Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
und Bewußtseyn.
III.
Das Gewahrnehmen bringet Gedanken von ei-
nem Verhältniß hervor. Vergleichung des
Verhältnißgedanken mit dem Gefühl des Abso-
luten.

Das Gewahrnehmen gehöret zu den sehr einfachen
Thätigkeiten der Seele, in deren Jnnern sich wenig
Mannigfaltiges bemerken lässet. Es ist nicht leicht, es
zu beobachten, als nur auf die Art, daß man es von
außen zu betrachten suche, daß man nemlich auf die
Wirkungen sehe, die es hervorbringet, auf seine Gegen-
stände, mit denen es sich unmittelbar beschästiget, und
so weit es angehet, die Entstehung des Bewußtseyns
aufsuchet.

Jndem wir etwas gewahrnehmen, so entstehet in
uns ein Gedanke von einem Verhältniß einer Sache
gegen andere. Das Wort, Siehe, drücket zum min-
desten so viel aus: das Objekt, was ich gewahrnehme,
ist eine besondere Sache für sich. Darinnen bestehet
das Unterscheiden und Auskennen, daß ich diesen
Gedanken in mir habe, wenn er auch gleich weder ent-
wickelt in der Form eines völligen Urtheils vorhanden ist,
noch durch Worte wirklich bezeichnet wird.

Der Gedanke von der Besonderheit der wahr-
genommenen Sache ist also eine Wirkung von dem Aktus
des Gewahrnehmens, oder, wenn man die Sache so an-
sehen will, dieß Verhältniß der Dinge ist dasjenige,
womit sich das Gewahrnehmungsvermögen unmittelbar
beschäftiget. Es ist also eine Art von Urtheilen, was
in uns bey dem Gewahrwerden entstehet.

Jch sage eine Art von Urtheilen. Denn ein eigent-
liches Urtheil, wenn dieß als eine besondere Gattung
von Gedanken angesehen wird, die von den Jdeen unter-

schieden
I. Band. S
und Bewußtſeyn.
III.
Das Gewahrnehmen bringet Gedanken von ei-
nem Verhaͤltniß hervor. Vergleichung des
Verhaͤltnißgedanken mit dem Gefuͤhl des Abſo-
luten.

Das Gewahrnehmen gehoͤret zu den ſehr einfachen
Thaͤtigkeiten der Seele, in deren Jnnern ſich wenig
Mannigfaltiges bemerken laͤſſet. Es iſt nicht leicht, es
zu beobachten, als nur auf die Art, daß man es von
außen zu betrachten ſuche, daß man nemlich auf die
Wirkungen ſehe, die es hervorbringet, auf ſeine Gegen-
ſtaͤnde, mit denen es ſich unmittelbar beſchaͤſtiget, und
ſo weit es angehet, die Entſtehung des Bewußtſeyns
aufſuchet.

Jndem wir etwas gewahrnehmen, ſo entſtehet in
uns ein Gedanke von einem Verhaͤltniß einer Sache
gegen andere. Das Wort, Siehe, druͤcket zum min-
deſten ſo viel aus: das Objekt, was ich gewahrnehme,
iſt eine beſondere Sache fuͤr ſich. Darinnen beſtehet
das Unterſcheiden und Auskennen, daß ich dieſen
Gedanken in mir habe, wenn er auch gleich weder ent-
wickelt in der Form eines voͤlligen Urtheils vorhanden iſt,
noch durch Worte wirklich bezeichnet wird.

Der Gedanke von der Beſonderheit der wahr-
genommenen Sache iſt alſo eine Wirkung von dem Aktus
des Gewahrnehmens, oder, wenn man die Sache ſo an-
ſehen will, dieß Verhaͤltniß der Dinge iſt dasjenige,
womit ſich das Gewahrnehmungsvermoͤgen unmittelbar
beſchaͤftiget. Es iſt alſo eine Art von Urtheilen, was
in uns bey dem Gewahrwerden entſtehet.

Jch ſage eine Art von Urtheilen. Denn ein eigent-
liches Urtheil, wenn dieß als eine beſondere Gattung
von Gedanken angeſehen wird, die von den Jdeen unter-

