ansehen, als vielmehr für eine Abbildung eines Objekts, das wir dadurch zu empfinden glauben.
Jn so ferne ist auch die gesammte Empfindung et- was gleichgültiges; sie ist keine Rührung; sie hat nichts Angenehmes oder Unangenehmes an sich. Sie unter- richtet nur den Verstand, und stellet ihm Gegenstände dar, die auf uns wirken.
Aber es lieget in der gesammten gefühlten Modifi- kation, die zum Empfindniß wird, noch etwas mehre- res. Es ist ein individueller Eindruck, davon der größte Theil nur zusammen auf einmal dunkel gefühlet, nicht aber auseinander gesetzt und entwickelt werden kann. Jn so ferne ist sie blos Gefühl von einer Veränderung in uns; und in so ferne ist sie auch nur eine Rührung. Wenn ich einen entzückenden Ton höre, oder eine lachen- de Gegend sehe, so ist das was ich fühle und empfinde, theils eine Empfindung gegenwärtiger Dinge, die ich mittelst einiger Züge, welche in ihrer Wirkung auf mich enthalten sind, kennen lerne; theils aber ist es etwas, wovon ich weiter nichts weis, als daß es eine Verän- derung in mir selbst sey, und es nicht so wie jenes auf äußere Gegenstände beziehe. Als Empfindung von ge- wissen Tönen und von gewissen Körpern ist sie mir gleich- gültig; aber als eine Veränderung von mir selbst, als ein Gefühl hat sie das an sich, was sie zu einem Em- pfindniß macht, was angenehm oder unangenehm bey ihr ist.
Unter den Empfindungen des körperlichen Ge- fühls bestehet der größte Theil nur aus solchen verwirr- ten Gefühlen. Die Empfindung von Hunger und Durst, von Stärke und Schwäche, von Wohlseyn und Uebel- seyn und dergleichen, sind mehr Gefühle als Empfindun- gen in dieser Bedeutung. Von den Eindrücken, die auf den Geschmack und den Geruch wirken, lässet sich dasselbige sagen. Die Empfindungen des Gehörs haben
beide
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
anſehen, als vielmehr fuͤr eine Abbildung eines Objekts, das wir dadurch zu empfinden glauben.
Jn ſo ferne iſt auch die geſammte Empfindung et- was gleichguͤltiges; ſie iſt keine Ruͤhrung; ſie hat nichts Angenehmes oder Unangenehmes an ſich. Sie unter- richtet nur den Verſtand, und ſtellet ihm Gegenſtaͤnde dar, die auf uns wirken.
Aber es lieget in der geſammten gefuͤhlten Modifi- kation, die zum Empfindniß wird, noch etwas mehre- res. Es iſt ein individueller Eindruck, davon der groͤßte Theil nur zuſammen auf einmal dunkel gefuͤhlet, nicht aber auseinander geſetzt und entwickelt werden kann. Jn ſo ferne iſt ſie blos Gefuͤhl von einer Veraͤnderung in uns; und in ſo ferne iſt ſie auch nur eine Ruͤhrung. Wenn ich einen entzuͤckenden Ton hoͤre, oder eine lachen- de Gegend ſehe, ſo iſt das was ich fuͤhle und empfinde, theils eine Empfindung gegenwaͤrtiger Dinge, die ich mittelſt einiger Zuͤge, welche in ihrer Wirkung auf mich enthalten ſind, kennen lerne; theils aber iſt es etwas, wovon ich weiter nichts weis, als daß es eine Veraͤn- derung in mir ſelbſt ſey, und es nicht ſo wie jenes auf aͤußere Gegenſtaͤnde beziehe. Als Empfindung von ge- wiſſen Toͤnen und von gewiſſen Koͤrpern iſt ſie mir gleich- guͤltig; aber als eine Veraͤnderung von mir ſelbſt, als ein Gefuͤhl hat ſie das an ſich, was ſie zu einem Em- pfindniß macht, was angenehm oder unangenehm bey ihr iſt.
Unter den Empfindungen des koͤrperlichen Ge- fuͤhls beſtehet der groͤßte Theil nur aus ſolchen verwirr- ten Gefuͤhlen. Die Empfindung von Hunger und Durſt, von Staͤrke und Schwaͤche, von Wohlſeyn und Uebel- ſeyn und dergleichen, ſind mehr Gefuͤhle als Empfindun- gen in dieſer Bedeutung. Von den Eindruͤcken, die auf den Geſchmack und den Geruch wirken, laͤſſet ſich daſſelbige ſagen. Die Empfindungen des Gehoͤrs haben
beide
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
anſehen, als vielmehr fuͤr eine Abbildung eines Objekts,
das wir dadurch zu empfinden glauben.
Jn ſo ferne iſt auch die geſammte Empfindung et-
was gleichguͤltiges; ſie iſt keine Ruͤhrung; ſie hat nichts
Angenehmes oder Unangenehmes an ſich. Sie unter-
richtet nur den Verſtand, und ſtellet ihm Gegenſtaͤnde
dar, die auf uns wirken.
Aber es lieget in der geſammten gefuͤhlten Modifi-
kation, die zum Empfindniß wird, noch etwas mehre-
res. Es iſt ein individueller Eindruck, davon der groͤßte
Theil nur zuſammen auf einmal dunkel gefuͤhlet, nicht
aber auseinander geſetzt und entwickelt werden kann. Jn
ſo ferne iſt ſie blos Gefuͤhl von einer Veraͤnderung
in uns; und in ſo ferne iſt ſie auch nur eine Ruͤhrung.
Wenn ich einen entzuͤckenden Ton hoͤre, oder eine lachen-
de Gegend ſehe, ſo iſt das was ich fuͤhle und empfinde,
theils eine Empfindung gegenwaͤrtiger Dinge, die ich
mittelſt einiger Zuͤge, welche in ihrer Wirkung auf mich
enthalten ſind, kennen lerne; theils aber iſt es etwas,
wovon ich weiter nichts weis, als daß es eine Veraͤn-
derung in mir ſelbſt ſey, und es nicht ſo wie jenes auf
aͤußere Gegenſtaͤnde beziehe. Als Empfindung von ge-
wiſſen Toͤnen und von gewiſſen Koͤrpern iſt ſie mir gleich-
guͤltig; aber als eine Veraͤnderung von mir ſelbſt, als
ein Gefuͤhl hat ſie das an ſich, was ſie zu einem Em-
pfindniß macht, was angenehm oder unangenehm bey
ihr iſt.
Unter den Empfindungen des koͤrperlichen Ge-
fuͤhls beſtehet der groͤßte Theil nur aus ſolchen verwirr-
ten Gefuͤhlen. Die Empfindung von Hunger und Durſt,
von Staͤrke und Schwaͤche, von Wohlſeyn und Uebel-
ſeyn und dergleichen, ſind mehr Gefuͤhle als Empfindun-
gen in dieſer Bedeutung. Von den Eindruͤcken, die
auf den Geſchmack und den Geruch wirken, laͤſſet ſich
daſſelbige ſagen. Die Empfindungen des Gehoͤrs haben
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/275>, abgerufen am 22.12.2024.
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