den Vibrationen aufbehalten werden können, die man für die materiellen Jdeen in dem Gedächtniß ansieht. Kann es nicht wenigstens sich also ver- halten? Und alsdenn ist es schon keine richtige Anwendung der Analogie mehr, wenn Priestley schließet, daß derselbige Antheil, den die oscillato- rischen Bewegungen an den Sensationen des Au- ges und vielleicht auch des Gehörs haben, ihnen auch bey den Eindrücken des Gefühls, des Ge- schmacks und des Geruchs in gleicher Maße zu- komme. Die Natur suchet Stufenverschiedenhei- ten. Wenn die Bewegung in der Sensation nur zum Theil oscillatorisch ist, oder nur von Einer Seite es ist, so wird es wahrscheinlicher, daß sie bey den Sensationen des Gesichts es am meisten sey, weniger schon bey den Eindrücken aufs Ge- hör, und noch weniger bey den übrigen Sinnen; als daß sie es bey allen auf gleiche Weise seyn sollte.
Eine Hypothese ist vielleicht der andern werth. Kann die Ausbildung und Entwickelung des See- lenwesens, die Entstehung der Jdeenreihen, und das Wachsen des ganzen innern Gedankensystems, der Ursprung der Fertigkeiten u. s. f. in so weit dieß alles etwas körperliches in dem Gehirn ist, nicht füglich auf eine ähnliche Art vorgestellet wer- den, wie die Ausbildung, oder die Entwicke- lung, und das Auswachsen der organisirten Körper? Brauchte denn die Bonnetische Sta- tue, da sie noch ganz ideenlos war, schon ein völ- lig ausgewachsenes, mit allen ausgebildeten Vor- stellungsfibern versehenes Organ zu haben, dem
nichts
Vorrede.
den Vibrationen aufbehalten werden koͤnnen, die man fuͤr die materiellen Jdeen in dem Gedaͤchtniß anſieht. Kann es nicht wenigſtens ſich alſo ver- halten? Und alsdenn iſt es ſchon keine richtige Anwendung der Analogie mehr, wenn Prieſtley ſchließet, daß derſelbige Antheil, den die oſcillato- riſchen Bewegungen an den Senſationen des Au- ges und vielleicht auch des Gehoͤrs haben, ihnen auch bey den Eindruͤcken des Gefuͤhls, des Ge- ſchmacks und des Geruchs in gleicher Maße zu- komme. Die Natur ſuchet Stufenverſchiedenhei- ten. Wenn die Bewegung in der Senſation nur zum Theil oſcillatoriſch iſt, oder nur von Einer Seite es iſt, ſo wird es wahrſcheinlicher, daß ſie bey den Senſationen des Geſichts es am meiſten ſey, weniger ſchon bey den Eindruͤcken aufs Ge- hoͤr, und noch weniger bey den uͤbrigen Sinnen; als daß ſie es bey allen auf gleiche Weiſe ſeyn ſollte.
Eine Hypotheſe iſt vielleicht der andern werth. Kann die Ausbildung und Entwickelung des See- lenweſens, die Entſtehung der Jdeenreihen, und das Wachſen des ganzen innern Gedankenſyſtems, der Urſprung der Fertigkeiten u. ſ. f. in ſo weit dieß alles etwas koͤrperliches in dem Gehirn iſt, nicht fuͤglich auf eine aͤhnliche Art vorgeſtellet wer- den, wie die Ausbildung, oder die Entwicke- lung, und das Auswachſen der organiſirten Koͤrper? Brauchte denn die Bonnetiſche Sta- tue, da ſie noch ganz ideenlos war, ſchon ein voͤl- lig ausgewachſenes, mit allen ausgebildeten Vor- ſtellungsfibern verſehenes Organ zu haben, dem
nichts
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0015"n="XI"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Vorrede</hi>.</hi></fw><lb/>
den Vibrationen aufbehalten werden koͤnnen, die<lb/>
man fuͤr die materiellen Jdeen in dem Gedaͤchtniß<lb/>
anſieht. Kann es nicht wenigſtens ſich alſo ver-<lb/>
