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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und über das Denken.
sind wahre Gedanken, vor aller Erfahrung vorher. Wir
erlernen sie aus dieser nicht durch die Abstraktion, und
es hängt also auch nicht von einer mehrmals wiederholten
Uebung ab, daß sich solche Jdeenverknüpfungen festsetzen.

Drittens. Jn solchen Fällen, wo wir zusammen-
gesetzte Wirkungen aus zusammengesetzten Ursachen er-
klären, und wo die einfachen Grundsätze nichts anders
sind, als aus Empfindungen entstandene beständige
Jdeenverknüpfungen, und bloße Erfahrungssätze, da se-
hen wir es auch ein, daß wir die Dependenz der einfa-
chen Wirkungen von ihren Ursachen nicht begreifen, son-
dern davon nur allein wissen, daß sie da sey. Aber wir
suchen alsdenn auch nicht, die einfachen Wirkungen
aus ihren einfachen Ursachen begreiflich zu machen, und
zu erklären; sondern nur die zusammengesetzte Wirkung
aus der zusammengesetzten Ursache, indem wir beide zer-
gliedern, und jeden Theil der Wirkung auf die ihm zu-
gehörige einfache Ursache zurückführen. Jn so weit ist
eine Erklärung möglich, und in so weit glauben wir auch
nur, solche geben zu können. Da ist doch die Jdee des
vielfachen Effekts niemals mit der Jdee der zusammen-
gesetzten Ursache vorher associirt gewesen, sondern die
Verbindung ist ein Werk der Reflexion, und bleibet fest,
wenn sie einmal gemacht ist. Den Regenbogen erkläret
und begreifet man als eine Wirkung von den Sonnen-
strahlen, die in Wassertropfen fallen. Die einfachen
optischen Grundsätze, in welche diese Erklärung zerglie-
dert werden kann, sind Erfahrungssätze. Der Licht-
strahl bricht sich auf eine gewisse Weise, und wird re-
flektirt unter einem Winkel, der dem Einfallswinkel
gleich ist. Bis dahin gehen die vorläufigen Associatio-
nes. Aber in dem Kopf eines Newtons war nichts
mehr erforderlich, als die Vorstellung von den Sonnen-
strahlen und die Vorstellung von dem Regenbogen, und
seine Denkkraft brachte diese beiden Jdeen durch Ver-

gleichung
I. Band. X

und uͤber das Denken.
ſind wahre Gedanken, vor aller Erfahrung vorher. Wir
erlernen ſie aus dieſer nicht durch die Abſtraktion, und
es haͤngt alſo auch nicht von einer mehrmals wiederholten
Uebung ab, daß ſich ſolche Jdeenverknuͤpfungen feſtſetzen.

Drittens. Jn ſolchen Faͤllen, wo wir zuſammen-
geſetzte Wirkungen aus zuſammengeſetzten Urſachen er-
klaͤren, und wo die einfachen Grundſaͤtze nichts anders
ſind, als aus Empfindungen entſtandene beſtaͤndige
Jdeenverknuͤpfungen, und bloße Erfahrungsſaͤtze, da ſe-
hen wir es auch ein, daß wir die Dependenz der einfa-
chen Wirkungen von ihren Urſachen nicht begreifen, ſon-
dern davon nur allein wiſſen, daß ſie da ſey. Aber wir
ſuchen alsdenn auch nicht, die einfachen Wirkungen
aus ihren einfachen Urſachen begreiflich zu machen, und
zu erklaͤren; ſondern nur die zuſammengeſetzte Wirkung
aus der zuſammengeſetzten Urſache, indem wir beide zer-
gliedern, und jeden Theil der Wirkung auf die ihm zu-
gehoͤrige einfache Urſache zuruͤckfuͤhren. Jn ſo weit iſt
eine Erklaͤrung moͤglich, und in ſo weit glauben wir auch
nur, ſolche geben zu koͤnnen. Da iſt doch die Jdee des
vielfachen Effekts niemals mit der Jdee der zuſammen-
geſetzten Urſache vorher aſſociirt geweſen, ſondern die
Verbindung iſt ein Werk der Reflexion, und bleibet feſt,
wenn ſie einmal gemacht iſt. Den Regenbogen erklaͤret
und begreifet man als eine Wirkung von den Sonnen-
ſtrahlen, die in Waſſertropfen fallen. Die einfachen
optiſchen Grundſaͤtze, in welche dieſe Erklaͤrung zerglie-
dert werden kann, ſind Erfahrungsſaͤtze. Der Licht-
ſtrahl bricht ſich auf eine gewiſſe Weiſe, und wird re-
flektirt unter einem Winkel, der dem Einfallswinkel
gleich iſt. Bis dahin gehen die vorlaͤufigen Aſſociatio-
nes. Aber in dem Kopf eines Newtons war nichts
mehr erforderlich, als die Vorſtellung von den Sonnen-
ſtrahlen und die Vorſtellung von dem Regenbogen, und
ſeine Denkkraft brachte dieſe beiden Jdeen durch Ver-

