Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Versuch. Ueber die Denkkraft
wir mehrere wirkliche Gegenstände zugleich, oder in ei-
ner Folge auf einander uns vorstellen. Endlich, wird
die ursachliche Verbindung dann nur gedacht, wenn
die Jdeen der Objekte selbst in einer gewissen wirkenden
Verbindung auf einander in dem Verstande sind. Es
ist Folgern und Schließen etwas anders, als blos
Jdeen in eine Folge und Verbindung zu bringen; auch
etwas mehr, als eine Aehnlichkeit und Uebereinstim-
mung gewahrzunehmen. Denn wenn auch der Ver-
nunftschluß durch die Herleitung einer Aehnlichkeit oder
Verschiedenheit zwoer Jdeen aus ihren Aehnlichkeiten
und Verschiedenheiten in Hinsicht einer dritten erkläret
wird; so ist doch selbst dieses Herleiten der Aehnlichkeit
oder Verschiedenheit aus andern gleichartigen Verhält-
nissen eine eigene Thätigkeit des Verstandes; ein thäti-
ges Hervorbringen eines Verhältnißgedanken aus ei-
nem andern, welches, wie oben erinnert worden, mehr
ist, als zwey Verhältnisse nach einander gewahrnehmen.

Zu diesen dreyen Gattungen von einfachen objekti-
vischen
Verhältnissen, als so vielen unterschiedenen Thä-
tigkeitsarten unserer Denkkraft lassen sich die einfachen
Verhältnisse in der Grundwissenschaft hinbringen. Jch
habe wenigstens bey keiner Art derselben Ursachen gefun-
den, die Zahl der allgemeinen und einfachen Gattungen
zu vermehren, wenn nemlich, wie hier vorausgesetzet
wird, nur von Verhältnissen der Objekte unter sich,
die man in den Dingen außer dem Verstande gedenket,
und ihnen in Hinsicht auf andere zuschreibet, die Rede ist.
Die Gedenkbarkeit der Dinge ist eine Beziehung auf
den Verstand eines erkennenden Wesens. Solche Ver-
hältnisse können von einer Seite betrachtet, unter jenen
Gattungen, als ihre besondern Arten begriffen werden,
doch mag man auch, wenn man will, eine eigne Ord-
nung aus ihnen machen. Jch bemerke hiebey nur gele-

gentlich,

IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
wir mehrere wirkliche Gegenſtaͤnde zugleich, oder in ei-
ner Folge auf einander uns vorſtellen. Endlich, wird
die urſachliche Verbindung dann nur gedacht, wenn
die Jdeen der Objekte ſelbſt in einer gewiſſen wirkenden
Verbindung auf einander in dem Verſtande ſind. Es
iſt Folgern und Schließen etwas anders, als blos
Jdeen in eine Folge und Verbindung zu bringen; auch
etwas mehr, als eine Aehnlichkeit und Uebereinſtim-
mung gewahrzunehmen. Denn wenn auch der Ver-
nunftſchluß durch die Herleitung einer Aehnlichkeit oder
Verſchiedenheit zwoer Jdeen aus ihren Aehnlichkeiten
und Verſchiedenheiten in Hinſicht einer dritten erklaͤret
wird; ſo iſt doch ſelbſt dieſes Herleiten der Aehnlichkeit
oder Verſchiedenheit aus andern gleichartigen Verhaͤlt-
niſſen eine eigene Thaͤtigkeit des Verſtandes; ein thaͤti-
ges Hervorbringen eines Verhaͤltnißgedanken aus ei-
nem andern, welches, wie oben erinnert worden, mehr
iſt, als zwey Verhaͤltniſſe nach einander gewahrnehmen.

Zu dieſen dreyen Gattungen von einfachen objekti-
viſchen
Verhaͤltniſſen, als ſo vielen unterſchiedenen Thaͤ-
tigkeitsarten unſerer Denkkraft laſſen ſich die einfachen
Verhaͤltniſſe in der Grundwiſſenſchaft hinbringen. Jch
habe wenigſtens bey keiner Art derſelben Urſachen gefun-
den, die Zahl der allgemeinen und einfachen Gattungen
zu vermehren, wenn nemlich, wie hier vorausgeſetzet
wird, nur von Verhaͤltniſſen der Objekte unter ſich,
die man in den Dingen außer dem Verſtande gedenket,
und ihnen in Hinſicht auf andere zuſchreibet, die Rede iſt.
Die Gedenkbarkeit der Dinge iſt eine Beziehung auf
den Verſtand eines erkennenden Weſens. Solche Ver-
haͤltniſſe koͤnnen von einer Seite betrachtet, unter jenen
Gattungen, als ihre beſondern Arten begriffen werden,
doch mag man auch, wenn man will, eine eigne Ord-
nung aus ihnen machen. Jch bemerke hiebey nur gele-

