie entweder voͤllig vorhanden ſind, oder nichts von ihnen. Die einfachen Empfindungen ge- hoͤren alle zu dieſer Gattung, nebſt noch andern, in wel- chen ſich beſondere Theile als Merkmale unterſcheiden, aber wegen ihrer innigen Vereinigung oder natuͤrlichen Unzertrennlichkeit nicht von einander abſondern laſſen.
Hume, als Verfaſſer der beruͤchteten Schrift uͤber die menſchliche Natur,*) erklaͤrte die Jdee, die wir von unſerm Jch, oder von unſerer Seele haben, „fuͤr einen Jnbegriff von einer Menge beſonderer, auf „einander gefolgter einzelner aber getheilter und zerſtreue- „ter Empfindungen, aus deren Verbindung in der „Phantaſie die Jdee von Einem Ganzen, als einem „Subjekt gemacht worden, welches das einzelne Em- „pfundene als ſeine Beſchaffenheiten in ſich halte.“ Er zog daraus die Folgerung, daß wir auch mit Evidenz nichts mehr von der Seele behaupten koͤnnten, als daß ſie ein Jnbegriff von Beſchaffenheiten und Veraͤnderun- gen ſey, welche, da ſie unmittelbar gefuͤhlet werden, wirklich exiſtiren; nicht aber, daß ſie Ein Ding, ein
Ganzes
*)Treatiſe of human nature. 3. vol. 8.
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V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
jekte koͤnnen als Praͤdikate von andern Dingen, als
ihren Subjekten, vorgeſtellet werden. Wir nehmen
dieſe Veraͤnderung der Formen wirklich vor, wie die Er-
fahrung lehret. Alle Beſchaffenheiten, ſobald ſie
fuͤr ſich allein ein Gegenſtand der Betrachtung werden,
nehmen die Form der Dinge an, denen man Beſchaffen-
heiten beyleget, ſobald man in ihnen etwas unterſchei-
det. Dieß haͤngt von der Abſonderung und Vereini-
gung der Empfindungsvorſtellungen in der Einbildungs-
kraft ab.
Es giebt aber auch Ganze, die es durch die Natur
der Empfindung ſind, welche nicht getheilet werden koͤn-
nen, ſondern fuͤr uns ſo ſehr einzelne ganze Empfindun-
gen ſind, daß ſie entweder voͤllig vorhanden ſind, oder
nichts von ihnen. Die einfachen Empfindungen ge-
hoͤren alle zu dieſer Gattung, nebſt noch andern, in wel-
chen ſich beſondere Theile als Merkmale unterſcheiden,
aber wegen ihrer innigen Vereinigung oder natuͤrlichen
Unzertrennlichkeit nicht von einander abſondern laſſen.
Hume, als Verfaſſer der beruͤchteten Schrift uͤber
die menſchliche Natur, *) erklaͤrte die Jdee, die
wir von unſerm Jch, oder von unſerer Seele haben,
„fuͤr einen Jnbegriff von einer Menge beſonderer, auf
„einander gefolgter einzelner aber getheilter und zerſtreue-
„ter Empfindungen, aus deren Verbindung in der
„Phantaſie die Jdee von Einem Ganzen, als einem
„Subjekt gemacht worden, welches das einzelne Em-
„pfundene als ſeine Beſchaffenheiten in ſich halte.“ Er
zog daraus die Folgerung, daß wir auch mit Evidenz
nichts mehr von der Seele behaupten koͤnnten, als daß
ſie ein Jnbegriff von Beſchaffenheiten und Veraͤnderun-
gen ſey, welche, da ſie unmittelbar gefuͤhlet werden,
wirklich exiſtiren; nicht aber, daß ſie Ein Ding, ein
Ganzes
*) Treatiſe of human nature. 3. vol. 8.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/452>, abgerufen am 18.12.2024.
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