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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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muß verwendet werden, diese unterschiedene Nebenideen
zu unterdrücken, der alsdenn nicht angewendet werden
kann, die zu vermischende Bilder in ihrer vorigen Leb-
haftigkeit zu erhalten.

Gleichwohl ist aus diesen Erfahrungen so viel offen-
bar, "wenn die Phantasie noch mit einer größern Jn-
"tension und auf mehrere Bilder zugleich wirken, und
"mit einer größern Stärke solche auf einmal wieder her-
"vor bringen kann, als sie es in diesen beobachteten Fäl-
"len gethan hat, so wird die daraus entstehende verwirr-
"te Erdichtung einem neuen Phantasma an Lebhaftigkeit
"näher kommen." Jst dieß nicht zu vermuthen, wenn
sie mehr sich selbst überlassen, wenn sie ungezwungen und
unbeobachtet wirket; wenn sie mehr aus innern Trieben,
unwillkührlich als aus Absichten, mehr aus dem Herzen
als aus dem Verstande gereizet wird, und nicht immer
bey jedem Schritt durch die zur Seite gehende Refle-
xion eingeschränkt ist? Wenn sie im Traume und in dem
Mittelzustand zwischen dem Wachen und Einschlafen,
in dem sie am freyesten und mächtigsten herrschet, frey
und ungebunden die Jdeenmasse in Bewegung setzet,
und umarbeitet? Kann meine Phantasie jetzo, da ich
Beyspiele zum Experimentiren suche, schon etwas aus-
richten, und etwan die Helfte der ganzen Wirkung her-
vorbringen, so zweifele ich nicht, sie werde solche völlig
zu Stande bringen, wenn sie mit ihrer ganzen Macht
in einem Milton und Klopstock in der Stunde der Be-
geisterung arbeitet. Alsdenn drängen sich Empfindun-
gen und Jdeen so ineinander und vereinigen sich zu neu-
en Verbindungen, daß man viel zu wenig sich vorstellet,
wenn man die Bilder, die von diesen Poeten in ihrer le-
bendigen Dichtersprache ausgehauchet sind, für nichts
anders als für eine aufgehäufte Menge von neben einan-
derliegenden oder schnell auf einander folgenden einfachen
Empfindungsideen ansieht. Jn ihren neuen selbstge-

machten

der Vorſtellungen.
muß verwendet werden, dieſe unterſchiedene Nebenideen
zu unterdruͤcken, der alsdenn nicht angewendet werden
kann, die zu vermiſchende Bilder in ihrer vorigen Leb-
haftigkeit zu erhalten.

Gleichwohl iſt aus dieſen Erfahrungen ſo viel offen-
bar, „wenn die Phantaſie noch mit einer groͤßern Jn-
„tenſion und auf mehrere Bilder zugleich wirken, und
„mit einer groͤßern Staͤrke ſolche auf einmal wieder her-
„vor bringen kann, als ſie es in dieſen beobachteten Faͤl-
„len gethan hat, ſo wird die daraus entſtehende verwirr-
„te Erdichtung einem neuen Phantasma an Lebhaftigkeit
„naͤher kommen.“ Jſt dieß nicht zu vermuthen, wenn
ſie mehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen, wenn ſie ungezwungen und
unbeobachtet wirket; wenn ſie mehr aus innern Trieben,
unwillkuͤhrlich als aus Abſichten, mehr aus dem Herzen
als aus dem Verſtande gereizet wird, und nicht immer
bey jedem Schritt durch die zur Seite gehende Refle-
xion eingeſchraͤnkt iſt? Wenn ſie im Traume und in dem
Mittelzuſtand zwiſchen dem Wachen und Einſchlafen,
in dem ſie am freyeſten und maͤchtigſten herrſchet, frey
und ungebunden die Jdeenmaſſe in Bewegung ſetzet,
und umarbeitet? Kann meine Phantaſie jetzo, da ich
Beyſpiele zum Experimentiren ſuche, ſchon etwas aus-
richten, und etwan die Helfte der ganzen Wirkung her-
vorbringen, ſo zweifele ich nicht, ſie werde ſolche voͤllig
zu Stande bringen, wenn ſie mit ihrer ganzen Macht
in einem Milton und Klopſtock in der Stunde der Be-
geiſterung arbeitet. Alsdenn draͤngen ſich Empfindun-
gen und Jdeen ſo ineinander und vereinigen ſich zu neu-
en Verbindungen, daß man viel zu wenig ſich vorſtellet,
wenn man die Bilder, die von dieſen Poeten in ihrer le-
bendigen Dichterſprache ausgehauchet ſind, fuͤr nichts
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[125/0185] der Vorſtellungen. muß verwendet werden, dieſe unterſchiedene Nebenideen zu unterdruͤcken, der alsdenn nicht angewendet werden kann, die zu vermiſchende Bilder in ihrer vorigen Leb- haftigkeit zu erhalten. Gleichwohl iſt aus dieſen Erfahrungen ſo viel offen- bar, „wenn die Phantaſie noch mit einer groͤßern Jn- „tenſion und auf mehrere Bilder zugleich wirken, und „mit einer groͤßern Staͤrke ſolche auf einmal wieder her- „vor bringen kann, als ſie es in dieſen beobachteten Faͤl- „len gethan hat, ſo wird die daraus entſtehende verwirr- „te Erdichtung einem neuen Phantasma an Lebhaftigkeit „naͤher kommen.“ Jſt dieß nicht zu vermuthen, wenn ſie mehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen, wenn ſie ungezwungen und unbeobachtet wirket; wenn ſie mehr aus innern Trieben, unwillkuͤhrlich als aus Abſichten, mehr aus dem Herzen als aus dem Verſtande gereizet wird, und nicht immer bey jedem Schritt durch die zur Seite gehende Refle- xion eingeſchraͤnkt iſt? Wenn ſie im Traume und in dem Mittelzuſtand zwiſchen dem Wachen und Einſchlafen, in dem ſie am freyeſten und maͤchtigſten herrſchet, frey und ungebunden die Jdeenmaſſe in Bewegung ſetzet, und umarbeitet? Kann meine Phantaſie jetzo, da ich Beyſpiele zum Experimentiren ſuche, ſchon etwas aus- richten, und etwan die Helfte der ganzen Wirkung her- vorbringen, ſo zweifele ich nicht, ſie werde ſolche voͤllig zu Stande bringen, wenn ſie mit ihrer ganzen Macht in einem Milton und Klopſtock in der Stunde der Be- geiſterung arbeitet. Alsdenn draͤngen ſich Empfindun- gen und Jdeen ſo ineinander und vereinigen ſich zu neu- en Verbindungen, daß man viel zu wenig ſich vorſtellet, wenn man die Bilder, die von dieſen Poeten in ihrer le- bendigen Dichterſprache ausgehauchet ſind, fuͤr nichts anders als fuͤr eine aufgehaͤufte Menge von neben einan- derliegenden oder ſchnell auf einander folgenden einfachen Empfindungsideen anſieht. Jn ihren neuen ſelbſtge- machten

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/185>, abgerufen am 18.12.2024.