Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Bewußtseyn.
er es vorher war, aber ihn doch von einer andern Seite
darstellen, von der er vielleicht etwas mehr und heller
gesehen werden kann. Das Bemerken will etwas
mehr sagen, als Gewahrnehmen. Wer etwas bemer-
ket,
suchet an der gewahrgenommenen Sache ein Merk-
mal auf, woran sie auch in der Folge gewahrgenommen
und ausgekannt werden könne. Sich einer Sache
bewußt seyn,
drucket einen fortdaurenden Zustand aus,
in welchem man einen Gegenstand oder dessen Vorstel-
lung unterscheidend fühlet, und sich selbst dazu. Das
Bewußtseyn ist von Einer Seite ein Gefühl, aber ein
klares Gefühl, klare Empfindung, ein Gefühl, mit dem
ein Unterscheiden der gefühlten Sache und Seiner selbst
verbunden ist. Gefühl und Gewahrnehmung sind die
beiden Bestandtheile des Bewußtseyns.

II.
Ob das Gewahrnehmen einerley sey mit dem Aktus
des Fühlens in einer größern Jntension? oder
ob es einerley sey mit dem Aktus des Vorstel-
lens, wenn dieser sich ausnehmend bey einer
Vorstellung äußert?

Ein Objekt, welches gewahrgenommen werden soll,
muß in uns, entweder in der Empfindung oder in
der Vorstellung, gegenwärtig seyn. Ohne Gefühl
oder ohne Vorstellung kann nichts gewahrgenommen
werden. Aber ist dieß letztere etwas Eigenes, von je-
nen Seelenäußerungen verschiedenes? oder ist es nur
ein gewisser Grad an Stärke, an Lebhaftigkeit, an Fein-
heit in dem Aktus des Fühlens oder des Vorstellens?
Denn daß nicht ein jedes Gefühl, nicht das dunkle Ge-
fühl einer Sache, vorausgesetzt, daß dieses auch ein
Fühlen genennet werden soll, ein Bewußtseyn sey, schei-

net
R 4

und Bewußtſeyn.
er es vorher war, aber ihn doch von einer andern Seite
darſtellen, von der er vielleicht etwas mehr und heller
geſehen werden kann. Das Bemerken will etwas
mehr ſagen, als Gewahrnehmen. Wer etwas bemer-
ket,
ſuchet an der gewahrgenommenen Sache ein Merk-
mal auf, woran ſie auch in der Folge gewahrgenommen
und ausgekannt werden koͤnne. Sich einer Sache
bewußt ſeyn,
drucket einen fortdaurenden Zuſtand aus,
in welchem man einen Gegenſtand oder deſſen Vorſtel-
lung unterſcheidend fuͤhlet, und ſich ſelbſt dazu. Das
Bewußtſeyn iſt von Einer Seite ein Gefuͤhl, aber ein
klares Gefuͤhl, klare Empfindung, ein Gefuͤhl, mit dem
ein Unterſcheiden der gefuͤhlten Sache und Seiner ſelbſt
verbunden iſt. Gefuͤhl und Gewahrnehmung ſind die
beiden Beſtandtheile des Bewußtſeyns.

II.
Ob das Gewahrnehmen einerley ſey mit dem Aktus
des Fuͤhlens in einer groͤßern Jntenſion? oder
ob es einerley ſey mit dem Aktus des Vorſtel-
lens, wenn dieſer ſich ausnehmend bey einer
Vorſtellung aͤußert?

Ein Objekt, welches gewahrgenommen werden ſoll,
muß in uns, entweder in der Empfindung oder in
der Vorſtellung, gegenwaͤrtig ſeyn. Ohne Gefuͤhl
oder ohne Vorſtellung kann nichts gewahrgenommen
werden. Aber iſt dieß letztere etwas Eigenes, von je-
nen Seelenaͤußerungen verſchiedenes? oder iſt es nur
ein gewiſſer Grad an Staͤrke, an Lebhaftigkeit, an Fein-
heit in dem Aktus des Fuͤhlens oder des Vorſtellens?
Denn daß nicht ein jedes Gefuͤhl, nicht das dunkle Ge-
fuͤhl einer Sache, vorausgeſetzt, daß dieſes auch ein
Fuͤhlen genennet werden ſoll, ein Bewußtſeyn ſey, ſchei-

