sehe den Menschen nur von allen Seiten an, wo man zu ihm kommen kann, so wird es, des blendenden Schmucks ohnerachtet, in dem Helvetius seine Jdeen aufgestellet hat, doch bald sichtbar werden, daß der An- schein von Simplicität in dieser Lehre am Ende in den Mangel eines vollständigern Begrifs von dem Menschen, seinen Grund habe; ein Mangel, der sich überall findet, wo man diesen vielbefassenden Gegenstand nicht aus mehr als Einem Gesichtspunkt zu beobachten suchet.
Jch will weder die Searchische Uebertragung des Vergnügens läugenen, noch der Hartleyischen, von verschiedenen andern auch deutschen Philosophen aufge- nommenen Association ihre Wirkungen absprechen, die man ihnen nach den Beobachtungen zuschreiben muß; aber beide sind zu schwache Erklärungsmittel, wenn sie angewendet werden sollen, die Ableitung alles Vergnü- gens und Verdrusses aus den äußern Empfindungen, als aus ihrer ersten und einzigen Quelle zu bestätigen. Es gehet ohne Zweifel ein solches Spiel in dem mensch- lichen Herzen vor, als diese Beobachter wahrgenommen haben. Der Mensch suchet anfangs das Geld, wenn er den Nutzen davon gelernet hat, um dieses Nutzens, das ist, um der sinnlichen Vergnügungen willen, um so manche Bedürfnisse befriedigen, so manche Leidenschaf- ten stillen zu können, wozu es ein mächtiges Mittel ist. Aber der Mann, den die Erwerbung dieses Mittel Mü- he machet, verlieret sich in dem Mittel, vergißt die Ab- sicht, und machet sich den Besitz des Mittels und sogar seine Bemühung, um zu dem Mittel zu gelangen, zu ei- ner Quelle von Vergnügen. Die Einbildungskraft trä- get die Lust, welche sonsten nur mit dem erreichten End- zweck unmittelbar verbunden ist, auf die Vorstellungen von dem Mittel und von dem Erwerb desselben hinüber, und weiß sie dem letztern so fest einzuverleiben, als wenn sie ursprünglich ihnen zugehörte, oder mit ihnen von Natur
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
ſehe den Menſchen nur von allen Seiten an, wo man zu ihm kommen kann, ſo wird es, des blendenden Schmucks ohnerachtet, in dem Helvetius ſeine Jdeen aufgeſtellet hat, doch bald ſichtbar werden, daß der An- ſchein von Simplicitaͤt in dieſer Lehre am Ende in den Mangel eines vollſtaͤndigern Begrifs von dem Menſchen, ſeinen Grund habe; ein Mangel, der ſich uͤberall findet, wo man dieſen vielbefaſſenden Gegenſtand nicht aus mehr als Einem Geſichtspunkt zu beobachten ſuchet.
Jch will weder die Searchiſche Uebertragung des Vergnuͤgens laͤugenen, noch der Hartleyiſchen, von verſchiedenen andern auch deutſchen Philoſophen aufge- nommenen Aſſociation ihre Wirkungen abſprechen, die man ihnen nach den Beobachtungen zuſchreiben muß; aber beide ſind zu ſchwache Erklaͤrungsmittel, wenn ſie angewendet werden ſollen, die Ableitung alles Vergnuͤ- gens und Verdruſſes aus den aͤußern Empfindungen, als aus ihrer erſten und einzigen Quelle zu beſtaͤtigen. Es gehet ohne Zweifel ein ſolches Spiel in dem menſch- lichen Herzen vor, als dieſe Beobachter wahrgenommen haben. Der Menſch ſuchet anfangs das Geld, wenn er den Nutzen davon gelernet hat, um dieſes Nutzens, das iſt, um der ſinnlichen Vergnuͤgungen willen, um ſo manche Beduͤrfniſſe befriedigen, ſo manche Leidenſchaf- ten ſtillen zu koͤnnen, wozu es ein maͤchtiges Mittel iſt. Aber der Mann, den die Erwerbung dieſes Mittel Muͤ- he machet, verlieret ſich in dem Mittel, vergißt die Ab- ſicht, und machet ſich den Beſitz des Mittels und ſogar ſeine Bemuͤhung, um zu dem Mittel zu gelangen, zu ei- ner Quelle von Vergnuͤgen. Die Einbildungskraft traͤ- get die Luſt, welche ſonſten nur mit dem erreichten End- zweck unmittelbar verbunden iſt, auf die Vorſtellungen von dem Mittel und von dem Erwerb deſſelben hinuͤber, und weiß ſie dem letztern ſo feſt einzuverleiben, als wenn ſie urſpruͤnglich ihnen zugehoͤrte, oder mit ihnen von Natur
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
ſehe den Menſchen nur von allen Seiten an, wo man
zu ihm kommen kann, ſo wird es, des blendenden
Schmucks ohnerachtet, in dem Helvetius ſeine Jdeen
aufgeſtellet hat, doch bald ſichtbar werden, daß der An-
ſchein von Simplicitaͤt in dieſer Lehre am Ende in den
Mangel eines vollſtaͤndigern Begrifs von dem Menſchen,
ſeinen Grund habe; ein Mangel, der ſich uͤberall findet,
wo man dieſen vielbefaſſenden Gegenſtand nicht aus mehr
als Einem Geſichtspunkt zu beobachten ſuchet.
Jch will weder die Searchiſche Uebertragung
des Vergnuͤgens laͤugenen, noch der Hartleyiſchen, von
verſchiedenen andern auch deutſchen Philoſophen aufge-
nommenen Aſſociation ihre Wirkungen abſprechen, die
man ihnen nach den Beobachtungen zuſchreiben muß;
aber beide ſind zu ſchwache Erklaͤrungsmittel, wenn ſie
angewendet werden ſollen, die Ableitung alles Vergnuͤ-
gens und Verdruſſes aus den aͤußern Empfindungen,
als aus ihrer erſten und einzigen Quelle zu beſtaͤtigen.
Es gehet ohne Zweifel ein ſolches Spiel in dem menſch-
lichen Herzen vor, als dieſe Beobachter wahrgenommen
haben. Der Menſch ſuchet anfangs das Geld, wenn
er den Nutzen davon gelernet hat, um dieſes Nutzens,
das iſt, um der ſinnlichen Vergnuͤgungen willen, um ſo
manche Beduͤrfniſſe befriedigen, ſo manche Leidenſchaf-
ten ſtillen zu koͤnnen, wozu es ein maͤchtiges Mittel iſt.
Aber der Mann, den die Erwerbung dieſes Mittel Muͤ-
he machet, verlieret ſich in dem Mittel, vergißt die Ab-
ſicht, und machet ſich den Beſitz des Mittels und ſogar
ſeine Bemuͤhung, um zu dem Mittel zu gelangen, zu ei-
ner Quelle von Vergnuͤgen. Die Einbildungskraft traͤ-
get die Luſt, welche ſonſten nur mit dem erreichten End-
zweck unmittelbar verbunden iſt, auf die Vorſtellungen
von dem Mittel und von dem Erwerb deſſelben hinuͤber,
und weiß ſie dem letztern ſo feſt einzuverleiben, als wenn
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/287>, abgerufen am 22.12.2024.
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