mehr, als daß sie Gegenstände der ganzen menschlichen Erkenntniß- und Vorstellungskraft sind.
Die Verschiedenartigkeit des Relativen (Beziehen- den) und des Absoluten (Unbezogenen) ist bey der ersten Gattung der Verhältniße, bey der Einerleyheit und Verschiedenheit der Dinge, die eigentlich Verhält- nisse oder Relationen genennt werden, sehr auffallend. Zwey Objekte, welche wir für Einerley, für gleich, für ähnlich erkennen, haben ihre absolute Beschaffenhei- ten (als Sachen). Jedes Ey hat seine Größe, Gestalt, Farbe, Gewicht in sich objektivisch. Dieß sind seine absolute Beschaffenheiten. Aber was ist das, was wir ihre Aehnlichkeit, Gleichheit, Einerleyheit nen- nen? Wo ist ihre Einerleyheit? Es ist offenbar; sie sey nur sukjektivisch in dem Verstande vorhanden, der nach der Gegeneinanderhaltung der Dinge dieß Prä- dikat der Aehnlichkeit zu den Jdeen der Sachen hinzu füget. Der Gedanke von dem Verhältniß ist von der Denkkraft hervorgebracht, und ist nichts außer dem Ver- stande, sondern ein ens rationis, ein Machwerk von derjenigen Kraft, mit welcher wir die in uns gegenwär- tigen Vorstellungen von den Dingen als Sachen ver- gleichen, und dann ihnen so zu sagen, ein Siegel unse- rer vergleichenden Thätigkeit aufdrucken. Wenn der Gedanke von dem Verhältniße einmal hervorgebracht worden ist, so hat die Kraft der Seele sich thätig ge- äußert, und diese Aktion ist eine Veränderung in der Seele, die, wie jedwede andere, Spuren hinterläßt, welche auf eine ähnliche Art, wie andere Vorstellungen, wieder erwecket werden können, ohne daß der erste Aktus des Denkens selbst wiederholet werde.
Dieß führet uns wiederum auf eine Unterscheidung, die nicht übergangen werden darf. Man klage über Subtilität; ich wende nichts ein. Aber es ist nun so; man muß sich an allen Seiten umsehen. Es ist ein
anders,
III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
mehr, als daß ſie Gegenſtaͤnde der ganzen menſchlichen Erkenntniß- und Vorſtellungskraft ſind.
Die Verſchiedenartigkeit des Relativen (Beziehen- den) und des Abſoluten (Unbezogenen) iſt bey der erſten Gattung der Verhaͤltniße, bey der Einerleyheit und Verſchiedenheit der Dinge, die eigentlich Verhaͤlt- niſſe oder Relationen genennt werden, ſehr auffallend. Zwey Objekte, welche wir fuͤr Einerley, fuͤr gleich, fuͤr aͤhnlich erkennen, haben ihre abſolute Beſchaffenhei- ten (als Sachen). Jedes Ey hat ſeine Groͤße, Geſtalt, Farbe, Gewicht in ſich objektiviſch. Dieß ſind ſeine abſolute Beſchaffenheiten. Aber was iſt das, was wir ihre Aehnlichkeit, Gleichheit, Einerleyheit nen- nen? Wo iſt ihre Einerleyheit? Es iſt offenbar; ſie ſey nur ſukjektiviſch in dem Verſtande vorhanden, der nach der Gegeneinanderhaltung der Dinge dieß Praͤ- dikat der Aehnlichkeit zu den Jdeen der Sachen hinzu fuͤget. Der Gedanke von dem Verhaͤltniß iſt von der Denkkraft hervorgebracht, und iſt nichts außer dem Ver- ſtande, ſondern ein ens rationis, ein Machwerk von derjenigen Kraft, mit welcher wir die in uns gegenwaͤr- tigen Vorſtellungen von den Dingen als Sachen ver- gleichen, und dann ihnen ſo zu ſagen, ein Siegel unſe- rer vergleichenden Thaͤtigkeit aufdrucken. Wenn der Gedanke von dem Verhaͤltniße einmal hervorgebracht worden iſt, ſo hat die Kraft der Seele ſich thaͤtig ge- aͤußert, und dieſe Aktion iſt eine Veraͤnderung in der Seele, die, wie jedwede andere, Spuren hinterlaͤßt, welche auf eine aͤhnliche Art, wie andere Vorſtellungen, wieder erwecket werden koͤnnen, ohne daß der erſte Aktus des Denkens ſelbſt wiederholet werde.
Dieß fuͤhret uns wiederum auf eine Unterſcheidung, die nicht uͤbergangen werden darf. Man klage uͤber Subtilitaͤt; ich wende nichts ein. Aber es iſt nun ſo; man muß ſich an allen Seiten umſehen. Es iſt ein
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III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
mehr, als daß ſie Gegenſtaͤnde der ganzen menſchlichen
Erkenntniß- und Vorſtellungskraft ſind.
Die Verſchiedenartigkeit des Relativen (Beziehen-
den) und des Abſoluten (Unbezogenen) iſt bey der erſten
Gattung der Verhaͤltniße, bey der Einerleyheit und
Verſchiedenheit der Dinge, die eigentlich Verhaͤlt-
niſſe oder Relationen genennt werden, ſehr auffallend.
Zwey Objekte, welche wir fuͤr Einerley, fuͤr gleich,
fuͤr aͤhnlich erkennen, haben ihre abſolute Beſchaffenhei-
ten (als Sachen). Jedes Ey hat ſeine Groͤße, Geſtalt,
Farbe, Gewicht in ſich objektiviſch. Dieß ſind ſeine
abſolute Beſchaffenheiten. Aber was iſt das, was
wir ihre Aehnlichkeit, Gleichheit, Einerleyheit nen-
nen? Wo iſt ihre Einerleyheit? Es iſt offenbar; ſie
ſey nur ſukjektiviſch in dem Verſtande vorhanden, der
nach der Gegeneinanderhaltung der Dinge dieß Praͤ-
dikat der Aehnlichkeit zu den Jdeen der Sachen hinzu
fuͤget. Der Gedanke von dem Verhaͤltniß iſt von der
Denkkraft hervorgebracht, und iſt nichts außer dem Ver-
ſtande, ſondern ein ens rationis, ein Machwerk von
derjenigen Kraft, mit welcher wir die in uns gegenwaͤr-
tigen Vorſtellungen von den Dingen als Sachen ver-
gleichen, und dann ihnen ſo zu ſagen, ein Siegel unſe-
rer vergleichenden Thaͤtigkeit aufdrucken. Wenn der
Gedanke von dem Verhaͤltniße einmal hervorgebracht
worden iſt, ſo hat die Kraft der Seele ſich thaͤtig ge-
aͤußert, und dieſe Aktion iſt eine Veraͤnderung in der
Seele, die, wie jedwede andere, Spuren hinterlaͤßt,
welche auf eine aͤhnliche Art, wie andere Vorſtellungen,
wieder erwecket werden koͤnnen, ohne daß der erſte Aktus
des Denkens ſelbſt wiederholet werde.
Dieß fuͤhret uns wiederum auf eine Unterſcheidung,
die nicht uͤbergangen werden darf. Man klage uͤber
Subtilitaͤt; ich wende nichts ein. Aber es iſt nun ſo;
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/336>, abgerufen am 22.12.2024.
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