selbst, und desto leichter wird die Reflexion dahin gezo- gen, sie von dieser Seite anzusehen, und wir sehen als- denn mehr die Vorstellung in uns, als ihren Gegen- stand durch sie. Wir sehen den Spiegel, nicht die Sa- chen, deren Bilder in ihm gesehen werden; wir sehen das Glas der Fenster, nicht die äußeren Körper, davon das Licht durch sie fällt.
Dieß hat eine zwiefache Ursache. So ferne die Vorstelluug und ihre Züge nicht appercipirt werden, in so ferne ist mit ihnen kein Aktus der Reflexion verbun- den, und es ist also auch nicht möglich, daß die Refle- xion eine besondere Richtung erhalte. Wo nichts ge- dacht wird, da wird auch der Gedanke nicht gedacht: es sey etwas eine vormalige Empfindung, oder ein empfundener Gegenstand. Die dunkle Vorstellung mag also mit Tendenzen verbunden seyn, welche der Re- flexion einen Wink geben, und ihren Schwung bestim- men können; aber sie winken auf sie nicht, da die Thä- tigkeit der letztern zurücke bleibet.
Zweytens. Wenn sich nun auch ein Aktus der Re- flexion mit der Vorstellung verbindet, so kann doch, so lange die Vorstellung selbst noch nicht von den übrigen gegenwärtigen Beschaffenheiten der Seele genug abge- sondert ist, um gewahrgenommen zu werden, auch nichts anders als das Bestreben der Kraft, das Bild fer- ner und stärker hervor zu heben, bemerket werden. Die Vorstellung selbst lieget also in dem Jnnern der Seele unter den übrigen verstecket. Fühlt die Seele ihr Be- streben, ohne die Wirkung desselben, nemlich die ab- gesondert dastehende Vorstellung, so ist dieß Gefühl mit dem innern Selbstgefühl vereiniget. Was wird daraus für ein Gedanke entstehen, als dieser, es sey etwas da in uns selbst.
Jst die Vorstellung im ganzen klar, aber viel be- fassend und undeutlich, so laufen auch die mit ihren Zü-
gen
I. Verſuch. Ueber die Natur
ſelbſt, und deſto leichter wird die Reflexion dahin gezo- gen, ſie von dieſer Seite anzuſehen, und wir ſehen als- denn mehr die Vorſtellung in uns, als ihren Gegen- ſtand durch ſie. Wir ſehen den Spiegel, nicht die Sa- chen, deren Bilder in ihm geſehen werden; wir ſehen das Glas der Fenſter, nicht die aͤußeren Koͤrper, davon das Licht durch ſie faͤllt.
Dieß hat eine zwiefache Urſache. So ferne die Vorſtelluug und ihre Zuͤge nicht appercipirt werden, in ſo ferne iſt mit ihnen kein Aktus der Reflexion verbun- den, und es iſt alſo auch nicht moͤglich, daß die Refle- xion eine beſondere Richtung erhalte. Wo nichts ge- dacht wird, da wird auch der Gedanke nicht gedacht: es ſey etwas eine vormalige Empfindung, oder ein empfundener Gegenſtand. Die dunkle Vorſtellung mag alſo mit Tendenzen verbunden ſeyn, welche der Re- flexion einen Wink geben, und ihren Schwung beſtim- men koͤnnen; aber ſie winken auf ſie nicht, da die Thaͤ- tigkeit der letztern zuruͤcke bleibet.
Zweytens. Wenn ſich nun auch ein Aktus der Re- flexion mit der Vorſtellung verbindet, ſo kann doch, ſo lange die Vorſtellung ſelbſt noch nicht von den uͤbrigen gegenwaͤrtigen Beſchaffenheiten der Seele genug abge- ſondert iſt, um gewahrgenommen zu werden, auch nichts anders als das Beſtreben der Kraft, das Bild fer- ner und ſtaͤrker hervor zu heben, bemerket werden. Die Vorſtellung ſelbſt lieget alſo in dem Jnnern der Seele unter den uͤbrigen verſtecket. Fuͤhlt die Seele ihr Be- ſtreben, ohne die Wirkung deſſelben, nemlich die ab- geſondert daſtehende Vorſtellung, ſo iſt dieß Gefuͤhl mit dem innern Selbſtgefuͤhl vereiniget. Was wird daraus fuͤr ein Gedanke entſtehen, als dieſer, es ſey etwas da in uns ſelbſt.
Jſt die Vorſtellung im ganzen klar, aber viel be- faſſend und undeutlich, ſo laufen auch die mit ihren Zuͤ-
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I. Verſuch. Ueber die Natur
ſelbſt, und deſto leichter wird die Reflexion dahin gezo-
gen, ſie von dieſer Seite anzuſehen, und wir ſehen als-
denn mehr die Vorſtellung in uns, als ihren Gegen-
ſtand durch ſie. Wir ſehen den Spiegel, nicht die Sa-
chen, deren Bilder in ihm geſehen werden; wir ſehen
das Glas der Fenſter, nicht die aͤußeren Koͤrper, davon
das Licht durch ſie faͤllt.
Dieß hat eine zwiefache Urſache. So ferne die
Vorſtelluug und ihre Zuͤge nicht appercipirt werden, in
ſo ferne iſt mit ihnen kein Aktus der Reflexion verbun-
den, und es iſt alſo auch nicht moͤglich, daß die Refle-
xion eine beſondere Richtung erhalte. Wo nichts ge-
dacht wird, da wird auch der Gedanke nicht gedacht:
es ſey etwas eine vormalige Empfindung, oder ein
empfundener Gegenſtand. Die dunkle Vorſtellung
mag alſo mit Tendenzen verbunden ſeyn, welche der Re-
flexion einen Wink geben, und ihren Schwung beſtim-
men koͤnnen; aber ſie winken auf ſie nicht, da die Thaͤ-
tigkeit der letztern zuruͤcke bleibet.
Zweytens. Wenn ſich nun auch ein Aktus der Re-
flexion mit der Vorſtellung verbindet, ſo kann doch, ſo
lange die Vorſtellung ſelbſt noch nicht von den uͤbrigen
gegenwaͤrtigen Beſchaffenheiten der Seele genug abge-
ſondert iſt, um gewahrgenommen zu werden, auch
nichts anders als das Beſtreben der Kraft, das Bild fer-
ner und ſtaͤrker hervor zu heben, bemerket werden. Die
Vorſtellung ſelbſt lieget alſo in dem Jnnern der Seele
unter den uͤbrigen verſtecket. Fuͤhlt die Seele ihr Be-
ſtreben, ohne die Wirkung deſſelben, nemlich die ab-
geſondert daſtehende Vorſtellung, ſo iſt dieß Gefuͤhl mit
dem innern Selbſtgefuͤhl vereiniget. Was wird daraus
fuͤr ein Gedanke entſtehen, als dieſer, es ſey etwas da
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Jſt die Vorſtellung im ganzen klar, aber viel be-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/160>, abgerufen am 27.11.2024.
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