halten? Und alsdenn iſt es ſchon keine richtige<lb/>
Anwendung der Analogie mehr, wenn Prieſtley<lb/>ſchließet, daß derſelbige Antheil, den die oſcillato-<lb/>
riſchen Bewegungen an den Senſationen des Au-<lb/>
ges und vielleicht auch des Gehoͤrs haben, ihnen<lb/>
auch bey den Eindruͤcken des Gefuͤhls, des Ge-<lb/>ſchmacks und des Geruchs in gleicher Maße zu-<lb/>
komme. Die Natur ſuchet Stufenverſchiedenhei-<lb/>
ten. Wenn die Bewegung in der Senſation nur<lb/>
zum Theil oſcillatoriſch iſt, oder nur von Einer<lb/>
Seite es iſt, ſo wird es wahrſcheinlicher, daß ſie<lb/>
bey den Senſationen des Geſichts es am meiſten<lb/>ſey, weniger ſchon bey den Eindruͤcken aufs Ge-<lb/>
hoͤr, und noch weniger bey den uͤbrigen Sinnen;<lb/>
als daß ſie es bey allen auf gleiche Weiſe ſeyn<lb/>ſollte.</p><lb/><p>Eine Hypotheſe iſt vielleicht der andern werth.<lb/>
Kann die Ausbildung und Entwickelung des See-<lb/>
lenweſens, die Entſtehung der Jdeenreihen, und<lb/>
das Wachſen des ganzen innern Gedankenſyſtems,<lb/>
der Urſprung der Fertigkeiten u. ſ. f. in ſo weit<lb/>
dieß alles etwas koͤrperliches in dem Gehirn iſt,<lb/>
nicht fuͤglich auf eine aͤhnliche Art vorgeſtellet wer-<lb/>
den, wie die <hirendition="#fr">Ausbildung,</hi> oder die <hirendition="#fr">Entwicke-<lb/>
lung,</hi> und das <hirendition="#fr">Auswachſen der organiſirten<lb/>
Koͤrper?</hi> Brauchte denn die Bonnetiſche Sta-<lb/>
tue, da ſie noch ganz ideenlos war, ſchon ein voͤl-<lb/>
lig ausgewachſenes, mit allen ausgebildeten Vor-<lb/>ſtellungsfibern verſehenes Organ zu haben, dem<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nichts</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[XI/0015]
Vorrede.
den Vibrationen aufbehalten werden koͤnnen, die
man fuͤr die materiellen Jdeen in dem Gedaͤchtniß
anſieht. Kann es nicht wenigſtens ſich alſo ver-
halten? Und alsdenn iſt es ſchon keine richtige
Anwendung der Analogie mehr, wenn Prieſtley
ſchließet, daß derſelbige Antheil, den die oſcillato-
riſchen Bewegungen an den Senſationen des Au-
ges und vielleicht auch des Gehoͤrs haben, ihnen
auch bey den Eindruͤcken des Gefuͤhls, des Ge-
ſchmacks und des Geruchs in gleicher Maße zu-
komme. Die Natur ſuchet Stufenverſchiedenhei-
ten. Wenn die Bewegung in der Senſation nur
zum Theil oſcillatoriſch iſt, oder nur von Einer
Seite es iſt, ſo wird es wahrſcheinlicher, daß ſie
bey den Senſationen des Geſichts es am meiſten
ſey, weniger ſchon bey den Eindruͤcken aufs Ge-
hoͤr, und noch weniger bey den uͤbrigen Sinnen;
als daß ſie es bey allen auf gleiche Weiſe ſeyn
ſollte.
Eine Hypotheſe iſt vielleicht der andern werth.
Kann die Ausbildung und Entwickelung des See-
lenweſens, die Entſtehung der Jdeenreihen, und
das Wachſen des ganzen innern Gedankenſyſtems,
der Urſprung der Fertigkeiten u. ſ. f. in ſo weit
dieß alles etwas koͤrperliches in dem Gehirn iſt,
nicht fuͤglich auf eine aͤhnliche Art vorgeſtellet wer-
den, wie die Ausbildung, oder die Entwicke-
lung, und das Auswachſen der organiſirten
Koͤrper? Brauchte denn die Bonnetiſche Sta-
tue, da ſie noch ganz ideenlos war, ſchon ein voͤl-
lig ausgewachſenes, mit allen ausgebildeten Vor-
ſtellungsfibern verſehenes Organ zu haben, dem
nichts
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/15>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.