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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und Bewußtseyn.
Jch setze also in der gegenwärtigen Betrachtung zum
Grunde, es sey das Gewahrnehmen mit dem Gefühl
wie mit dem Vorstellen verbunden; und dann ist zu-
nächst zu fragen: "ob ein lebhaftes abgesondertes Ge-
"fühl einer Sache das Gewahrnehmen allemal mit sich
"verbunden habe, und verbunden haben müsse," in al-
len Wesen, auch in den Thierseelen? und ob jenes mit
diesem einerleyartig sey? Ob es dasselbartige Vermö-
gen der Seele sey, womit sie fühlet, und womit sie das
Gefühlte als etwas besonders gewahrnimmt, es ausken-
net oder unterscheidet?

Es giebt Vorstellungen ohne Bewußtseyn.
Aber in welchem Verstande? Es giebt Eindrücke von
den Dingen außer uns, die an sich vielbefassend und zu-
sammengesetzt sind, und in denen wir nichts unterschei-
den; und dergleichen giebt es auch in unsern innern Ver-
änderungen, welche Gegenstände des Selbstgefühls sind.
Wir wissen so wenig | um alles, was in unsrer innern
Welt vorgehet, als wir alles bemerken können, was au-
ßer uns ist. Dahero sind auch in den nachbleibenden
Spuren, welche die Phantasie wiederum gegenwärtig
machet, so viele Theile, die wir so wenig unterscheiden,
als die einzelnen Dünste in den Wolken; und die den-
noch auch einzeln genommen, Vorstellungen, das ist,
solche hinterlassene Abbildungen der Dinge sind, deren
sich die Seele, wenn es nur nicht an der nöthigen mate-
riellen Klarheit in ihnen fehlet, sich zu Zeichen der Din-
ge bedienen kann. So viel ist wohl außer Zweifel.
Der Grund und Boden der Seele bestehet, wie Leibnitz
sagte, aus unwahrgenommenen Vorstellungen. Die
Jdeen, die Vorstellungen, deren man sich bewußt ist,
sind einzelne hervorragende Theile, wie die Jnsuln auf
dem Weltmeer, davon nur hie und da, eine größere An-
zahl nahe auf einem Haufen beysammen lieget.

Dennoch
R 5

und Bewußtſeyn.
Jch ſetze alſo in der gegenwaͤrtigen Betrachtung zum
Grunde, es ſey das Gewahrnehmen mit dem Gefuͤhl
wie mit dem Vorſtellen verbunden; und dann iſt zu-
naͤchſt zu fragen: „ob ein lebhaftes abgeſondertes Ge-
„fuͤhl einer Sache das Gewahrnehmen allemal mit ſich
„verbunden habe, und verbunden haben muͤſſe,‟ in al-
len Weſen, auch in den Thierſeelen? und ob jenes mit
dieſem einerleyartig ſey? Ob es daſſelbartige Vermoͤ-
gen der Seele ſey, womit ſie fuͤhlet, und womit ſie das
Gefuͤhlte als etwas beſonders gewahrnimmt, es ausken-
net oder unterſcheidet?

Es giebt Vorſtellungen ohne Bewußtſeyn.
Aber in welchem Verſtande? Es giebt Eindruͤcke von
den Dingen außer uns, die an ſich vielbefaſſend und zu-
ſammengeſetzt ſind, und in denen wir nichts unterſchei-
den; und dergleichen giebt es auch in unſern innern Ver-
aͤnderungen, welche Gegenſtaͤnde des Selbſtgefuͤhls ſind.
Wir wiſſen ſo wenig | um alles, was in unſrer innern
Welt vorgehet, als wir alles bemerken koͤnnen, was au-
ßer uns iſt. Dahero ſind auch in den nachbleibenden
Spuren, welche die Phantaſie wiederum gegenwaͤrtig
machet, ſo viele Theile, die wir ſo wenig unterſcheiden,
als die einzelnen Duͤnſte in den Wolken; und die den-
noch auch einzeln genommen, Vorſtellungen, das iſt,
ſolche hinterlaſſene Abbildungen der Dinge ſind, deren
ſich die Seele, wenn es nur nicht an der noͤthigen mate-
riellen Klarheit in ihnen fehlet, ſich zu Zeichen der Din-
ge bedienen kann. So viel iſt wohl außer Zweifel.
Der Grund und Boden der Seele beſtehet, wie Leibnitz
ſagte, aus unwahrgenommenen Vorſtellungen. Die
Jdeen, die Vorſtellungen, deren man ſich bewußt iſt,
ſind einzelne hervorragende Theile, wie die Jnſuln auf
dem Weltmeer, davon nur hie und da, eine groͤßere An-
zahl nahe auf einem Haufen beyſammen lieget.

Dennoch
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[265/0325] und Bewußtſeyn. Jch ſetze alſo in der gegenwaͤrtigen Betrachtung zum Grunde, es ſey das Gewahrnehmen mit dem Gefuͤhl wie mit dem Vorſtellen verbunden; und dann iſt zu- naͤchſt zu fragen: „ob ein lebhaftes abgeſondertes Ge- „fuͤhl einer Sache das Gewahrnehmen allemal mit ſich „verbunden habe, und verbunden haben muͤſſe,‟ in al- len Weſen, auch in den Thierſeelen? und ob jenes mit dieſem einerleyartig ſey? Ob es daſſelbartige Vermoͤ- gen der Seele ſey, womit ſie fuͤhlet, und womit ſie das Gefuͤhlte als etwas beſonders gewahrnimmt, es ausken- net oder unterſcheidet? Es giebt Vorſtellungen ohne Bewußtſeyn. Aber in welchem Verſtande? Es giebt Eindruͤcke von den Dingen außer uns, die an ſich vielbefaſſend und zu- ſammengeſetzt ſind, und in denen wir nichts unterſchei- den; und dergleichen giebt es auch in unſern innern Ver- aͤnderungen, welche Gegenſtaͤnde des Selbſtgefuͤhls ſind. Wir wiſſen ſo wenig | um alles, was in unſrer innern Welt vorgehet, als wir alles bemerken koͤnnen, was au- ßer uns iſt. Dahero ſind auch in den nachbleibenden Spuren, welche die Phantaſie wiederum gegenwaͤrtig machet, ſo viele Theile, die wir ſo wenig unterſcheiden, als die einzelnen Duͤnſte in den Wolken; und die den- noch auch einzeln genommen, Vorſtellungen, das iſt, ſolche hinterlaſſene Abbildungen der Dinge ſind, deren ſich die Seele, wenn es nur nicht an der noͤthigen mate- riellen Klarheit in ihnen fehlet, ſich zu Zeichen der Din- ge bedienen kann. So viel iſt wohl außer Zweifel. Der Grund und Boden der Seele beſtehet, wie Leibnitz ſagte, aus unwahrgenommenen Vorſtellungen. Die Jdeen, die Vorſtellungen, deren man ſich bewußt iſt, ſind einzelne hervorragende Theile, wie die Jnſuln auf dem Weltmeer, davon nur hie und da, eine groͤßere An- zahl nahe auf einem Haufen beyſammen lieget. Dennoch R 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/325>, abgerufen am 22.12.2024.