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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der Vorstellungen.
waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die
Phantasie, wenn sie solche wieder hervorziehet, sucht
über das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch
es in der Gestalt einer einfachen vorwirrten Empfin-
dungsidee dargestellet wird. Hier ist nun zwar diese
letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorstel-
lungen, eine positive Thätigkeit; aber das erste nicht.
Eben so verlieren auch mehrere sonst getrennte ganze
Vorstellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in
Eine einzige zusammen, welches wiederum keine Wir-
kung einer thätigen Kraft ist. Nichttrennen ist et-
was anders als Verbinden, und Nichtunterschei-
den
etwas anders als Zusammendenken. Jenes ist
Unthätigkeit und Schwäche; dieses ist Wirksamkeit und
Stärke. Der Mangel am Licht in den Vorstellungen
und die daraus entstehende Vermischungen sind kein Be-
weis einer selbstthätigen reellen Kraft; aber wenn
mehrere lebhafte Vorstellungen in eine Einzige vereinigt
werden, so arbeitet eine starke Vorstellungskraft, die
solche gegenwärtig erhalten, mehrere zugleich erhalten,
und überdieß sie so fassen kann, daß sie in Ein Bild zu-
sammengehen.

5.

Das Auflösungsvermögen der Dichtkraft, wo-
mit sie verwirrte Empfindungsscheine auseinanderse-
tzet,
ist eben da begrenzet, wo es das Vermischungs-
vermögen ist, und dieses letztere, wo jenes es ist. Die
Kraft der Seele reichet nicht hin, die sinnliche Vorstel-
lung von dem weißen Licht in die sinnlichen Vorstel-
lungen von den prismatischen Farben zu zerlegen; und
der einfache Schein von dem Grünen lässet sich in die
einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau-
en in dem Kopf nicht auseinander setzen. Aber in eben
diesen Fällen übersteigt es auch das Vermögen der See-

le,

der Vorſtellungen.
waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die
Phantaſie, wenn ſie ſolche wieder hervorziehet, ſucht
uͤber das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch
es in der Geſtalt einer einfachen vorwirrten Empfin-
dungsidee dargeſtellet wird. Hier iſt nun zwar dieſe
letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorſtel-
lungen, eine poſitive Thaͤtigkeit; aber das erſte nicht.
Eben ſo verlieren auch mehrere ſonſt getrennte ganze
Vorſtellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in
Eine einzige zuſammen, welches wiederum keine Wir-
kung einer thaͤtigen Kraft iſt. Nichttrennen iſt et-
was anders als Verbinden, und Nichtunterſchei-
den
etwas anders als Zuſammendenken. Jenes iſt
Unthaͤtigkeit und Schwaͤche; dieſes iſt Wirkſamkeit und
Staͤrke. Der Mangel am Licht in den Vorſtellungen
und die daraus entſtehende Vermiſchungen ſind kein Be-
weis einer ſelbſtthaͤtigen reellen Kraft; aber wenn
mehrere lebhafte Vorſtellungen in eine Einzige vereinigt
werden, ſo arbeitet eine ſtarke Vorſtellungskraft, die
ſolche gegenwaͤrtig erhalten, mehrere zugleich erhalten,
und uͤberdieß ſie ſo faſſen kann, daß ſie in Ein Bild zu-
ſammengehen.

5.

Das Aufloͤſungsvermoͤgen der Dichtkraft, wo-
mit ſie verwirrte Empfindungsſcheine auseinanderſe-
tzet,
iſt eben da begrenzet, wo es das Vermiſchungs-
vermoͤgen iſt, und dieſes letztere, wo jenes es iſt. Die
Kraft der Seele reichet nicht hin, die ſinnliche Vorſtel-
lung von dem weißen Licht in die ſinnlichen Vorſtel-
lungen von den prismatiſchen Farben zu zerlegen; und
der einfache Schein von dem Gruͤnen laͤſſet ſich in die
einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau-
en in dem Kopf nicht auseinander ſetzen. Aber in eben
dieſen Faͤllen uͤberſteigt es auch das Vermoͤgen der See-

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[127/0187] der Vorſtellungen. waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die Phantaſie, wenn ſie ſolche wieder hervorziehet, ſucht uͤber das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch es in der Geſtalt einer einfachen vorwirrten Empfin- dungsidee dargeſtellet wird. Hier iſt nun zwar dieſe letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorſtel- lungen, eine poſitive Thaͤtigkeit; aber das erſte nicht. Eben ſo verlieren auch mehrere ſonſt getrennte ganze Vorſtellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in Eine einzige zuſammen, welches wiederum keine Wir- kung einer thaͤtigen Kraft iſt. Nichttrennen iſt et- was anders als Verbinden, und Nichtunterſchei- den etwas anders als Zuſammendenken. Jenes iſt Unthaͤtigkeit und Schwaͤche; dieſes iſt Wirkſamkeit und Staͤrke. Der Mangel am Licht in den Vorſtellungen und die daraus entſtehende Vermiſchungen ſind kein Be- weis einer ſelbſtthaͤtigen reellen Kraft; aber wenn mehrere lebhafte Vorſtellungen in eine Einzige vereinigt werden, ſo arbeitet eine ſtarke Vorſtellungskraft, die ſolche gegenwaͤrtig erhalten, mehrere zugleich erhalten, und uͤberdieß ſie ſo faſſen kann, daß ſie in Ein Bild zu- ſammengehen. 5. Das Aufloͤſungsvermoͤgen der Dichtkraft, wo- mit ſie verwirrte Empfindungsſcheine auseinanderſe- tzet, iſt eben da begrenzet, wo es das Vermiſchungs- vermoͤgen iſt, und dieſes letztere, wo jenes es iſt. Die Kraft der Seele reichet nicht hin, die ſinnliche Vorſtel- lung von dem weißen Licht in die ſinnlichen Vorſtel- lungen von den prismatiſchen Farben zu zerlegen; und der einfache Schein von dem Gruͤnen laͤſſet ſich in die einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau- en in dem Kopf nicht auseinander ſetzen. Aber in eben dieſen Faͤllen uͤberſteigt es auch das Vermoͤgen der See- le,

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/187>, abgerufen am 24.11.2024.