net
R 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0323" n="263"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Bewußt&#x017F;eyn.</hi></fw><lb/>
er es vorher war, aber ihn doch von einer andern Seite<lb/>
dar&#x017F;tellen, von der er vielleicht etwas mehr und heller<lb/>
ge&#x017F;ehen werden kann. Das <hi rendition="#fr">Bemerken</hi> will etwas<lb/>
mehr &#x017F;agen, als Gewahrnehmen. Wer etwas <hi rendition="#fr">bemer-<lb/>
ket,</hi> &#x017F;uchet an der gewahrgenommenen Sache ein Merk-<lb/>
mal auf, woran &#x017F;ie auch in der Folge gewahrgenommen<lb/>
und ausgekannt werden ko&#x0364;nne. <hi rendition="#fr">Sich einer Sache<lb/>
bewußt &#x017F;eyn,</hi> drucket einen fortdaurenden Zu&#x017F;tand aus,<lb/>
in welchem man einen Gegen&#x017F;tand oder de&#x017F;&#x017F;en Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung unter&#x017F;cheidend fu&#x0364;hlet, und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t dazu. Das<lb/>
Bewußt&#x017F;eyn i&#x017F;t von Einer Seite ein Gefu&#x0364;hl, aber ein<lb/>
klares Gefu&#x0364;hl, klare Empfindung, ein Gefu&#x0364;hl, mit dem<lb/>
ein Unter&#x017F;cheiden der gefu&#x0364;hlten Sache und Seiner &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
verbunden i&#x017F;t. Gefu&#x0364;hl und Gewahrnehmung &#x017F;ind die<lb/>
beiden Be&#x017F;tandtheile des Bewußt&#x017F;eyns.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
Ob das Gewahrnehmen einerley &#x017F;ey mit dem Aktus<lb/>
des Fu&#x0364;hlens in einer gro&#x0364;ßern Jnten&#x017F;ion? oder<lb/>
ob es einerley &#x017F;ey mit dem Aktus des Vor&#x017F;tel-<lb/>
lens, wenn die&#x017F;er &#x017F;ich ausnehmend bey einer<lb/>
Vor&#x017F;tellung a&#x0364;ußert?</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>in Objekt, welches <hi rendition="#fr">gewahrgenommen</hi> werden &#x017F;oll,<lb/>
muß in uns, entweder in der Empfindung oder in<lb/>
der Vor&#x017F;tellung, <hi rendition="#fr">gegenwa&#x0364;rtig</hi> &#x017F;eyn. Ohne Gefu&#x0364;hl<lb/>
oder ohne Vor&#x017F;tellung kann nichts gewahrgenommen<lb/>
werden. Aber i&#x017F;t dieß letztere etwas Eigenes, von je-<lb/>
nen Seelena&#x0364;ußerungen ver&#x017F;chiedenes? oder i&#x017F;t es nur<lb/>
ein gewi&#x017F;&#x017F;er Grad an Sta&#x0364;rke, an Lebhaftigkeit, an Fein-<lb/>
heit in dem Aktus des Fu&#x0364;hlens oder des Vor&#x017F;tellens?<lb/>
Denn daß nicht ein jedes Gefu&#x0364;hl, nicht das dunkle Ge-<lb/>
fu&#x0364;hl einer Sache, vorausge&#x017F;etzt, daß die&#x017F;es auch ein<lb/>
Fu&#x0364;hlen genennet werden &#x017F;oll, ein Bewußt&#x017F;eyn &#x017F;ey, &#x017F;chei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 4</fw><fw place="bottom" type="catch">net</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0323] und Bewußtſeyn. er es vorher war, aber ihn doch von einer andern Seite darſtellen, von der er vielleicht etwas mehr und heller geſehen werden kann. Das Bemerken will etwas mehr ſagen, als Gewahrnehmen. Wer etwas bemer- ket, ſuchet an der gewahrgenommenen Sache ein Merk- mal auf, woran ſie auch in der Folge gewahrgenommen und ausgekannt werden koͤnne. Sich einer Sache bewußt ſeyn, drucket einen fortdaurenden Zuſtand aus, in welchem man einen Gegenſtand oder deſſen Vorſtel- lung unterſcheidend fuͤhlet, und ſich ſelbſt dazu. Das Bewußtſeyn iſt von Einer Seite ein Gefuͤhl, aber ein klares Gefuͤhl, klare Empfindung, ein Gefuͤhl, mit dem ein Unterſcheiden der gefuͤhlten Sache und Seiner ſelbſt verbunden iſt. Gefuͤhl und Gewahrnehmung ſind die beiden Beſtandtheile des Bewußtſeyns. II. Ob das Gewahrnehmen einerley ſey mit dem Aktus des Fuͤhlens in einer groͤßern Jntenſion? oder ob es einerley ſey mit dem Aktus des Vorſtel- lens, wenn dieſer ſich ausnehmend bey einer Vorſtellung aͤußert? Ein Objekt, welches gewahrgenommen werden ſoll, muß in uns, entweder in der Empfindung oder in der Vorſtellung, gegenwaͤrtig ſeyn. Ohne Gefuͤhl oder ohne Vorſtellung kann nichts gewahrgenommen werden. Aber iſt dieß letztere etwas Eigenes, von je- nen Seelenaͤußerungen verſchiedenes? oder iſt es nur ein gewiſſer Grad an Staͤrke, an Lebhaftigkeit, an Fein- heit in dem Aktus des Fuͤhlens oder des Vorſtellens? Denn daß nicht ein jedes Gefuͤhl, nicht das dunkle Ge- fuͤhl einer Sache, vorausgeſetzt, daß dieſes auch ein Fuͤhlen genennet werden ſoll, ein Bewußtſeyn ſey, ſchei- net R 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/323
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/323>, abgerufen am 24.11.2024.