Jndessen will ich diese erwähnte Unterscheidung nun wie- der bey Seite setzen, und die ganze gefühlte Veränderung eine Empfindung nennen, wie sie vorher geheißen hat.
2.
Da entstehet nun eine andere Frage, ob das Rüh- rende in der Empfindung von der Empfindung der Sa- che selbst getrennet werden könne? Es kann es nicht, woferne das Verhältniß der empfindenden Kraft gegen den Eindruck nicht verändert werden kann. Wenn die Eindrücke gleichgültig werden, die uns vorher lebhaft rührten, so haben entweder sie selbst oder die Empfäng- lichkeit der Seele sich verändert. Eine solche Verän- derung ist so gar während der Empfindung in einigem Grade möglich. Wir können, wie die Erfahrung leh- ret, unsere Empfindungswerkzeuge in einigen Fällen bis auf eine Grenze hin schlaffer machen, und gleichsam die Lebensgeister aus ihnen zurücke ziehen; wir können solche hingegen auch spannen, z. B. die Ohren spitzen. So etwas vermögen wir auch über unsere Empfindungs- vermögen in dem Jnnern der Seele. Die Kräfte kön- nen in etwas willkührlich nachgelassen und angestrenget werden. Dadurch wird alsdenn ihr Verhältniß zu dem Eindruck von dem Objekt, das ihnen vorlieget, um et- was verändert, und die angemessene oder unangemessene Beziehung, wovon Lust oder Unlust abhänget, befördert oder gehindert. Außerdieß können andere Empfindun- gen, die stärker sind, erreget, und jene dadurch unter- drücket werden. Bis so weit, aber auch weiter nicht, erstreckt sich unsere Gewalt über das Angenehme oder Unangenehme, das in den Empfindungen unmittelbar lieget.
Aber es ist doch nicht außer acht zu lassen, daß diese bisher betrachtete Verbindung des Afficirenden mit der
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Jndeſſen will ich dieſe erwaͤhnte Unterſcheidung nun wie- der bey Seite ſetzen, und die ganze gefuͤhlte Veraͤnderung eine Empfindung nennen, wie ſie vorher geheißen hat.
2.
Da entſtehet nun eine andere Frage, ob das Ruͤh- rende in der Empfindung von der Empfindung der Sa- che ſelbſt getrennet werden koͤnne? Es kann es nicht, woferne das Verhaͤltniß der empfindenden Kraft gegen den Eindruck nicht veraͤndert werden kann. Wenn die Eindruͤcke gleichguͤltig werden, die uns vorher lebhaft ruͤhrten, ſo haben entweder ſie ſelbſt oder die Empfaͤng- lichkeit der Seele ſich veraͤndert. Eine ſolche Veraͤn- derung iſt ſo gar waͤhrend der Empfindung in einigem Grade moͤglich. Wir koͤnnen, wie die Erfahrung leh- ret, unſere Empfindungswerkzeuge in einigen Faͤllen bis auf eine Grenze hin ſchlaffer machen, und gleichſam die Lebensgeiſter aus ihnen zuruͤcke ziehen; wir koͤnnen ſolche hingegen auch ſpannen, z. B. die Ohren ſpitzen. So etwas vermoͤgen wir auch uͤber unſere Empfindungs- vermoͤgen in dem Jnnern der Seele. Die Kraͤfte koͤn- nen in etwas willkuͤhrlich nachgelaſſen und angeſtrenget werden. Dadurch wird alsdenn ihr Verhaͤltniß zu dem Eindruck von dem Objekt, das ihnen vorlieget, um et- was veraͤndert, und die angemeſſene oder unangemeſſene Beziehung, wovon Luſt oder Unluſt abhaͤnget, befoͤrdert oder gehindert. Außerdieß koͤnnen andere Empfindun- gen, die ſtaͤrker ſind, erreget, und jene dadurch unter- druͤcket werden. Bis ſo weit, aber auch weiter nicht, erſtreckt ſich unſere Gewalt uͤber das Angenehme oder Unangenehme, das in den Empfindungen unmittelbar lieget.
Aber es iſt doch nicht außer acht zu laſſen, daß dieſe bisher betrachtete Verbindung des Afficirenden mit der
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Jndeſſen will ich dieſe erwaͤhnte Unterſcheidung nun wie-
der bey Seite ſetzen, und die ganze gefuͤhlte Veraͤnderung
eine Empfindung nennen, wie ſie vorher geheißen
hat.
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Da entſtehet nun eine andere Frage, ob das Ruͤh-
rende in der Empfindung von der Empfindung der Sa-
che ſelbſt getrennet werden koͤnne? Es kann es nicht,
woferne das Verhaͤltniß der empfindenden Kraft gegen
den Eindruck nicht veraͤndert werden kann. Wenn die
Eindruͤcke gleichguͤltig werden, die uns vorher lebhaft
ruͤhrten, ſo haben entweder ſie ſelbſt oder die Empfaͤng-
lichkeit der Seele ſich veraͤndert. Eine ſolche Veraͤn-
derung iſt ſo gar waͤhrend der Empfindung in einigem
Grade moͤglich. Wir koͤnnen, wie die Erfahrung leh-
ret, unſere Empfindungswerkzeuge in einigen Faͤllen
bis auf eine Grenze hin ſchlaffer machen, und gleichſam
die Lebensgeiſter aus ihnen zuruͤcke ziehen; wir koͤnnen
ſolche hingegen auch ſpannen, z. B. die Ohren ſpitzen.
So etwas vermoͤgen wir auch uͤber unſere Empfindungs-
vermoͤgen in dem Jnnern der Seele. Die Kraͤfte koͤn-
nen in etwas willkuͤhrlich nachgelaſſen und angeſtrenget
werden. Dadurch wird alsdenn ihr Verhaͤltniß zu dem
Eindruck von dem Objekt, das ihnen vorlieget, um et-
was veraͤndert, und die angemeſſene oder unangemeſſene
Beziehung, wovon Luſt oder Unluſt abhaͤnget, befoͤrdert
oder gehindert. Außerdieß koͤnnen andere Empfindun-
gen, die ſtaͤrker ſind, erreget, und jene dadurch unter-
druͤcket werden. Bis ſo weit, aber auch weiter nicht,
erſtreckt ſich unſere Gewalt uͤber das Angenehme oder
Unangenehme, das in den Empfindungen unmittelbar
lieget.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/277>, abgerufen am 22.12.2024.
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