der Lebhaftigkeit gegenwärtig erhalte, indem sie solche aufeinanderlegte, als dazu nothwendig war, um eine klare Jdee vom Grünen, oder vom Blaurothen zu bekom- men. Dennoch entstand jedesmal ein matter Mittel- schein, der weder roth noch blau, noch gelb, und also von diesen einfachen Empfindungsvorstellungen verschie- den war. Bey öfterer Wiederholung dieser Beobach- tungen, fand sich, es sey nothwendig, die beiden ideellen Farben, die man im Kopf vermischen will, immer auf dieselbige Fläche in der Phantasie auf einander zu legen. Die alsdenn entstehende verwirrte Vorstellung war aber doch noch immer dunkler und viel weniger feststehend, als ein reines Phantasma; denn der neue Schein zog sich bald wieder in die einfachen Empfindungsscheine, die lebhafter gegenwärtig waren, auseinander. Wenn ich nicht recht lebhaft die Phantasie anstrengte, so blieb es blos bey einem Bestreben, so eine Vermischung vor- zunehmen, und dies war ein Bestreben, die einfachen Empfindungsscheine zugleich auf einmal darzustellen. Auch habe ich den neuen Schein nie so feststehend ma- chen können, als es die Phantasmata aus den Empfin- dungen sind.
Es scheinet also doch nur ein schwaches Nachmachen zu seyn, was die Dichtkraft in ihrer Gewalt hat. Jhre neuen Gestalten sind vielleicht nur Schattenwerke in Vergleichung mit den Einbildungen, die man von au- ßen in neuen Empfindungen empfängt. Und dies ist auch nicht zu verwundern. Jndem die Phantasie zwey unterschiedene Bilder wiederhervorbringet, und gegen- wärtig erhält, so hat ein jedes davon seine eigene associir- te Vorstellungen, die verschieden sind, und die sich ihrer Vermischung widersetzen. Diese unterschiedene Jdeen- reihen gehen mehr aus einander und halten sich abgeson- dert. Die Mischung wird dadurch geschwächt, und das Ganze dunkler. Ein Theil der vorstellenden Kraft
muß
I. Verſuch. Ueber die Natur
der Lebhaftigkeit gegenwaͤrtig erhalte, indem ſie ſolche aufeinanderlegte, als dazu nothwendig war, um eine klare Jdee vom Gruͤnen, oder vom Blaurothen zu bekom- men. Dennoch entſtand jedesmal ein matter Mittel- ſchein, der weder roth noch blau, noch gelb, und alſo von dieſen einfachen Empfindungsvorſtellungen verſchie- den war. Bey oͤfterer Wiederholung dieſer Beobach- tungen, fand ſich, es ſey nothwendig, die beiden ideellen Farben, die man im Kopf vermiſchen will, immer auf dieſelbige Flaͤche in der Phantaſie auf einander zu legen. Die alsdenn entſtehende verwirrte Vorſtellung war aber doch noch immer dunkler und viel weniger feſtſtehend, als ein reines Phantasma; denn der neue Schein zog ſich bald wieder in die einfachen Empfindungsſcheine, die lebhafter gegenwaͤrtig waren, auseinander. Wenn ich nicht recht lebhaft die Phantaſie anſtrengte, ſo blieb es blos bey einem Beſtreben, ſo eine Vermiſchung vor- zunehmen, und dies war ein Beſtreben, die einfachen Empfindungsſcheine zugleich auf einmal darzuſtellen. Auch habe ich den neuen Schein nie ſo feſtſtehend ma- chen koͤnnen, als es die Phantasmata aus den Empfin- dungen ſind.
Es ſcheinet alſo doch nur ein ſchwaches Nachmachen zu ſeyn, was die Dichtkraft in ihrer Gewalt hat. Jhre neuen Geſtalten ſind vielleicht nur Schattenwerke in Vergleichung mit den Einbildungen, die man von au- ßen in neuen Empfindungen empfaͤngt. Und dies iſt auch nicht zu verwundern. Jndem die Phantaſie zwey unterſchiedene Bilder wiederhervorbringet, und gegen- waͤrtig erhaͤlt, ſo hat ein jedes davon ſeine eigene aſſociir- te Vorſtellungen, die verſchieden ſind, und die ſich ihrer Vermiſchung widerſetzen. Dieſe unterſchiedene Jdeen- reihen gehen mehr aus einander und halten ſich abgeſon- dert. Die Miſchung wird dadurch geſchwaͤcht, und das Ganze dunkler. Ein Theil der vorſtellenden Kraft
muß
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I. Verſuch. Ueber die Natur
der Lebhaftigkeit gegenwaͤrtig erhalte, indem ſie ſolche
aufeinanderlegte, als dazu nothwendig war, um eine
klare Jdee vom Gruͤnen, oder vom Blaurothen zu bekom-
men. Dennoch entſtand jedesmal ein matter Mittel-
ſchein, der weder roth noch blau, noch gelb, und alſo
von dieſen einfachen Empfindungsvorſtellungen verſchie-
den war. Bey oͤfterer Wiederholung dieſer Beobach-
tungen, fand ſich, es ſey nothwendig, die beiden ideellen
Farben, die man im Kopf vermiſchen will, immer auf
dieſelbige Flaͤche in der Phantaſie auf einander zu legen.
Die alsdenn entſtehende verwirrte Vorſtellung war aber
doch noch immer dunkler und viel weniger feſtſtehend,
als ein reines Phantasma; denn der neue Schein zog
ſich bald wieder in die einfachen Empfindungsſcheine,
die lebhafter gegenwaͤrtig waren, auseinander. Wenn
ich nicht recht lebhaft die Phantaſie anſtrengte, ſo blieb
es blos bey einem Beſtreben, ſo eine Vermiſchung vor-
zunehmen, und dies war ein Beſtreben, die einfachen
Empfindungsſcheine zugleich auf einmal darzuſtellen.
Auch habe ich den neuen Schein nie ſo feſtſtehend ma-
chen koͤnnen, als es die Phantasmata aus den Empfin-
dungen ſind.
Es ſcheinet alſo doch nur ein ſchwaches Nachmachen
zu ſeyn, was die Dichtkraft in ihrer Gewalt hat. Jhre
neuen Geſtalten ſind vielleicht nur Schattenwerke in
Vergleichung mit den Einbildungen, die man von au-
ßen in neuen Empfindungen empfaͤngt. Und dies iſt
auch nicht zu verwundern. Jndem die Phantaſie zwey
unterſchiedene Bilder wiederhervorbringet, und gegen-
waͤrtig erhaͤlt, ſo hat ein jedes davon ſeine eigene aſſociir-
te Vorſtellungen, die verſchieden ſind, und die ſich ihrer
Vermiſchung widerſetzen. Dieſe unterſchiedene Jdeen-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/184>, abgerufen am 24.11.2024.
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