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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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leicht Zeit zu fragen: wie sich diese verschiedene Thätig-
keiten und Vermögen gegen einander verhalten; ob und
wie weit sie einartig oder verschiedenartig sind? ob
und wie Eins von ihnen in das andere übergehen und
umgeändert werden könne? ob es eben dasselbige Prin-
cip sey, aus welchem alle diese Thätigkeitsarten ent-
springen, und wie weit es das nämliche sey, was sich
dann als ein percipirendes, dann als ein wiedervorstel-
lendes, dann als ein selbstthätigbildendes Vermögen dar-
stellet? Diese Untersuchung wird zugleich ein Beyspiel
seyn, wie weit die Abstraktionen in Gedanken, das ist,
unsern einseitigen Jdeen, die wir von den wirklichen
Dingen nach und nach auffassen, uns nützlich werden
können, so wie sie uns ohne dieß nothwendig sind, und
es wird sich zeigen, daß, wenn sie nur für nichts mehr an-
gesehen werden, als für das, was sie wirklich sind, sie
uns oftmals, als so viele Oefnungen dienen, wodurch
der Verstand in das Jnnere der Sache hineingehen, und
einen bestimmten und vollständigen Begrif sich erwer-
ben kann. Sie können auch mißleiten, das ist wahr;
zuweilen die Einsicht zurück halten; und sie thun solches
wirklich, so bald wir vergessen, daß sie einzeln betrach-
tet sammt ihren Folgen nichts anders sind, als einseitige
Prospekte, und Stücke von vollständigen Begriffen, die
mit einander verglichen, und in Verbindung gebracht
werden müssen, ehe deutliche und bestimmte Jdeen von
wirklichen Sachen aus ihnen gemacht werden können.

2.

Was ist aber Gleichartigkeit und Verschieden-
artigkeit?
Homogeneität und Heterogeneität? oder
wie man es benennen will? Die welche so oft gesagt ha-
ben, die Vermögen unserer Seele sind etwas Einartiges
oder gleichartiges, haben vielleicht etwas starkes, wah-
res und lebhaftes gesagt; aber sie haben auch etwas ver-

wirrtes

der Vorſtellungen.
leicht Zeit zu fragen: wie ſich dieſe verſchiedene Thaͤtig-
keiten und Vermoͤgen gegen einander verhalten; ob und
wie weit ſie einartig oder verſchiedenartig ſind? ob
und wie Eins von ihnen in das andere uͤbergehen und
umgeaͤndert werden koͤnne? ob es eben daſſelbige Prin-
cip ſey, aus welchem alle dieſe Thaͤtigkeitsarten ent-
ſpringen, und wie weit es das naͤmliche ſey, was ſich
dann als ein percipirendes, dann als ein wiedervorſtel-
lendes, dann als ein ſelbſtthaͤtigbildendes Vermoͤgen dar-
ſtellet? Dieſe Unterſuchung wird zugleich ein Beyſpiel
ſeyn, wie weit die Abſtraktionen in Gedanken, das iſt,
unſern einſeitigen Jdeen, die wir von den wirklichen
Dingen nach und nach auffaſſen, uns nuͤtzlich werden
koͤnnen, ſo wie ſie uns ohne dieß nothwendig ſind, und
es wird ſich zeigen, daß, wenn ſie nur fuͤr nichts mehr an-
geſehen werden, als fuͤr das, was ſie wirklich ſind, ſie
uns oftmals, als ſo viele Oefnungen dienen, wodurch
der Verſtand in das Jnnere der Sache hineingehen, und
einen beſtimmten und vollſtaͤndigen Begrif ſich erwer-
ben kann. Sie koͤnnen auch mißleiten, das iſt wahr;
zuweilen die Einſicht zuruͤck halten; und ſie thun ſolches
wirklich, ſo bald wir vergeſſen, daß ſie einzeln betrach-
tet ſammt ihren Folgen nichts anders ſind, als einſeitige
Proſpekte, und Stuͤcke von vollſtaͤndigen Begriffen, die
mit einander verglichen, und in Verbindung gebracht
werden muͤſſen, ehe deutliche und beſtimmte Jdeen von
wirklichen Sachen aus ihnen gemacht werden koͤnnen.

2.

Was iſt aber Gleichartigkeit und Verſchieden-
artigkeit?
Homogeneitaͤt und Heterogeneitaͤt? oder
wie man es benennen will? Die welche ſo oft geſagt ha-
ben, die Vermoͤgen unſerer Seele ſind etwas Einartiges
oder gleichartiges, haben vielleicht etwas ſtarkes, wah-
res und lebhaftes geſagt; aber ſie haben auch etwas ver-

wirrtes
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[143/0203] der Vorſtellungen. leicht Zeit zu fragen: wie ſich dieſe verſchiedene Thaͤtig- keiten und Vermoͤgen gegen einander verhalten; ob und wie weit ſie einartig oder verſchiedenartig ſind? ob und wie Eins von ihnen in das andere uͤbergehen und umgeaͤndert werden koͤnne? ob es eben daſſelbige Prin- cip ſey, aus welchem alle dieſe Thaͤtigkeitsarten ent- ſpringen, und wie weit es das naͤmliche ſey, was ſich dann als ein percipirendes, dann als ein wiedervorſtel- lendes, dann als ein ſelbſtthaͤtigbildendes Vermoͤgen dar- ſtellet? Dieſe Unterſuchung wird zugleich ein Beyſpiel ſeyn, wie weit die Abſtraktionen in Gedanken, das iſt, unſern einſeitigen Jdeen, die wir von den wirklichen Dingen nach und nach auffaſſen, uns nuͤtzlich werden koͤnnen, ſo wie ſie uns ohne dieß nothwendig ſind, und es wird ſich zeigen, daß, wenn ſie nur fuͤr nichts mehr an- geſehen werden, als fuͤr das, was ſie wirklich ſind, ſie uns oftmals, als ſo viele Oefnungen dienen, wodurch der Verſtand in das Jnnere der Sache hineingehen, und einen beſtimmten und vollſtaͤndigen Begrif ſich erwer- ben kann. Sie koͤnnen auch mißleiten, das iſt wahr; zuweilen die Einſicht zuruͤck halten; und ſie thun ſolches wirklich, ſo bald wir vergeſſen, daß ſie einzeln betrach- tet ſammt ihren Folgen nichts anders ſind, als einſeitige Proſpekte, und Stuͤcke von vollſtaͤndigen Begriffen, die mit einander verglichen, und in Verbindung gebracht werden muͤſſen, ehe deutliche und beſtimmte Jdeen von wirklichen Sachen aus ihnen gemacht werden koͤnnen. 2. Was iſt aber Gleichartigkeit und Verſchieden- artigkeit? Homogeneitaͤt und Heterogeneitaͤt? oder wie man es benennen will? Die welche ſo oft geſagt ha- ben, die Vermoͤgen unſerer Seele ſind etwas Einartiges oder gleichartiges, haben vielleicht etwas ſtarkes, wah- res und lebhaftes geſagt; aber ſie haben auch etwas ver- wirrtes

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/203>, abgerufen am 21.11.2024.