schaffenheiten von ihnen. Die Freude ist in uns selbst, und eine eigene Beschaffenheit von uns selbst. Der Geruch ist in der Nase, der Schmerz in dem verbrann- ten Finger, und die Farbe des Himmels ist weder in unserer Seele etwas, noch eine Beschaffenheit unsers Körpers, sondern etwas, das in einem äußern Dinge sich befindet.
Jn dem Versuch über die Vorstellungen ist schon bemerket worden, daß reproducirte Vorstellungen als zurückgebliebene und wieder erweckte Abbildungen vor- hergegangener Modifikationen, ein Merkmal von ihrer Beziehung auf die Empfindungen, von denen sie her- rühren, an sich haben; und daß dieses in einer Tendenz, sich mehr zu entwickeln, bestehe, welche mit jeder Em- pfindungsvorstellung verbunden ist, und aus dieser auch in die selbstgemachten Bilder der Dichtkraft übergehe. Und dieses Bestreben kann, wie jedwede andere Modi- fikation der Seele, gefühlet und gewahrgenommen wer- den. Aber dieß Charakteristische der Vorstellungen ist nichts mehr, als die Materie, woraus die Denkkraft die Jdee von ihrer Beziehung auf die Empfindungen machen kann. Jenes ist nicht der Gedanke selbst, daß die Vorstellungen Zeichen und Spuren von Empfindun- gen sind; und noch weniger wird dadurch die folgende Frage beantwortet: warum stellen wir uns denn nicht lauter Empfindungen von uns selbst vor? Wie unter- scheiden wir die subjektivische und objektivische Wirk- lichkeit der Dinge, wie einige sich ausdrücken, oder wie empfinden wir Dinge außer uns, und stellen uns solche als äußere Dinge vor? Jst dieß Jnstinkt, und ist das es alles, was man davon sagen kann?
Man kann nicht in Abrede seyn, daß, wenn es auf der einen Seite aus der Analogie der Beobachtungen deutlich genug erhellet, daß der Gedanke von der objekti- vischen Wirklichkeit der Dinge eine Aeußerung der
Denk-
V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
ſchaffenheiten von ihnen. Die Freude iſt in uns ſelbſt, und eine eigene Beſchaffenheit von uns ſelbſt. Der Geruch iſt in der Naſe, der Schmerz in dem verbrann- ten Finger, und die Farbe des Himmels iſt weder in unſerer Seele etwas, noch eine Beſchaffenheit unſers Koͤrpers, ſondern etwas, das in einem aͤußern Dinge ſich befindet.
Jn dem Verſuch uͤber die Vorſtellungen iſt ſchon bemerket worden, daß reproducirte Vorſtellungen als zuruͤckgebliebene und wieder erweckte Abbildungen vor- hergegangener Modifikationen, ein Merkmal von ihrer Beziehung auf die Empfindungen, von denen ſie her- ruͤhren, an ſich haben; und daß dieſes in einer Tendenz, ſich mehr zu entwickeln, beſtehe, welche mit jeder Em- pfindungsvorſtellung verbunden iſt, und aus dieſer auch in die ſelbſtgemachten Bilder der Dichtkraft uͤbergehe. Und dieſes Beſtreben kann, wie jedwede andere Modi- fikation der Seele, gefuͤhlet und gewahrgenommen wer- den. Aber dieß Charakteriſtiſche der Vorſtellungen iſt nichts mehr, als die Materie, woraus die Denkkraft die Jdee von ihrer Beziehung auf die Empfindungen machen kann. Jenes iſt nicht der Gedanke ſelbſt, daß die Vorſtellungen Zeichen und Spuren von Empfindun- gen ſind; und noch weniger wird dadurch die folgende Frage beantwortet: warum ſtellen wir uns denn nicht lauter Empfindungen von uns ſelbſt vor? Wie unter- ſcheiden wir die ſubjektiviſche und objektiviſche Wirk- lichkeit der Dinge, wie einige ſich ausdruͤcken, oder wie empfinden wir Dinge außer uns, und ſtellen uns ſolche als aͤußere Dinge vor? Jſt dieß Jnſtinkt, und iſt das es alles, was man davon ſagen kann?
Man kann nicht in Abrede ſeyn, daß, wenn es auf der einen Seite aus der Analogie der Beobachtungen deutlich genug erhellet, daß der Gedanke von der objekti- viſchen Wirklichkeit der Dinge eine Aeußerung der
Denk-
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V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
ſchaffenheiten von ihnen. Die Freude iſt in uns ſelbſt,
und eine eigene Beſchaffenheit von uns ſelbſt. Der
Geruch iſt in der Naſe, der Schmerz in dem verbrann-
ten Finger, und die Farbe des Himmels iſt weder in
unſerer Seele etwas, noch eine Beſchaffenheit unſers
Koͤrpers, ſondern etwas, das in einem aͤußern Dinge
ſich befindet.
Jn dem Verſuch uͤber die Vorſtellungen iſt ſchon
bemerket worden, daß reproducirte Vorſtellungen als
zuruͤckgebliebene und wieder erweckte Abbildungen vor-
hergegangener Modifikationen, ein Merkmal von ihrer
Beziehung auf die Empfindungen, von denen ſie her-
ruͤhren, an ſich haben; und daß dieſes in einer Tendenz,
ſich mehr zu entwickeln, beſtehe, welche mit jeder Em-
pfindungsvorſtellung verbunden iſt, und aus dieſer auch
in die ſelbſtgemachten Bilder der Dichtkraft uͤbergehe.
Und dieſes Beſtreben kann, wie jedwede andere Modi-
fikation der Seele, gefuͤhlet und gewahrgenommen wer-
den. Aber dieß Charakteriſtiſche der Vorſtellungen iſt
nichts mehr, als die Materie, woraus die Denkkraft
die Jdee von ihrer Beziehung auf die Empfindungen
machen kann. Jenes iſt nicht der Gedanke ſelbſt, daß
die Vorſtellungen Zeichen und Spuren von Empfindun-
gen ſind; und noch weniger wird dadurch die folgende
Frage beantwortet: warum ſtellen wir uns denn nicht
lauter Empfindungen von uns ſelbſt vor? Wie unter-
ſcheiden wir die ſubjektiviſche und objektiviſche Wirk-
lichkeit der Dinge, wie einige ſich ausdruͤcken, oder
wie empfinden wir Dinge außer uns, und ſtellen uns
ſolche als aͤußere Dinge vor? Jſt dieß Jnſtinkt, und
iſt das es alles, was man davon ſagen kann?
Man kann nicht in Abrede ſeyn, daß, wenn es auf
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/434>, abgerufen am 22.11.2024.
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