gleichung
I. Band. X
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[321/0381] und uͤber das Denken. ſind wahre Gedanken, vor aller Erfahrung vorher. Wir erlernen ſie aus dieſer nicht durch die Abſtraktion, und es haͤngt alſo auch nicht von einer mehrmals wiederholten Uebung ab, daß ſich ſolche Jdeenverknuͤpfungen feſtſetzen. Drittens. Jn ſolchen Faͤllen, wo wir zuſammen- geſetzte Wirkungen aus zuſammengeſetzten Urſachen er- klaͤren, und wo die einfachen Grundſaͤtze nichts anders ſind, als aus Empfindungen entſtandene beſtaͤndige Jdeenverknuͤpfungen, und bloße Erfahrungsſaͤtze, da ſe- hen wir es auch ein, daß wir die Dependenz der einfa- chen Wirkungen von ihren Urſachen nicht begreifen, ſon- dern davon nur allein wiſſen, daß ſie da ſey. Aber wir ſuchen alsdenn auch nicht, die einfachen Wirkungen aus ihren einfachen Urſachen begreiflich zu machen, und zu erklaͤren; ſondern nur die zuſammengeſetzte Wirkung aus der zuſammengeſetzten Urſache, indem wir beide zer- gliedern, und jeden Theil der Wirkung auf die ihm zu- gehoͤrige einfache Urſache zuruͤckfuͤhren. Jn ſo weit iſt eine Erklaͤrung moͤglich, und in ſo weit glauben wir auch nur, ſolche geben zu koͤnnen. Da iſt doch die Jdee des vielfachen Effekts niemals mit der Jdee der zuſammen- geſetzten Urſache vorher aſſociirt geweſen, ſondern die Verbindung iſt ein Werk der Reflexion, und bleibet feſt, wenn ſie einmal gemacht iſt. Den Regenbogen erklaͤret und begreifet man als eine Wirkung von den Sonnen- ſtrahlen, die in Waſſertropfen fallen. Die einfachen optiſchen Grundſaͤtze, in welche dieſe Erklaͤrung zerglie- dert werden kann, ſind Erfahrungsſaͤtze. Der Licht- ſtrahl bricht ſich auf eine gewiſſe Weiſe, und wird re- flektirt unter einem Winkel, der dem Einfallswinkel gleich iſt. Bis dahin gehen die vorlaͤufigen Aſſociatio- nes. Aber in dem Kopf eines Newtons war nichts mehr erforderlich, als die Vorſtellung von den Sonnen- ſtrahlen und die Vorſtellung von dem Regenbogen, und ſeine Denkkraft brachte dieſe beiden Jdeen durch Ver- gleichung I. Band. X

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/381>, abgerufen am 21.11.2024.