Magneten, daß er Eisen anziehe. Wo nicht weiter fort zu kommen ist, so muß man freylich stille stehen; aber jenes ist doch zu versuchen, und ist die Pflicht des Nach- denkenden, der an der alten bequemen Methode, sich auf qualitates occultas zu berufen, keinen Geschmack hat. Es ist doch immer zu untersuchen, ob nicht die besonde- ren und einzelnen Kraftäußerungen in andere einfachere zergliedert, und dann auf bekannte allgemeine Wir- kungsarten zurückgebracht, mithin ihre Entstehung, zum Theil wenigstens, erkläret werden können?
Z. B. Warum erkennet die Denkkraft ein Ding für einerley mit sich selbst? Antwort: es ist ein natürlich nothwendiges Gesetz ihrer Denkkraft. Weiter weiß ich davon keinen Grund. Warum hält sie einen viereckten Zirkel für ungedenkbar? Antwort: sie kann sich ihn nicht vorstellen. Ferner, wenn zwey Eindrücke von äu- ßern Gegenständen, die man empfindet, das sind, was wir völlig gleiche und ähnliche Eindrücke nennen, und wenn die Denkkraft von solchen Eindrücken modificiret ist, so kann sie ihre Urtheilskraft nicht anders äußern, als auf diejenige Art, die wir mit den Worten bezeich- nen, "sie halte solche für einerley." Es giebt allgemei- ne instinktartige Urtheilsgesetze, oder die wir doch dafür annehmen müssen, weil sie für uns Grundgesetze sind, wonach die Denkkraft Dinge für einerley, und für ver- schieden gedenken muß; und dergleichen kann es mehrere geben, die wir nicht im Stande sind, auf Einen allge- meinen Grundsatz zurückzuführen. Aber nun ist die Fra- ge; wie weit die Urtheile über die Objektivität der Vor- stellungen, wenn ich so sagen soll, oder über die innere und äußere Wirklichkeit der vorgestellten Gegenstände, Wirkungen der Denkkraft sind, die aus andern allge- meinen nothwendigen Naturgesetzen dieser Kraft begrif- fen werden, oder in wie ferne sie ihre eigene Grundge- setze erfodern; denen sie gemäß sind?
II. Ob
V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
Magneten, daß er Eiſen anziehe. Wo nicht weiter fort zu kommen iſt, ſo muß man freylich ſtille ſtehen; aber jenes iſt doch zu verſuchen, und iſt die Pflicht des Nach- denkenden, der an der alten bequemen Methode, ſich auf qualitates occultas zu berufen, keinen Geſchmack hat. Es iſt doch immer zu unterſuchen, ob nicht die beſonde- ren und einzelnen Kraftaͤußerungen in andere einfachere zergliedert, und dann auf bekannte allgemeine Wir- kungsarten zuruͤckgebracht, mithin ihre Entſtehung, zum Theil wenigſtens, erklaͤret werden koͤnnen?
Z. B. Warum erkennet die Denkkraft ein Ding fuͤr einerley mit ſich ſelbſt? Antwort: es iſt ein natuͤrlich nothwendiges Geſetz ihrer Denkkraft. Weiter weiß ich davon keinen Grund. Warum haͤlt ſie einen viereckten Zirkel fuͤr ungedenkbar? Antwort: ſie kann ſich ihn nicht vorſtellen. Ferner, wenn zwey Eindruͤcke von aͤu- ßern Gegenſtaͤnden, die man empfindet, das ſind, was wir voͤllig gleiche und aͤhnliche Eindruͤcke nennen, und wenn die Denkkraft von ſolchen Eindruͤcken modificiret iſt, ſo kann ſie ihre Urtheilskraft nicht anders aͤußern, als auf diejenige Art, die wir mit den Worten bezeich- nen, „ſie halte ſolche fuͤr einerley.“ Es giebt allgemei- ne inſtinktartige Urtheilsgeſetze, oder die wir doch dafuͤr annehmen muͤſſen, weil ſie fuͤr uns Grundgeſetze ſind, wonach die Denkkraft Dinge fuͤr einerley, und fuͤr ver- ſchieden gedenken muß; und dergleichen kann es mehrere geben, die wir nicht im Stande ſind, auf Einen allge- meinen Grundſatz zuruͤckzufuͤhren. Aber nun iſt die Fra- ge; wie weit die Urtheile uͤber die Objektivitaͤt der Vor- ſtellungen, wenn ich ſo ſagen ſoll, oder uͤber die innere und aͤußere Wirklichkeit der vorgeſtellten Gegenſtaͤnde, Wirkungen der Denkkraft ſind, die aus andern allge- meinen nothwendigen Naturgeſetzen dieſer Kraft begrif- fen werden, oder in wie ferne ſie ihre eigene Grundge- ſetze erfodern; denen ſie gemaͤß ſind?
II. Ob
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V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
Magneten, daß er Eiſen anziehe. Wo nicht weiter fort
zu kommen iſt, ſo muß man freylich ſtille ſtehen; aber
jenes iſt doch zu verſuchen, und iſt die Pflicht des Nach-
denkenden, der an der alten bequemen Methode, ſich auf
qualitates occultas zu berufen, keinen Geſchmack hat.
Es iſt doch immer zu unterſuchen, ob nicht die beſonde-
ren und einzelnen Kraftaͤußerungen in andere einfachere
zergliedert, und dann auf bekannte allgemeine Wir-
kungsarten zuruͤckgebracht, mithin ihre Entſtehung, zum
Theil wenigſtens, erklaͤret werden koͤnnen?
Z. B. Warum erkennet die Denkkraft ein Ding fuͤr
einerley mit ſich ſelbſt? Antwort: es iſt ein natuͤrlich
nothwendiges Geſetz ihrer Denkkraft. Weiter weiß ich
davon keinen Grund. Warum haͤlt ſie einen viereckten
Zirkel fuͤr ungedenkbar? Antwort: ſie kann ſich ihn
nicht vorſtellen. Ferner, wenn zwey Eindruͤcke von aͤu-
ßern Gegenſtaͤnden, die man empfindet, das ſind, was
wir voͤllig gleiche und aͤhnliche Eindruͤcke nennen, und
wenn die Denkkraft von ſolchen Eindruͤcken modificiret
iſt, ſo kann ſie ihre Urtheilskraft nicht anders aͤußern,
als auf diejenige Art, die wir mit den Worten bezeich-
nen, „ſie halte ſolche fuͤr einerley.“ Es giebt allgemei-
ne inſtinktartige Urtheilsgeſetze, oder die wir doch dafuͤr
annehmen muͤſſen, weil ſie fuͤr uns Grundgeſetze ſind,
wonach die Denkkraft Dinge fuͤr einerley, und fuͤr ver-
ſchieden gedenken muß; und dergleichen kann es mehrere
geben, die wir nicht im Stande ſind, auf Einen allge-
meinen Grundſatz zuruͤckzufuͤhren. Aber nun iſt die Fra-
ge; wie weit die Urtheile uͤber die Objektivitaͤt der Vor-
ſtellungen, wenn ich ſo ſagen ſoll, oder uͤber die innere
und aͤußere Wirklichkeit der vorgeſtellten Gegenſtaͤnde,
Wirkungen der Denkkraft ſind, die aus andern allge-
meinen nothwendigen Naturgeſetzen dieſer Kraft begrif-
fen werden, oder in wie ferne ſie ihre eigene Grundge-
ſetze erfodern; denen ſie gemaͤß ſind?
II. Ob
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/436>, abgerufen am 21.11.2024.
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