das Objektivische, so zu sagen, nur die eine Hälfte von der ganzen Ursache der erfolgenden Gemüthsrührung aus- mache, die andere Hälfte aber subjektivisch, in den na- türlichen Anlagen, in den Fähigkeiten und in den der- maligen Beschaffenheiten des empfindenden Wesens ent- halten seyn müsse. Es mag schöne Gegenstände geben, die es vor allen Menschen sind, von jedem Alter, zu al- len Zeiten, unter allen Himmelsgegenden, deren Em- pfindung allen ohne Ausnahme, wie das Anschauen der Blumen gefalle, und die man als absolute objektivi- sche Schönheiten ansehen kann: so beweiset dieß nichts mehr, als daß die Einrichtung der Seele, die Anlage, die bestimmte Beschaffenheit der Empfindungs- und Vorstellungsvermögen, worauf solche Gegenstände auf eine angemessene Art wirken können, zu den gemein- schaftlichen Zügen der Menschheit gehören. Für We- sen anderer Art würden jene absoluten Schönheiten doch entweder gleichgültige, oder gar Gegenstände des Miß- vergnügens seyn können, wie sie es wirklich sind.
Auch darüber hegen nicht alle einerley Meynung, welche Seite der Seele, welche besondere Fähigkeit, Kraft, Thätigkeit es sey, deren gegenwärtige Beschaf- fenheit der subjektivische Grund ist, warum die Empfin- dung des Objekts in diese oder jene Art von Empfindniß übergehe. Jst es die Erkenntnißkraft, oder sind es die Triebe der Thätigkeitskraft? Jst es die Sinnlichkeit oder ist es das Ueberlegungsvermögen? oder ist es bald dieses oder jenes nach der Verschiedenheit der Gegenstän- de und der Umstände? Auf welche Fiber der Seele muß das Objekt anschlagen, um angenehm oder unangenehm empfunden zu werden? und welch ein Grad der Span- nung, welche Stufe in der Fähigkeit, welche Jntension wird in ihr erfodert, wenn die Einwirkung des Objekts angemessen und übereinstimmend, oder unangemessen sich auf sie beziehen soll? Auch ist man darüber verschie-
dener
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
das Objektiviſche, ſo zu ſagen, nur die eine Haͤlfte von der ganzen Urſache der erfolgenden Gemuͤthsruͤhrung aus- mache, die andere Haͤlfte aber ſubjektiviſch, in den na- tuͤrlichen Anlagen, in den Faͤhigkeiten und in den der- maligen Beſchaffenheiten des empfindenden Weſens ent- halten ſeyn muͤſſe. Es mag ſchoͤne Gegenſtaͤnde geben, die es vor allen Menſchen ſind, von jedem Alter, zu al- len Zeiten, unter allen Himmelsgegenden, deren Em- pfindung allen ohne Ausnahme, wie das Anſchauen der Blumen gefalle, und die man als abſolute objektivi- ſche Schoͤnheiten anſehen kann: ſo beweiſet dieß nichts mehr, als daß die Einrichtung der Seele, die Anlage, die beſtimmte Beſchaffenheit der Empfindungs- und Vorſtellungsvermoͤgen, worauf ſolche Gegenſtaͤnde auf eine angemeſſene Art wirken koͤnnen, zu den gemein- ſchaftlichen Zuͤgen der Menſchheit gehoͤren. Fuͤr We- ſen anderer Art wuͤrden jene abſoluten Schoͤnheiten doch entweder gleichguͤltige, oder gar Gegenſtaͤnde des Miß- vergnuͤgens ſeyn koͤnnen, wie ſie es wirklich ſind.
Auch daruͤber hegen nicht alle einerley Meynung, welche Seite der Seele, welche beſondere Faͤhigkeit, Kraft, Thaͤtigkeit es ſey, deren gegenwaͤrtige Beſchaf- fenheit der ſubjektiviſche Grund iſt, warum die Empfin- dung des Objekts in dieſe oder jene Art von Empfindniß uͤbergehe. Jſt es die Erkenntnißkraft, oder ſind es die Triebe der Thaͤtigkeitskraft? Jſt es die Sinnlichkeit oder iſt es das Ueberlegungsvermoͤgen? oder iſt es bald dieſes oder jenes nach der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤn- de und der Umſtaͤnde? Auf welche Fiber der Seele muß das Objekt anſchlagen, um angenehm oder unangenehm empfunden zu werden? und welch ein Grad der Span- nung, welche Stufe in der Faͤhigkeit, welche Jntenſion wird in ihr erfodert, wenn die Einwirkung des Objekts angemeſſen und uͤbereinſtimmend, oder unangemeſſen ſich auf ſie beziehen ſoll? Auch iſt man daruͤber verſchie-
dener
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
das Objektiviſche, ſo zu ſagen, nur die eine Haͤlfte von
der ganzen Urſache der erfolgenden Gemuͤthsruͤhrung aus-
mache, die andere Haͤlfte aber ſubjektiviſch, in den na-
tuͤrlichen Anlagen, in den Faͤhigkeiten und in den der-
maligen Beſchaffenheiten des empfindenden Weſens ent-
halten ſeyn muͤſſe. Es mag ſchoͤne Gegenſtaͤnde geben,
die es vor allen Menſchen ſind, von jedem Alter, zu al-
len Zeiten, unter allen Himmelsgegenden, deren Em-
pfindung allen ohne Ausnahme, wie das Anſchauen der
Blumen gefalle, und die man als abſolute objektivi-
ſche Schoͤnheiten anſehen kann: ſo beweiſet dieß
nichts mehr, als daß die Einrichtung der Seele, die
Anlage, die beſtimmte Beſchaffenheit der Empfindungs-
und Vorſtellungsvermoͤgen, worauf ſolche Gegenſtaͤnde
auf eine angemeſſene Art wirken koͤnnen, zu den gemein-
ſchaftlichen Zuͤgen der Menſchheit gehoͤren. Fuͤr We-
ſen anderer Art wuͤrden jene abſoluten Schoͤnheiten doch
entweder gleichguͤltige, oder gar Gegenſtaͤnde des Miß-
vergnuͤgens ſeyn koͤnnen, wie ſie es wirklich ſind.
Auch daruͤber hegen nicht alle einerley Meynung,
welche Seite der Seele, welche beſondere Faͤhigkeit,
Kraft, Thaͤtigkeit es ſey, deren gegenwaͤrtige Beſchaf-
fenheit der ſubjektiviſche Grund iſt, warum die Empfin-
dung des Objekts in dieſe oder jene Art von Empfindniß
uͤbergehe. Jſt es die Erkenntnißkraft, oder ſind es die
Triebe der Thaͤtigkeitskraft? Jſt es die Sinnlichkeit
oder iſt es das Ueberlegungsvermoͤgen? oder iſt es bald
dieſes oder jenes nach der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤn-
de und der Umſtaͤnde? Auf welche Fiber der Seele muß
das Objekt anſchlagen, um angenehm oder unangenehm
empfunden zu werden? und welch ein Grad der Span-
nung, welche Stufe in der Faͤhigkeit, welche Jntenſion
wird in ihr erfodert, wenn die Einwirkung des Objekts
angemeſſen und uͤbereinſtimmend, oder unangemeſſen
ſich auf ſie beziehen ſoll? Auch iſt man daruͤber verſchie-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/267>, abgerufen am 22.12.2024.
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