glaubet; so würde doch die Unterdrückung oder Ver- dunkelung des Einen und die Wiedererweckung oder Auf- hellung des andern Bildes, immer eine weit mindere Quantität von Veränderung enthalten, und eine andere Aktion seyn, wo die Bilder einerley sind, als da, wo sie verschieden sind.
Hiezu setze ich noch folgende Beobachtungen. Man betrachte aufmerksam was in uns vorgehet, wenn wir über die Aehnlichkeit und Unähnlichkeit der Dinge allein nach den Empfindungen von ihnen urtheilen. Wir füh- len jenen Uebergang unserer Kraft und dessen Beschaf- fenheit. Denn wenn wir in diesen Fällen, bey der Ver- gleichung der Dinge, ihre Jdentität oder Diversität in den Vorstellungen von ihnen aufsuchen, so gehen wir von der Vorstellung des einen zu der Vorstellung des andern über, und horchen so zu sagen in uns, ob sich nicht bey diesem Uebergang eine Veränderung in uns empfinden lasse? ob nicht eine neue Modifikation in uns entstehe, wenn die Vorstellung des zweyten auf die Vorstellung des Ersten folget?
Unser Urtheil kann auf drey unterschiedene Arten ausfallen.
Das Erste Objekt ist mit dem andern, welches wir uns nämlich nachher vorstellen, Eins und ebendasselbige.
Oder es ist ein anderes Objekt, aber innerlich an sich von jenem nicht unterschieden; oder
Beide sind auch an sich verschiedene Gegenstände. Jn jedem Fall gehet vor diesem Ausbruch unserer Ur- theilskraft ein Gefühl von gewissen Modifikationen vor- her, die in uns, in dem empfindenden Wesen, aus dem Verhältnisfe der Gegenstände entspringen.
Jch behaupte; was ich von einem Gefühl des Uebergangs gesaget habe, das vor dem Urtheil (sentiment) vorhergehet, sey keine Erdichtung, sondern eine wahre Beobachtung. Die Psychologen haben sonsten
weniger
N 3
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
glaubet; ſo wuͤrde doch die Unterdruͤckung oder Ver- dunkelung des Einen und die Wiedererweckung oder Auf- hellung des andern Bildes, immer eine weit mindere Quantitaͤt von Veraͤnderung enthalten, und eine andere Aktion ſeyn, wo die Bilder einerley ſind, als da, wo ſie verſchieden ſind.
Hiezu ſetze ich noch folgende Beobachtungen. Man betrachte aufmerkſam was in uns vorgehet, wenn wir uͤber die Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit der Dinge allein nach den Empfindungen von ihnen urtheilen. Wir fuͤh- len jenen Uebergang unſerer Kraft und deſſen Beſchaf- fenheit. Denn wenn wir in dieſen Faͤllen, bey der Ver- gleichung der Dinge, ihre Jdentitaͤt oder Diverſitaͤt in den Vorſtellungen von ihnen aufſuchen, ſo gehen wir von der Vorſtellung des einen zu der Vorſtellung des andern uͤber, und horchen ſo zu ſagen in uns, ob ſich nicht bey dieſem Uebergang eine Veraͤnderung in uns empfinden laſſe? ob nicht eine neue Modifikation in uns entſtehe, wenn die Vorſtellung des zweyten auf die Vorſtellung des Erſten folget?
Unſer Urtheil kann auf drey unterſchiedene Arten ausfallen.
Das Erſte Objekt iſt mit dem andern, welches wir uns naͤmlich nachher vorſtellen, Eins und ebendaſſelbige.
Oder es iſt ein anderes Objekt, aber innerlich an ſich von jenem nicht unterſchieden; oder
Beide ſind auch an ſich verſchiedene Gegenſtaͤnde. Jn jedem Fall gehet vor dieſem Ausbruch unſerer Ur- theilskraft ein Gefuͤhl von gewiſſen Modifikationen vor- her, die in uns, in dem empfindenden Weſen, aus dem Verhaͤltniſfe der Gegenſtaͤnde entſpringen.
