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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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I. Versuch. Ueber die Natur
solcher veranlassenden Einbildungen doch mehrere zusam-
men kommen, deren vereinigte Macht so stark ist, als
eine Empfindung; oder der Hang zu einer solchen Af-
fektion in dem Jnnern der Seele kann so stark geworden
seyn, daß nichts mehr als eine geringe Veranlassung nö-
thig ist, um diese innere Ursache zur Wirksamkeit zu
bringen. Was von der Jdee hinzu kam, brauchte ihr
nur gewisse Reize und Bestimmungen zu geben. Ein
schwacher Funken kann also zünden, wenn das Gemüth
den empfänglichen Zunder in sich hat, und durch vor-
hergegangene Empfindungen so leicht entzündbar gewor-
den ist.

So scheint also die Sache entschieden zu seyn, wenn
man bey den Beobachtungen stehen bleibet. Was ist
einfacher? und analogischer?

Aber durch eine Anwendung, die einige neuere Phi-
losophen von der Jdeenassociation gemacht haben,
werden alle solche aus Empfindungen entstandene Dispo-
sitionen zu innern Veränderungen, nur die Vorstellun-
gen aus den äußern Sinnen ausgenommen, hinweg-
erkläret.

Die Gemüthszustände, die Neigungen, Bestre-
bungen, und alles, was zu den leidentlichen und thäti-
gen innern Seelenveränderungen gehöret, das soll nicht
anders wieder hervorkommen, als durch dieselbigen Jdeen,
oder ihnen ähnliche, durch welche sie das erstemal in der
Seele hervorgebracht worden sind. Wenn es den An-
schein hat, als würde eine vorige Lust blos durch eine
Nebenidee, die weiter keine Beziehung auf sie hatte, als
daß sie mit ihr verbunden war, wieder hervorgebracht,
so soll es nicht diese Nebenidee seyn, welche für sich selbst
auf die Seele wirket; aber sie soll andere associirte Jdeen
wieder herbey führen, in denen die bewegende Kraft ent-
halten ist, und die in der ersten Empfindung die wir-
kende Ursache des Gefallens gewesen sind. Der Spieler

siehet

I. Verſuch. Ueber die Natur
ſolcher veranlaſſenden Einbildungen doch mehrere zuſam-
men kommen, deren vereinigte Macht ſo ſtark iſt, als
eine Empfindung; oder der Hang zu einer ſolchen Af-
fektion in dem Jnnern der Seele kann ſo ſtark geworden
ſeyn, daß nichts mehr als eine geringe Veranlaſſung noͤ-
thig iſt, um dieſe innere Urſache zur Wirkſamkeit zu
bringen. Was von der Jdee hinzu kam, brauchte ihr
nur gewiſſe Reize und Beſtimmungen zu geben. Ein
ſchwacher Funken kann alſo zuͤnden, wenn das Gemuͤth
den empfaͤnglichen Zunder in ſich hat, und durch vor-
hergegangene Empfindungen ſo leicht entzuͤndbar gewor-
den iſt.

So ſcheint alſo die Sache entſchieden zu ſeyn, wenn
man bey den Beobachtungen ſtehen bleibet. Was iſt
einfacher? und analogiſcher?

Aber durch eine Anwendung, die einige neuere Phi-
loſophen von der Jdeenaſſociation gemacht haben,
werden alle ſolche aus Empfindungen entſtandene Dispo-
ſitionen zu innern Veraͤnderungen, nur die Vorſtellun-
gen aus den aͤußern Sinnen ausgenommen, hinweg-
erklaͤret.

Die Gemuͤthszuſtaͤnde, die Neigungen, Beſtre-
bungen, und alles, was zu den leidentlichen und thaͤti-
gen innern Seelenveraͤnderungen gehoͤret, das ſoll nicht
anders wieder hervorkommen, als durch dieſelbigen Jdeen,
oder ihnen aͤhnliche, durch welche ſie das erſtemal in der
Seele hervorgebracht worden ſind. Wenn es den An-
ſchein hat, als wuͤrde eine vorige Luſt blos durch eine
Nebenidee, die weiter keine Beziehung auf ſie hatte, als
daß ſie mit ihr verbunden war, wieder hervorgebracht,
ſo ſoll es nicht dieſe Nebenidee ſeyn, welche fuͤr ſich ſelbſt
auf die Seele wirket; aber ſie ſoll andere aſſociirte Jdeen
wieder herbey fuͤhren, in denen die bewegende Kraft ent-
halten iſt, und die in der erſten Empfindung die wir-
kende Urſache des Gefallens geweſen ſind. Der Spieler

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[66/0126] I. Verſuch. Ueber die Natur ſolcher veranlaſſenden Einbildungen doch mehrere zuſam- men kommen, deren vereinigte Macht ſo ſtark iſt, als eine Empfindung; oder der Hang zu einer ſolchen Af- fektion in dem Jnnern der Seele kann ſo ſtark geworden ſeyn, daß nichts mehr als eine geringe Veranlaſſung noͤ- thig iſt, um dieſe innere Urſache zur Wirkſamkeit zu bringen. Was von der Jdee hinzu kam, brauchte ihr nur gewiſſe Reize und Beſtimmungen zu geben. Ein ſchwacher Funken kann alſo zuͤnden, wenn das Gemuͤth den empfaͤnglichen Zunder in ſich hat, und durch vor- hergegangene Empfindungen ſo leicht entzuͤndbar gewor- den iſt. So ſcheint alſo die Sache entſchieden zu ſeyn, wenn man bey den Beobachtungen ſtehen bleibet. Was iſt einfacher? und analogiſcher? Aber durch eine Anwendung, die einige neuere Phi- loſophen von der Jdeenaſſociation gemacht haben, werden alle ſolche aus Empfindungen entſtandene Dispo- ſitionen zu innern Veraͤnderungen, nur die Vorſtellun- gen aus den aͤußern Sinnen ausgenommen, hinweg- erklaͤret. Die Gemuͤthszuſtaͤnde, die Neigungen, Beſtre- bungen, und alles, was zu den leidentlichen und thaͤti- gen innern Seelenveraͤnderungen gehoͤret, das ſoll nicht anders wieder hervorkommen, als durch dieſelbigen Jdeen, oder ihnen aͤhnliche, durch welche ſie das erſtemal in der Seele hervorgebracht worden ſind. Wenn es den An- ſchein hat, als wuͤrde eine vorige Luſt blos durch eine Nebenidee, die weiter keine Beziehung auf ſie hatte, als daß ſie mit ihr verbunden war, wieder hervorgebracht, ſo ſoll es nicht dieſe Nebenidee ſeyn, welche fuͤr ſich ſelbſt auf die Seele wirket; aber ſie ſoll andere aſſociirte Jdeen wieder herbey fuͤhren, in denen die bewegende Kraft ent- halten iſt, und die in der erſten Empfindung die wir- kende Urſache des Gefallens geweſen ſind. Der Spieler ſiehet

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/126>, abgerufen am 25.11.2024.