gentlich,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0394" n="334"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Denkkraft</hi></fw><lb/>
wir mehrere wirkliche Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zugleich, oder in ei-<lb/>
ner Folge auf einander uns vor&#x017F;tellen. Endlich, wird<lb/>
die <hi rendition="#fr">ur&#x017F;achliche Verbindung</hi> dann nur gedacht, wenn<lb/>
die Jdeen der Objekte &#x017F;elb&#x017F;t in einer gewi&#x017F;&#x017F;en wirkenden<lb/>
Verbindung auf einander in dem Ver&#x017F;tande &#x017F;ind. Es<lb/>
i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Folgern</hi> und <hi rendition="#fr">Schließen</hi> etwas anders, als blos<lb/>
Jdeen in eine Folge und Verbindung zu bringen; auch<lb/>
etwas mehr, als eine Aehnlichkeit und Ueberein&#x017F;tim-<lb/>
mung gewahrzunehmen. Denn wenn auch der Ver-<lb/>
nunft&#x017F;chluß durch die Herleitung einer Aehnlichkeit oder<lb/>
Ver&#x017F;chiedenheit zwoer Jdeen aus ihren Aehnlichkeiten<lb/>
und Ver&#x017F;chiedenheiten in Hin&#x017F;icht einer dritten erkla&#x0364;ret<lb/>
wird; &#x017F;o i&#x017F;t doch &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;es <hi rendition="#fr">Herleiten</hi> der Aehnlichkeit<lb/>
oder Ver&#x017F;chiedenheit aus andern gleichartigen Verha&#x0364;lt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en eine eigene Tha&#x0364;tigkeit des Ver&#x017F;tandes; ein tha&#x0364;ti-<lb/>
ges <hi rendition="#fr">Hervorbringen</hi> eines Verha&#x0364;ltnißgedanken aus ei-<lb/>
nem andern, welches, wie oben erinnert worden, mehr<lb/>
i&#x017F;t, als zwey Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e nach einander gewahrnehmen.</p><lb/>
            <p>Zu die&#x017F;en dreyen Gattungen von einfachen <hi rendition="#fr">objekti-<lb/>
vi&#x017F;chen</hi> Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;o vielen unter&#x017F;chiedenen Tha&#x0364;-<lb/>
tigkeitsarten un&#x017F;erer Denkkraft la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die <hi rendition="#fr">einfachen</hi><lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e in der Grundwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft hinbringen. Jch<lb/>
habe wenig&#x017F;tens bey keiner Art der&#x017F;elben Ur&#x017F;achen gefun-<lb/>
den, die Zahl der allgemeinen und einfachen Gattungen<lb/>
zu vermehren, wenn nemlich, wie hier vorausge&#x017F;etzet<lb/>
wird, nur von <hi rendition="#fr">Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en der Objekte unter &#x017F;ich,</hi><lb/>
die man in den Dingen außer dem Ver&#x017F;tande gedenket,<lb/>
und ihnen in Hin&#x017F;icht auf andere zu&#x017F;chreibet, die Rede i&#x017F;t.<lb/>
Die <hi rendition="#fr">Gedenkbarkeit</hi> der Dinge i&#x017F;t eine Beziehung auf<lb/>
den Ver&#x017F;tand eines erkennenden We&#x017F;ens. Solche Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e ko&#x0364;nnen von einer Seite betrachtet, unter jenen<lb/>
Gattungen, als ihre be&#x017F;ondern Arten begriffen werden,<lb/>
doch mag man auch, wenn man will, eine eigne Ord-<lb/>
nung aus ihnen machen. Jch bemerke hiebey nur gele-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gentlich,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0394] IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft wir mehrere wirkliche Gegenſtaͤnde zugleich, oder in ei- ner Folge auf einander uns vorſtellen. Endlich, wird die urſachliche Verbindung dann nur gedacht, wenn die Jdeen der Objekte ſelbſt in einer gewiſſen wirkenden Verbindung auf einander in dem Verſtande ſind. Es iſt Folgern und Schließen etwas anders, als blos Jdeen in eine Folge und Verbindung zu bringen; auch etwas mehr, als eine Aehnlichkeit und Uebereinſtim- mung gewahrzunehmen. Denn wenn auch der Ver- nunftſchluß durch die Herleitung einer Aehnlichkeit oder Verſchiedenheit zwoer Jdeen aus ihren Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten in Hinſicht einer dritten erklaͤret wird; ſo iſt doch ſelbſt dieſes Herleiten der Aehnlichkeit oder Verſchiedenheit aus andern gleichartigen Verhaͤlt- niſſen eine eigene Thaͤtigkeit des Verſtandes; ein thaͤti- ges Hervorbringen eines Verhaͤltnißgedanken aus ei- nem andern, welches, wie oben erinnert worden, mehr iſt, als zwey Verhaͤltniſſe nach einander gewahrnehmen. Zu dieſen dreyen Gattungen von einfachen objekti- viſchen Verhaͤltniſſen, als ſo vielen unterſchiedenen Thaͤ- tigkeitsarten unſerer Denkkraft laſſen ſich die einfachen Verhaͤltniſſe in der Grundwiſſenſchaft hinbringen. Jch habe wenigſtens bey keiner Art derſelben Urſachen gefun- den, die Zahl der allgemeinen und einfachen Gattungen zu vermehren, wenn nemlich, wie hier vorausgeſetzet wird, nur von Verhaͤltniſſen der Objekte unter ſich, die man in den Dingen außer dem Verſtande gedenket, und ihnen in Hinſicht auf andere zuſchreibet, die Rede iſt. Die Gedenkbarkeit der Dinge iſt eine Beziehung auf den Verſtand eines erkennenden Weſens. Solche Ver- haͤltniſſe koͤnnen von einer Seite betrachtet, unter jenen Gattungen, als ihre beſondern Arten begriffen werden, doch mag man auch, wenn man will, eine eigne Ord- nung aus ihnen machen. Jch bemerke hiebey nur gele- gentlich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/394
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/394>, abgerufen am 22.11.2024.