haben sie noch eine Beschaffenheit mehr an sich, wodurch sie zu Jdeen, oder, wie Reid sagt, zu Perceptionen werden. Es ist nemlich der Gedanke mit ihnen ver- bunden, daß sie in äußern Dingen ihren Ursprung ha- ben, und daß sie etwas objektivisches und reelles vor- stellen. Dieß ist der vornehmste Zusatz von der Denk- kraft, und da ist die Frage, ob solcher auf eine andere Art und nach andern Denkungsgesetzen hinzukomme, als diejenigen sind, nach welchen alle Jdeen überhaupt von der Denkkraft ihre Form erhalten?
Die Jdeen des Gefühls und des Gesichts schei- nen weit mehr von ihren Empfindungen sich zu entfernen, als die Jdeen aus den übrigen Sinnen. Wir befühlen die Körper. Dieß Gefühl ist eine Empfindung, die wir beachten, unterscheiden und bemerken können. Jch lege die Hand auf einen harten oder auf einen weichen Körper, und fahre mit den Fingern über ihn, und um ihn herum. Es entstehet ein Gefühl von Härte und Weichheit, von Figur und Größe, und dieß wird be- sonders bemerket; zuweilen wenigstens, wenn man durch Schmerz oder Lust oder durch Jnteresse gereizet wird, aufmerksam darauf zu seyn. Diese Empfindung der Härte, sagt Reid, hat nichts ähnliches mit der Härte in dem Körper, und das hat sie freylich nicht. Sie ist etwas subjektivisches in der Seele, da die Härte des Kör- pers etwas objektivisches in den Dingen ist. Aber diese Empfindung hat auch nichts ähnliches, setzet er hinzu, mit der Perception oder mit der Jdee von der Härte, welche uns die objektivische Beschaffenheit als im Bilde vorhält. Jch antworte, das Gefühl ist hier allerdings von der Jdee unterschieden; aber ist jenes deswegen nicht der Stoff zu dieser? Sind beide wohl weiter von einander unterschieden, als es eine jede undeutliche Jdee von sich selbst ist, nachdem sie deutlich gemacht worden ist? Und erstrecket sich überhaupt der Unterschied zwischen
unsern
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
haben ſie noch eine Beſchaffenheit mehr an ſich, wodurch ſie zu Jdeen, oder, wie Reid ſagt, zu Perceptionen werden. Es iſt nemlich der Gedanke mit ihnen ver- bunden, daß ſie in aͤußern Dingen ihren Urſprung ha- ben, und daß ſie etwas objektiviſches und reelles vor- ſtellen. Dieß iſt der vornehmſte Zuſatz von der Denk- kraft, und da iſt die Frage, ob ſolcher auf eine andere Art und nach andern Denkungsgeſetzen hinzukomme, als diejenigen ſind, nach welchen alle Jdeen uͤberhaupt von der Denkkraft ihre Form erhalten?
Die Jdeen des Gefuͤhls und des Geſichts ſchei- nen weit mehr von ihren Empfindungen ſich zu entfernen, als die Jdeen aus den uͤbrigen Sinnen. Wir befuͤhlen die Koͤrper. Dieß Gefuͤhl iſt eine Empfindung, die wir beachten, unterſcheiden und bemerken koͤnnen. Jch lege die Hand auf einen harten oder auf einen weichen Koͤrper, und fahre mit den Fingern uͤber ihn, und um ihn herum. Es entſtehet ein Gefuͤhl von Haͤrte und Weichheit, von Figur und Groͤße, und dieß wird be- ſonders bemerket; zuweilen wenigſtens, wenn man durch Schmerz oder Luſt oder durch Jntereſſe gereizet wird, aufmerkſam darauf zu ſeyn. Dieſe Empfindung der Haͤrte, ſagt Reid, hat nichts aͤhnliches mit der Haͤrte in dem Koͤrper, und das hat ſie freylich nicht. Sie iſt etwas ſubjektiviſches in der Seele, da die Haͤrte des Koͤr- pers etwas objektiviſches in den Dingen iſt. Aber dieſe Empfindung hat auch nichts aͤhnliches, ſetzet er hinzu, mit der Perception oder mit der Jdee von der Haͤrte, welche uns die objektiviſche Beſchaffenheit als im Bilde vorhaͤlt. Jch antworte, das Gefuͤhl iſt hier allerdings von der Jdee unterſchieden; aber iſt jenes deswegen nicht der Stoff zu dieſer? Sind beide wohl weiter von einander unterſchieden, als es eine jede undeutliche Jdee von ſich ſelbſt iſt, nachdem ſie deutlich gemacht worden iſt? Und erſtrecket ſich uͤberhaupt der Unterſchied zwiſchen
unſern
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IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
haben ſie noch eine Beſchaffenheit mehr an ſich, wodurch
ſie zu Jdeen, oder, wie Reid ſagt, zu Perceptionen
werden. Es iſt nemlich der Gedanke mit ihnen ver-
bunden, daß ſie in aͤußern Dingen ihren Urſprung ha-
ben, und daß ſie etwas objektiviſches und reelles vor-
ſtellen. Dieß iſt der vornehmſte Zuſatz von der Denk-
kraft, und da iſt die Frage, ob ſolcher auf eine andere
Art und nach andern Denkungsgeſetzen hinzukomme, als
diejenigen ſind, nach welchen alle Jdeen uͤberhaupt von
der Denkkraft ihre Form erhalten?
Die Jdeen des Gefuͤhls und des Geſichts ſchei-
nen weit mehr von ihren Empfindungen ſich zu entfernen,
als die Jdeen aus den uͤbrigen Sinnen. Wir befuͤhlen
die Koͤrper. Dieß Gefuͤhl iſt eine Empfindung, die
wir beachten, unterſcheiden und bemerken koͤnnen. Jch
lege die Hand auf einen harten oder auf einen weichen
Koͤrper, und fahre mit den Fingern uͤber ihn, und um
ihn herum. Es entſtehet ein Gefuͤhl von Haͤrte und
Weichheit, von Figur und Groͤße, und dieß wird be-
ſonders bemerket; zuweilen wenigſtens, wenn man durch
Schmerz oder Luſt oder durch Jntereſſe gereizet wird,
aufmerkſam darauf zu ſeyn. Dieſe Empfindung der
Haͤrte, ſagt Reid, hat nichts aͤhnliches mit der Haͤrte
in dem Koͤrper, und das hat ſie freylich nicht. Sie iſt
etwas ſubjektiviſches in der Seele, da die Haͤrte des Koͤr-
pers etwas objektiviſches in den Dingen iſt. Aber dieſe
Empfindung hat auch nichts aͤhnliches, ſetzet er hinzu,
mit der Perception oder mit der Jdee von der Haͤrte,
welche uns die objektiviſche Beſchaffenheit als im Bilde
vorhaͤlt. Jch antworte, das Gefuͤhl iſt hier allerdings
von der Jdee unterſchieden; aber iſt jenes deswegen
nicht der Stoff zu dieſer? Sind beide wohl weiter von
einander unterſchieden, als es eine jede undeutliche Jdee
von ſich ſelbſt iſt, nachdem ſie deutlich gemacht worden
iſt? Und erſtrecket ſich uͤberhaupt der Unterſchied zwiſchen
unſern
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/402>, abgerufen am 22.12.2024.
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