ſchieden
I. Band. S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0333" n="273"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">und Bewußt&#x017F;eyn.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">III.</hi><lb/>
Das Gewahrnehmen bringet Gedanken von ei-<lb/>
nem Verha&#x0364;ltniß hervor. Vergleichung des<lb/>
Verha&#x0364;ltnißgedanken mit dem Gefu&#x0364;hl des Ab&#x017F;o-<lb/>
luten.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>as Gewahrnehmen geho&#x0364;ret zu den &#x017F;ehr einfachen<lb/>
Tha&#x0364;tigkeiten der Seele, in deren Jnnern &#x017F;ich wenig<lb/>
Mannigfaltiges bemerken la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et. Es i&#x017F;t nicht leicht, es<lb/>
zu beobachten, als nur auf die Art, daß man es von<lb/>
außen zu betrachten &#x017F;uche, daß man nemlich auf die<lb/>
Wirkungen &#x017F;ehe, die es hervorbringet, auf &#x017F;eine Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde, mit denen es &#x017F;ich unmittelbar be&#x017F;cha&#x0364;&#x017F;tiget, und<lb/>
&#x017F;o weit es angehet, die Ent&#x017F;tehung des Bewußt&#x017F;eyns<lb/>
auf&#x017F;uchet.</p><lb/>
          <p>Jndem wir etwas gewahrnehmen, &#x017F;o ent&#x017F;tehet in<lb/>
uns ein Gedanke von einem <hi rendition="#fr">Verha&#x0364;ltniß</hi> einer Sache<lb/>
gegen andere. Das Wort, <hi rendition="#fr">Siehe,</hi> dru&#x0364;cket zum min-<lb/>
de&#x017F;ten &#x017F;o viel aus: das Objekt, was ich gewahrnehme,<lb/>
i&#x017F;t eine <hi rendition="#fr">be&#x017F;ondere</hi> Sache fu&#x0364;r &#x017F;ich. Darinnen be&#x017F;tehet<lb/>
das <hi rendition="#fr">Unter&#x017F;cheiden</hi> und <hi rendition="#fr">Auskennen,</hi> daß ich die&#x017F;en<lb/>
Gedanken in mir habe, wenn er auch gleich weder ent-<lb/>
wickelt in der Form eines vo&#x0364;lligen Urtheils vorhanden i&#x017F;t,<lb/>
noch durch Worte wirklich bezeichnet wird.</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#fr">Gedanke von der Be&#x017F;onderheit</hi> der wahr-<lb/>
genommenen Sache i&#x017F;t al&#x017F;o eine Wirkung von dem Aktus<lb/>
des Gewahrnehmens, oder, wenn man die Sache &#x017F;o an-<lb/>
&#x017F;ehen will, dieß Verha&#x0364;ltniß der Dinge i&#x017F;t dasjenige,<lb/>
womit &#x017F;ich das Gewahrnehmungsvermo&#x0364;gen unmittelbar<lb/>
be&#x017F;cha&#x0364;ftiget. Es i&#x017F;t al&#x017F;o eine Art von <hi rendition="#fr">Urtheilen,</hi> was<lb/>
in uns bey dem Gewahrwerden ent&#x017F;tehet.</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;age eine Art von Urtheilen. Denn ein eigent-<lb/>
liches <hi rendition="#fr">Urtheil,</hi> wenn dieß als eine be&#x017F;ondere Gattung<lb/>
von Gedanken ange&#x017F;ehen wird, die von den Jdeen unter-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">Band.</hi> S</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chieden</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[273/0333] und Bewußtſeyn. III. Das Gewahrnehmen bringet Gedanken von ei- nem Verhaͤltniß hervor. Vergleichung des Verhaͤltnißgedanken mit dem Gefuͤhl des Abſo- luten. Das Gewahrnehmen gehoͤret zu den ſehr einfachen Thaͤtigkeiten der Seele, in deren Jnnern ſich wenig Mannigfaltiges bemerken laͤſſet. Es iſt nicht leicht, es zu beobachten, als nur auf die Art, daß man es von außen zu betrachten ſuche, daß man nemlich auf die Wirkungen ſehe, die es hervorbringet, auf ſeine Gegen- ſtaͤnde, mit denen es ſich unmittelbar beſchaͤſtiget, und ſo weit es angehet, die Entſtehung des Bewußtſeyns aufſuchet. Jndem wir etwas gewahrnehmen, ſo entſtehet in uns ein Gedanke von einem Verhaͤltniß einer Sache gegen andere. Das Wort, Siehe, druͤcket zum min- deſten ſo viel aus: das Objekt, was ich gewahrnehme, iſt eine beſondere Sache fuͤr ſich. Darinnen beſtehet das Unterſcheiden und Auskennen, daß ich dieſen Gedanken in mir habe, wenn er auch gleich weder ent- wickelt in der Form eines voͤlligen Urtheils vorhanden iſt, noch durch Worte wirklich bezeichnet wird. Der Gedanke von der Beſonderheit der wahr- genommenen Sache iſt alſo eine Wirkung von dem Aktus des Gewahrnehmens, oder, wenn man die Sache ſo an- ſehen will, dieß Verhaͤltniß der Dinge iſt dasjenige, womit ſich das Gewahrnehmungsvermoͤgen unmittelbar beſchaͤftiget. Es iſt alſo eine Art von Urtheilen, was in uns bey dem Gewahrwerden entſtehet. Jch ſage eine Art von Urtheilen. Denn ein eigent- liches Urtheil, wenn dieß als eine beſondere Gattung von Gedanken angeſehen wird, die von den Jdeen unter- ſchieden I. Band. S

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/333
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/333>, abgerufen am 22.12.2024.