Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.über Empfindungen u. Empfindnisse. durch gewisse Hülssmittel das Gefühl auf sie hinzulenken,und auf sie aufmerksam zu machen, wenn sie so gefasset werden sollen, daß sie die Empfindsamkeit reizen, so ist eine ähnliche Richtung und Erregung bey den übrigen Empfindungen noch um einen Grad mehr nothwendig. Man muß es dem Kinde noch öfterer sagen, und voll- ausgedruckt sagen, mit Mienen, Geberden und Hand- lungen es sagen, daß es ein Vergnügen sey, etwas zu lernen, eine Wollust, andere Menschen vergnügt zu machen, und dergleichen, um seine Anlage zu den intel- lektuellen und moralischen Empfindnissen anzufachen, und dieß muß ihm mehr und öfterer vorgesaget werden, als es nöthig ist, ihm auf dem Clavier vorzuspielen, und zu bezeugen, daß es ergötze, um ihm einen Geschmack an Musik beyzubringen. Aber in der Folge bemerket man, in der Maße, wie die innere Thätigkeitskraft der ju- gendlichen Seele zunimmt, eben eine solche Unterschei- dung zwischen den innern Empfindnissen, einen Hang zu gewissen Spielarten und Ergötzungen mehr als zu andern, eine Liebe zu gewissen kleinen Geschäften, Absich- ten, zu der Ausführung der kindischen Einfälle, und zu gewissen geflissentlichen Thätigkeiten und Arbeiten der vorstellenden und denkenden Kraft, und eine ähnliche leb- hafte Auskiesung der einen Art vor der andern, wie sich solches bey den äußern Empfindungen verrathen hat. Man lernet die innern Seelenbeschäftigungen und Selbst- gefühle kennen, unterscheiden und schmecken, wie die Speisen, Töne und Gemählde. Jene innere Empfind- samkeit wird bey einigen Menschen, die in einer oder der andern Hinsicht Genies sind, stärker, als es die äußere ist. Laß also, wie es ist, die äußern sinnlichen Em- pfindungen die Quellen der Rührungen seyn, die sich zu- erst eröffnen und ergießen; laß dieser ihre Lust oder Un- lust den Anfang machen, die natürliche Empfindsamkeit zu erwecken, und sie zu der Aufnahme anderer Empfind- nisse
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. durch gewiſſe Huͤlſsmittel das Gefuͤhl auf ſie hinzulenken,und auf ſie aufmerkſam zu machen, wenn ſie ſo gefaſſet werden ſollen, daß ſie die Empfindſamkeit reizen, ſo iſt eine aͤhnliche Richtung und Erregung bey den uͤbrigen Empfindungen noch um einen Grad mehr nothwendig. Man muß es dem Kinde noch oͤfterer ſagen, und voll- ausgedruckt ſagen, mit Mienen, Geberden und Hand- lungen es ſagen, daß es ein Vergnuͤgen ſey, etwas zu lernen, eine Wolluſt, andere Menſchen vergnuͤgt zu machen, und dergleichen, um ſeine Anlage zu den intel- lektuellen und moraliſchen Empfindniſſen anzufachen, und dieß muß ihm mehr und oͤfterer vorgeſaget werden, als es noͤthig iſt, ihm auf dem Clavier vorzuſpielen, und zu bezeugen, daß es ergoͤtze, um ihm einen Geſchmack an Muſik beyzubringen. Aber in der Folge bemerket man, in der Maße, wie die innere Thaͤtigkeitskraft der ju- gendlichen Seele zunimmt, eben eine ſolche Unterſchei- dung zwiſchen den innern Empfindniſſen, einen Hang zu gewiſſen Spielarten und Ergoͤtzungen mehr als zu andern, eine Liebe zu gewiſſen kleinen Geſchaͤften, Abſich- ten, zu der Ausfuͤhrung der kindiſchen Einfaͤlle, und zu gewiſſen gefliſſentlichen Thaͤtigkeiten und Arbeiten der vorſtellenden und denkenden Kraft, und eine aͤhnliche leb- hafte Auskieſung der einen Art vor der andern, wie ſich ſolches bey den aͤußern Empfindungen verrathen hat. Man lernet die innern Seelenbeſchaͤftigungen und Selbſt- gefuͤhle kennen, unterſcheiden und ſchmecken, wie die Speiſen, Toͤne und Gemaͤhlde. Jene innere Empfind- ſamkeit wird bey einigen Menſchen, die in einer oder der andern Hinſicht Genies ſind, ſtaͤrker, als es die aͤußere iſt. Laß alſo, wie es iſt, die aͤußern ſinnlichen Em- pfindungen die Quellen der Ruͤhrungen ſeyn, die ſich zu- erſt eroͤffnen und ergießen; laß dieſer ihre Luſt oder Un- luſt den Anfang machen, die natuͤrliche Empfindſamkeit zu erwecken, und ſie zu der Aufnahme anderer Empfind- niſſe
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
durch gewiſſe Huͤlſsmittel das Gefuͤhl auf ſie hinzulenken,
und auf ſie aufmerkſam zu machen, wenn ſie ſo gefaſſet
werden ſollen, daß ſie die Empfindſamkeit reizen, ſo iſt
eine aͤhnliche Richtung und Erregung bey den uͤbrigen
Empfindungen noch um einen Grad mehr nothwendig.
Man muß es dem Kinde noch oͤfterer ſagen, und voll-
ausgedruckt ſagen, mit Mienen, Geberden und Hand-
lungen es ſagen, daß es ein Vergnuͤgen ſey, etwas zu
lernen, eine Wolluſt, andere Menſchen vergnuͤgt zu
machen, und dergleichen, um ſeine Anlage zu den intel-
lektuellen und moraliſchen Empfindniſſen anzufachen, und
dieß muß ihm mehr und oͤfterer vorgeſaget werden, als
es noͤthig iſt, ihm auf dem Clavier vorzuſpielen, und zu
bezeugen, daß es ergoͤtze, um ihm einen Geſchmack an
Muſik beyzubringen. Aber in der Folge bemerket man,
in der Maße, wie die innere Thaͤtigkeitskraft der ju-
gendlichen Seele zunimmt, eben eine ſolche Unterſchei-
dung zwiſchen den innern Empfindniſſen, einen Hang
zu gewiſſen Spielarten und Ergoͤtzungen mehr als zu
andern, eine Liebe zu gewiſſen kleinen Geſchaͤften, Abſich-
ten, zu der Ausfuͤhrung der kindiſchen Einfaͤlle, und zu
gewiſſen gefliſſentlichen Thaͤtigkeiten und Arbeiten der
vorſtellenden und denkenden Kraft, und eine aͤhnliche leb-
hafte Auskieſung der einen Art vor der andern, wie ſich
ſolches bey den aͤußern Empfindungen verrathen hat.
Man lernet die innern Seelenbeſchaͤftigungen und Selbſt-
gefuͤhle kennen, unterſcheiden und ſchmecken, wie die
Speiſen, Toͤne und Gemaͤhlde. Jene innere Empfind-
ſamkeit wird bey einigen Menſchen, die in einer oder der
andern Hinſicht Genies ſind, ſtaͤrker, als es die aͤußere
iſt. Laß alſo, wie es iſt, die aͤußern ſinnlichen Em-
pfindungen die Quellen der Ruͤhrungen ſeyn, die ſich zu-
erſt eroͤffnen und ergießen; laß dieſer ihre Luſt oder Un-
luſt den Anfang machen, die natuͤrliche Empfindſamkeit
zu erwecken, und ſie zu der Aufnahme anderer Empfind-
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