lehre noch einmal es nöthig machen, auch hier- inn genauer die Methoden der Naturlehrer zu befolgen, so kann es vor der Hand doch nicht schaden, daß zugleich raisonnirt und beobach- tet wird. Am Ende sind es doch die Reflexio- nen und Schlüsse, die die simpeln Beobach- tungen erst recht brauchbar machen, und ohne die wir beständig nur auf der äußern Flä- che der Dinge bleiben müßten. Aber meine Absicht in diesen Versuchen hat es erfodert, theils die eingestreueten Raisonnements nir- gends weiter zu verfolgen, als bis dahin, wo ihre Uebereinstimmung mit den Erfahrungen noch offenbar ist; theils sie nicht anders anzu- bringen, als wo ich glaubte, daß sie und ihre Gründe eben so evident seyn würden, als die Beobachtungen selbst. Der Geist des Sy- stems verleitet sonsten eben so sehr, als die Phantasie, und ich habe es so lebhaft gefühlet, wie schwer es sey, unser Jnneres so zu sehen, wie es ist, daß es mich nicht befremden wird, wenn man finden sollte, ich hätte hie und da ein Raisonnement für eine Beobachtung ange- sehen.
Jch wiederhole die Erklärung, daß es mein fester Vorsatz gewesen sey, auf nichts zu fußen, als was entweder unmittelbare Beob- achtung selbst ist, oder evidente und durch die Uebereinstimmung der Beobachtungen bestä- tigte Vernunft. Diese Absicht vor Augen, habe ichs versuchet, die Fähigkeiten der Seele in die einfachsten Vermögen aufzulösen, und
zu
Vorrede.
lehre noch einmal es noͤthig machen, auch hier- inn genauer die Methoden der Naturlehrer zu befolgen, ſo kann es vor der Hand doch nicht ſchaden, daß zugleich raiſonnirt und beobach- tet wird. Am Ende ſind es doch die Reflexio- nen und Schluͤſſe, die die ſimpeln Beobach- tungen erſt recht brauchbar machen, und ohne die wir beſtaͤndig nur auf der aͤußern Flaͤ- che der Dinge bleiben muͤßten. Aber meine Abſicht in dieſen Verſuchen hat es erfodert, theils die eingeſtreueten Raiſonnements nir- gends weiter zu verfolgen, als bis dahin, wo ihre Uebereinſtimmung mit den Erfahrungen noch offenbar iſt; theils ſie nicht anders anzu- bringen, als wo ich glaubte, daß ſie und ihre Gruͤnde eben ſo evident ſeyn wuͤrden, als die Beobachtungen ſelbſt. Der Geiſt des Sy- ſtems verleitet ſonſten eben ſo ſehr, als die Phantaſie, und ich habe es ſo lebhaft gefuͤhlet, wie ſchwer es ſey, unſer Jnneres ſo zu ſehen, wie es iſt, daß es mich nicht befremden wird, wenn man finden ſollte, ich haͤtte hie und da ein Raiſonnement fuͤr eine Beobachtung ange- ſehen.
Jch wiederhole die Erklaͤrung, daß es mein feſter Vorſatz geweſen ſey, auf nichts zu fußen, als was entweder unmittelbare Beob- achtung ſelbſt iſt, oder evidente und durch die Uebereinſtimmung der Beobachtungen beſtaͤ- tigte Vernunft. Dieſe Abſicht vor Augen, habe ichs verſuchet, die Faͤhigkeiten der Seele in die einfachſten Vermoͤgen aufzuloͤſen, und
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[XXX/0034]
Vorrede.
lehre noch einmal es noͤthig machen, auch hier-
inn genauer die Methoden der Naturlehrer zu
befolgen, ſo kann es vor der Hand doch nicht
ſchaden, daß zugleich raiſonnirt und beobach-
tet wird. Am Ende ſind es doch die Reflexio-
nen und Schluͤſſe, die die ſimpeln Beobach-
tungen erſt recht brauchbar machen, und ohne
die wir beſtaͤndig nur auf der aͤußern Flaͤ-
che der Dinge bleiben muͤßten. Aber meine
Abſicht in dieſen Verſuchen hat es erfodert,
theils die eingeſtreueten Raiſonnements nir-
gends weiter zu verfolgen, als bis dahin, wo
ihre Uebereinſtimmung mit den Erfahrungen
noch offenbar iſt; theils ſie nicht anders anzu-
bringen, als wo ich glaubte, daß ſie und ihre
Gruͤnde eben ſo evident ſeyn wuͤrden, als die
Beobachtungen ſelbſt. Der Geiſt des Sy-
ſtems verleitet ſonſten eben ſo ſehr, als die
Phantaſie, und ich habe es ſo lebhaft gefuͤhlet,
wie ſchwer es ſey, unſer Jnneres ſo zu ſehen,
wie es iſt, daß es mich nicht befremden wird,
wenn man finden ſollte, ich haͤtte hie und da
ein Raiſonnement fuͤr eine Beobachtung ange-
ſehen.
Jch wiederhole die Erklaͤrung, daß es
mein feſter Vorſatz geweſen ſey, auf nichts zu
fußen, als was entweder unmittelbare Beob-
achtung ſelbſt iſt, oder evidente und durch die
Uebereinſtimmung der Beobachtungen beſtaͤ-
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habe ichs verſuchet, die Faͤhigkeiten der Seele
in die einfachſten Vermoͤgen aufzuloͤſen, und
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. XXX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/34>, abgerufen am 22.12.2024.
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