Jch behaupte; was ich von einem Gefuͤhl des Uebergangs geſaget habe, das vor dem Urtheil (ſentiment) vorhergehet, ſey keine Erdichtung, ſondern eine wahre Beobachtung. Die Pſychologen haben ſonſten
weniger
N 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0257"n="197"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.</hi></fw><lb/>
glaubet; ſo wuͤrde doch die Unterdruͤckung oder Ver-<lb/>
dunkelung des Einen und die Wiedererweckung oder Auf-<lb/>
hellung des andern Bildes, immer eine weit mindere<lb/>
Quantitaͤt von Veraͤnderung enthalten, und eine andere<lb/>
Aktion ſeyn, wo die Bilder einerley ſind, als da, wo ſie<lb/>
verſchieden ſind.</p><lb/><p>Hiezu ſetze ich noch folgende Beobachtungen. Man<lb/>
betrachte aufmerkſam was in uns vorgehet, wenn wir<lb/>
uͤber die Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit der Dinge allein<lb/>
nach den Empfindungen von ihnen urtheilen. Wir fuͤh-<lb/>
len jenen <hirendition="#fr">Uebergang</hi> unſerer Kraft und deſſen Beſchaf-<lb/>
fenheit. Denn wenn wir in dieſen Faͤllen, bey der Ver-<lb/>
gleichung der Dinge, ihre Jdentitaͤt oder Diverſitaͤt in<lb/>
den Vorſtellungen von ihnen aufſuchen, ſo gehen wir von<lb/>
der Vorſtellung des einen zu der Vorſtellung des andern<lb/>
uͤber, und horchen ſo zu ſagen in uns, ob ſich nicht bey<lb/>
dieſem Uebergang eine Veraͤnderung in uns empfinden<lb/>
laſſe? ob nicht eine neue Modifikation in uns entſtehe,<lb/>
wenn die Vorſtellung des zweyten auf die Vorſtellung<lb/>
des Erſten folget?</p><lb/><p>Unſer Urtheil kann auf drey unterſchiedene Arten<lb/>
ausfallen.</p><lb/><p>Das Erſte Objekt iſt mit dem andern, welches wir<lb/>
uns naͤmlich nachher vorſtellen, Eins und ebendaſſelbige.</p><lb/><p>Oder es iſt ein anderes Objekt, aber innerlich an<lb/>ſich von jenem nicht unterſchieden; oder</p><lb/><p>Beide ſind auch an ſich verſchiedene Gegenſtaͤnde.<lb/>
Jn jedem Fall gehet vor dieſem Ausbruch unſerer Ur-<lb/>
theilskraft ein Gefuͤhl von gewiſſen Modifikationen vor-<lb/>
her, die in uns, in dem empfindenden Weſen, aus dem<lb/>
Verhaͤltniſfe der Gegenſtaͤnde entſpringen.</p><lb/><p>Jch behaupte; was ich von einem <hirendition="#fr">Gefuͤhl des<lb/>
Uebergangs</hi> geſaget habe, das vor dem Urtheil<lb/>
(<hirendition="#aq">ſentiment</hi>) vorhergehet, ſey keine Erdichtung, ſondern<lb/>
eine wahre Beobachtung. Die Pſychologen haben ſonſten<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">weniger</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[197/0257]
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
glaubet; ſo wuͤrde doch die Unterdruͤckung oder Ver-
dunkelung des Einen und die Wiedererweckung oder Auf-
hellung des andern Bildes, immer eine weit mindere
Quantitaͤt von Veraͤnderung enthalten, und eine andere
Aktion ſeyn, wo die Bilder einerley ſind, als da, wo ſie
verſchieden ſind.
Hiezu ſetze ich noch folgende Beobachtungen. Man
betrachte aufmerkſam was in uns vorgehet, wenn wir
uͤber die Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit der Dinge allein
nach den Empfindungen von ihnen urtheilen. Wir fuͤh-
len jenen Uebergang unſerer Kraft und deſſen Beſchaf-
fenheit. Denn wenn wir in dieſen Faͤllen, bey der Ver-
gleichung der Dinge, ihre Jdentitaͤt oder Diverſitaͤt in
den Vorſtellungen von ihnen aufſuchen, ſo gehen wir von
der Vorſtellung des einen zu der Vorſtellung des andern
uͤber, und horchen ſo zu ſagen in uns, ob ſich nicht bey
dieſem Uebergang eine Veraͤnderung in uns empfinden
laſſe? ob nicht eine neue Modifikation in uns entſtehe,
wenn die Vorſtellung des zweyten auf die Vorſtellung
des Erſten folget?
Unſer Urtheil kann auf drey unterſchiedene Arten
ausfallen.
Das Erſte Objekt iſt mit dem andern, welches wir
uns naͤmlich nachher vorſtellen, Eins und ebendaſſelbige.
Oder es iſt ein anderes Objekt, aber innerlich an
ſich von jenem nicht unterſchieden; oder
Beide ſind auch an ſich verſchiedene Gegenſtaͤnde.
Jn jedem Fall gehet vor dieſem Ausbruch unſerer Ur-
theilskraft ein Gefuͤhl von gewiſſen Modifikationen vor-
her, die in uns, in dem empfindenden Weſen, aus dem
Verhaͤltniſfe der Gegenſtaͤnde entſpringen.
Jch behaupte; was ich von einem Gefuͤhl des
Uebergangs geſaget habe, das vor dem Urtheil
(ſentiment) vorhergehet, ſey keine Erdichtung, ſondern
eine wahre Beobachtung. Die Pſychologen haben ſonſten
weniger
N 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/257>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.