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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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I. Versuch. Ueber die Natur
der Verdruß, die vorher empfundene Neigung, die Ab-
neigung u. s. f. wieder erwecket wird. So ist es öfters.
Das Vergnügen aus der Musik, die angenehme Wal-
lung in der Seele, die wir in einem Garten empfunden
haben, wird nicht in Gedanken erneuert, als wenn die
Vorstellungen von der Musik und von dem Garten wie-
derum gegenwärtig sind. Lässet sich nun die Sache nicht
so erklären, so bedarf es keiner besondern von der Ge-
müthsbewegung in uns zurückgebliebenen Spur, und kei-
ner Disposition, sie leichter wieder anzunehmen. Die
Disposition, die bewegenden Vorstellungen von äußern
Objekten zu reproduciren, ist genug; denn auf diese er-
folgen die Anwandlungen zu Veränderungen, welche
die Stelle der Einbildungen von innern Empfindungen
vertreten. Hr. Search hat in uns besondere Zufrie-
denheitsfibern
angenommen, so wie es Gesichts- und
Gehörsfibern giebt. Jene sollen die Organe des Ge-
müths seyn, welche modificirt werden, wenn der Ge-
müthszustand, den wir die Zufriedenheit nennen, em-
pfunden wird. Die Beobachtung lehrt uns von solchen
Organen nichts; aber man kann sich dieser Erdichtung
hier bedienen, um die Jdee von der Sache durch eine
bildliche Vorstellung deutlicher zu machen. Und ich
würde noch zu derselbigen Absicht besondere Aktionsfibern
hinzusetzen, die nur alsdenn sinnlich beweget werden sol-
len, wenn die selbstthätige Kraft der Seele entweder
außer sich in den Körper wirket, oder sich selbst und ih-
re eigene Vermögen bestimmet und neue Modifikationen
in sich selbst hervorbringet.

Die Vorstellungsfibern, solche nemlich, die zu den
Vorstellungen äußerer Objekte gehören, erhalten aus
den Empfindungen gewisse Dispositionen, leichter die
sinnliche Bewegung von neuem anzunehmen. Ob nun
nicht das nemliche bey den Zufriedenheitsfibern und bey
den Thätigkeitsfibern statt finde oder ob diese immerfort

so

I. Verſuch. Ueber die Natur
der Verdruß, die vorher empfundene Neigung, die Ab-
neigung u. ſ. f. wieder erwecket wird. So iſt es oͤfters.
Das Vergnuͤgen aus der Muſik, die angenehme Wal-
lung in der Seele, die wir in einem Garten empfunden
haben, wird nicht in Gedanken erneuert, als wenn die
Vorſtellungen von der Muſik und von dem Garten wie-
derum gegenwaͤrtig ſind. Laͤſſet ſich nun die Sache nicht
ſo erklaͤren, ſo bedarf es keiner beſondern von der Ge-
muͤthsbewegung in uns zuruͤckgebliebenen Spur, und kei-
ner Dispoſition, ſie leichter wieder anzunehmen. Die
Dispoſition, die bewegenden Vorſtellungen von aͤußern
Objekten zu reproduciren, iſt genug; denn auf dieſe er-
folgen die Anwandlungen zu Veraͤnderungen, welche
die Stelle der Einbildungen von innern Empfindungen
vertreten. Hr. Search hat in uns beſondere Zufrie-
denheitsfibern
angenommen, ſo wie es Geſichts- und
Gehoͤrsfibern giebt. Jene ſollen die Organe des Ge-
muͤths ſeyn, welche modificirt werden, wenn der Ge-
muͤthszuſtand, den wir die Zufriedenheit nennen, em-
pfunden wird. Die Beobachtung lehrt uns von ſolchen
Organen nichts; aber man kann ſich dieſer Erdichtung
hier bedienen, um die Jdee von der Sache durch eine
bildliche Vorſtellung deutlicher zu machen. Und ich
wuͤrde noch zu derſelbigen Abſicht beſondere Aktionsfibern
hinzuſetzen, die nur alsdenn ſinnlich beweget werden ſol-
len, wenn die ſelbſtthaͤtige Kraft der Seele entweder
außer ſich in den Koͤrper wirket, oder ſich ſelbſt und ih-
re eigene Vermoͤgen beſtimmet und neue Modifikationen
in ſich ſelbſt hervorbringet.

Die Vorſtellungsfibern, ſolche nemlich, die zu den
Vorſtellungen aͤußerer Objekte gehoͤren, erhalten aus
den Empfindungen gewiſſe Dispoſitionen, leichter die
ſinnliche Bewegung von neuem anzunehmen. Ob nun
nicht das nemliche bey den Zufriedenheitsfibern und bey
den Thaͤtigkeitsfibern ſtatt finde oder ob dieſe immerfort

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[62/0122] I. Verſuch. Ueber die Natur der Verdruß, die vorher empfundene Neigung, die Ab- neigung u. ſ. f. wieder erwecket wird. So iſt es oͤfters. Das Vergnuͤgen aus der Muſik, die angenehme Wal- lung in der Seele, die wir in einem Garten empfunden haben, wird nicht in Gedanken erneuert, als wenn die Vorſtellungen von der Muſik und von dem Garten wie- derum gegenwaͤrtig ſind. Laͤſſet ſich nun die Sache nicht ſo erklaͤren, ſo bedarf es keiner beſondern von der Ge- muͤthsbewegung in uns zuruͤckgebliebenen Spur, und kei- ner Dispoſition, ſie leichter wieder anzunehmen. Die Dispoſition, die bewegenden Vorſtellungen von aͤußern Objekten zu reproduciren, iſt genug; denn auf dieſe er- folgen die Anwandlungen zu Veraͤnderungen, welche die Stelle der Einbildungen von innern Empfindungen vertreten. Hr. Search hat in uns beſondere Zufrie- denheitsfibern angenommen, ſo wie es Geſichts- und Gehoͤrsfibern giebt. Jene ſollen die Organe des Ge- muͤths ſeyn, welche modificirt werden, wenn der Ge- muͤthszuſtand, den wir die Zufriedenheit nennen, em- pfunden wird. Die Beobachtung lehrt uns von ſolchen Organen nichts; aber man kann ſich dieſer Erdichtung hier bedienen, um die Jdee von der Sache durch eine bildliche Vorſtellung deutlicher zu machen. Und ich wuͤrde noch zu derſelbigen Abſicht beſondere Aktionsfibern hinzuſetzen, die nur alsdenn ſinnlich beweget werden ſol- len, wenn die ſelbſtthaͤtige Kraft der Seele entweder außer ſich in den Koͤrper wirket, oder ſich ſelbſt und ih- re eigene Vermoͤgen beſtimmet und neue Modifikationen in ſich ſelbſt hervorbringet. Die Vorſtellungsfibern, ſolche nemlich, die zu den Vorſtellungen aͤußerer Objekte gehoͤren, erhalten aus den Empfindungen gewiſſe Dispoſitionen, leichter die ſinnliche Bewegung von neuem anzunehmen. Ob nun nicht das nemliche bey den Zufriedenheitsfibern und bey den Thaͤtigkeitsfibern ſtatt finde oder ob dieſe immerfort ſo

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/122>, abgerufen am 25.11.2024.