fen, und Absondern einer Vorstellung, so kann es in dem andern Fall dasselbige seyn. Jst es dagegen eine thäti- ge Aeußerung der Seelenkraft gegen die beachtete lebhaf- ter ausgedruckte Vorstellung, und also nicht blos eine Thätigkeit, die etwas in der bildlichen Klarheit der Vor- stellung bewirket, sondern noch eine andere besondere Aktion, von der der Verhältnißgedanke eine besondere Wirkung ist, so kann es solches sowohl seyn, wenn wir gewahrwer- den, als wenn wir gewahrnehmen. Eine Kugel nimmt von einer gespannten Stahlfeder, die sich aus- dehnet, und sie fortstößet, eine Bewegung auf, und rea- girt in so weit gegen die Stahlfeder; aber wenn die Fe- der hingegen von dem Stoß einer Kugel, die gegen sie an- fährt, zusammengedrucket worden ist, so wirkt sie nun von neuem heraus gegen die Kugel. Jst der Aktus des Ge- wahrnehmens in der Seele jener passiven Reaktion der Kugel ähnlich, wie das Fühlen es war, oder muß sie mit der neuen bewegenden Thätigkeit der Feder gegen die Kugel verglichen werden?
Wir müssen gewahrnehmen auch wider unsern Wil- len, wenn alle Vorveränderungen dazu geschehen sind: ich muß die Trummel hören, das Bittere der Arzeney schmecken, den Stich der Nadel mit Bewußtseyn em- pfinden, wenn meine Sinnglieder die erforderlichen Ein- drücke empfangen haben. Dieß ist ein Beweis, daß das Gewahrnehmungsvermögen, es sey ein thätiges oder passives Princip, nicht allemal in unserer Gewalt ist; daß wir es oft so wenig zurückhalten können, als die ge- spannte Stahlfeder ihre Elasticität aufhalten kann. Aber ist es ein Beweis, daß wir leiden, wofür einige es an- sehn? Wie viele thätige Anwendungen unserer Kraft sind nicht unwillkührlich, und wie viele von den freywil- ligen werden es nicht, wenn die Seele zu heftig gereizet wird? Das Unwillkührliche in der Handlung hindert nicht, daß sie nicht eine Handlung sey.
Wenn
III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
fen, und Abſondern einer Vorſtellung, ſo kann es in dem andern Fall daſſelbige ſeyn. Jſt es dagegen eine thaͤti- ge Aeußerung der Seelenkraft gegen die beachtete lebhaf- ter ausgedruckte Vorſtellung, und alſo nicht blos eine Thaͤtigkeit, die etwas in der bildlichen Klarheit der Vor- ſtellung bewirket, ſondern noch eine andere beſondere Aktion, von der der Verhaͤltnißgedanke eine beſondere Wirkung iſt, ſo kann es ſolches ſowohl ſeyn, wenn wir gewahrwer- den, als wenn wir gewahrnehmen. Eine Kugel nimmt von einer geſpannten Stahlfeder, die ſich aus- dehnet, und ſie fortſtoͤßet, eine Bewegung auf, und rea- girt in ſo weit gegen die Stahlfeder; aber wenn die Fe- der hingegen von dem Stoß einer Kugel, die gegen ſie an- faͤhrt, zuſammengedrucket worden iſt, ſo wirkt ſie nun von neuem heraus gegen die Kugel. Jſt der Aktus des Ge- wahrnehmens in der Seele jener paſſiven Reaktion der Kugel aͤhnlich, wie das Fuͤhlen es war, oder muß ſie mit der neuen bewegenden Thaͤtigkeit der Feder gegen die Kugel verglichen werden?
Wir muͤſſen gewahrnehmen auch wider unſern Wil- len, wenn alle Vorveraͤnderungen dazu geſchehen ſind: ich muß die Trummel hoͤren, das Bittere der Arzeney ſchmecken, den Stich der Nadel mit Bewußtſeyn em- pfinden, wenn meine Sinnglieder die erforderlichen Ein- druͤcke empfangen haben. Dieß iſt ein Beweis, daß das Gewahrnehmungsvermoͤgen, es ſey ein thaͤtiges oder paſſives Princip, nicht allemal in unſerer Gewalt iſt; daß wir es oft ſo wenig zuruͤckhalten koͤnnen, als die ge- ſpannte Stahlfeder ihre Elaſticitaͤt aufhalten kann. Aber iſt es ein Beweis, daß wir leiden, wofuͤr einige es an- ſehn? Wie viele thaͤtige Anwendungen unſerer Kraft ſind nicht unwillkuͤhrlich, und wie viele von den freywil- ligen werden es nicht, wenn die Seele zu heftig gereizet wird? Das Unwillkuͤhrliche in der Handlung hindert nicht, daß ſie nicht eine Handlung ſey.
Wenn
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III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
fen, und Abſondern einer Vorſtellung, ſo kann es in dem
andern Fall daſſelbige ſeyn. Jſt es dagegen eine thaͤti-
ge Aeußerung der Seelenkraft gegen die beachtete lebhaf-
ter ausgedruckte Vorſtellung, und alſo nicht blos eine
Thaͤtigkeit, die etwas in der bildlichen Klarheit der Vor-
ſtellung bewirket, ſondern noch eine andere beſondere Aktion,
von der der Verhaͤltnißgedanke eine beſondere Wirkung iſt,
ſo kann es ſolches ſowohl ſeyn, wenn wir gewahrwer-
den, als wenn wir gewahrnehmen. Eine Kugel
nimmt von einer geſpannten Stahlfeder, die ſich aus-
dehnet, und ſie fortſtoͤßet, eine Bewegung auf, und rea-
girt in ſo weit gegen die Stahlfeder; aber wenn die Fe-
der hingegen von dem Stoß einer Kugel, die gegen ſie an-
faͤhrt, zuſammengedrucket worden iſt, ſo wirkt ſie nun von
neuem heraus gegen die Kugel. Jſt der Aktus des Ge-
wahrnehmens in der Seele jener paſſiven Reaktion der
Kugel aͤhnlich, wie das Fuͤhlen es war, oder muß ſie
mit der neuen bewegenden Thaͤtigkeit der Feder gegen
die Kugel verglichen werden?
Wir muͤſſen gewahrnehmen auch wider unſern Wil-
len, wenn alle Vorveraͤnderungen dazu geſchehen ſind:
ich muß die Trummel hoͤren, das Bittere der Arzeney
ſchmecken, den Stich der Nadel mit Bewußtſeyn em-
pfinden, wenn meine Sinnglieder die erforderlichen Ein-
druͤcke empfangen haben. Dieß iſt ein Beweis, daß
das Gewahrnehmungsvermoͤgen, es ſey ein thaͤtiges oder
paſſives Princip, nicht allemal in unſerer Gewalt iſt;
daß wir es oft ſo wenig zuruͤckhalten koͤnnen, als die ge-
ſpannte Stahlfeder ihre Elaſticitaͤt aufhalten kann. Aber
iſt es ein Beweis, daß wir leiden, wofuͤr einige es an-
ſehn? Wie viele thaͤtige Anwendungen unſerer Kraft
ſind nicht unwillkuͤhrlich, und wie viele von den freywil-
ligen werden es nicht, wenn die Seele zu heftig gereizet
wird? Das Unwillkuͤhrliche in der Handlung hindert
nicht, daß ſie nicht eine Handlung ſey.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/348>, abgerufen am 22.12.2024.
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