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Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Der See war dieses Jahr bei windstillem, heiterem Wetter spiegelglatt gefroren; die Eisdecke glänzte strahlend, wie Kristall im Sonnenlichte. Bertold war hier auf seinem Elemente; er hatte als Sieger in den jährlichen Wettläufen schon manchen schönen Preis und Triumph errungen, indem er flüchtiger, als die berühmtesten englischen Rennpferde, bei gutem Wind im Rücken, in acht Minuten eine deutsche Meile auf Schlittschuhen zurück gelegt. Nur allein der kraftvolle Enten-Piet lief ihm gleich und war im Stuhlschieben bei langer Dauer dem muskelschwächeren Jüngling überlegen. -- Meister Jan hielt sich auch für einen tüchtigen Eisläufer; aber Bertold erkannte mit gutmüthigem Lächeln beim Anblick der schülerhaften Bogenzüge des Meisters, daß dieser den rechten Wettläuferstrich nicht kenne, der vom Bogenlaufen so verschieden ist, wie die lancirende Carriere eines trainirten Renners von dem wiegenden Galopp eines Schulpferdes.

Als die beiden Läufer schnell den vorangeschobenen Schlitten erreichten, rief Bertold:

Adieu, Papa Baldus, ich werde Sie anmelden!

Halt, das ist überflüssig! Ich will zuerst -- schnell, Meister Jan, holen Sie ihn ein! Der Junge spielt mir sonst wieder einen Streich.

Der Meister strengte zwar die ganze Muskelkraft seiner mächtig gebauten Schenkel an, um den entlaufenden Jüngling einzuholen, doch ohne den Schlitten verlassen zu können. Während Bertold, die Hände auf

Der See war dieses Jahr bei windstillem, heiterem Wetter spiegelglatt gefroren; die Eisdecke glänzte strahlend, wie Kristall im Sonnenlichte. Bertold war hier auf seinem Elemente; er hatte als Sieger in den jährlichen Wettläufen schon manchen schönen Preis und Triumph errungen, indem er flüchtiger, als die berühmtesten englischen Rennpferde, bei gutem Wind im Rücken, in acht Minuten eine deutsche Meile auf Schlittschuhen zurück gelegt. Nur allein der kraftvolle Enten-Piet lief ihm gleich und war im Stuhlschieben bei langer Dauer dem muskelschwächeren Jüngling überlegen. — Meister Jan hielt sich auch für einen tüchtigen Eisläufer; aber Bertold erkannte mit gutmüthigem Lächeln beim Anblick der schülerhaften Bogenzüge des Meisters, daß dieser den rechten Wettläuferstrich nicht kenne, der vom Bogenlaufen so verschieden ist, wie die lancirende Carriere eines trainirten Renners von dem wiegenden Galopp eines Schulpferdes.

Als die beiden Läufer schnell den vorangeschobenen Schlitten erreichten, rief Bertold:

Adieu, Papa Baldus, ich werde Sie anmelden!

Halt, das ist überflüssig! Ich will zuerst — schnell, Meister Jan, holen Sie ihn ein! Der Junge spielt mir sonst wieder einen Streich.

Der Meister strengte zwar die ganze Muskelkraft seiner mächtig gebauten Schenkel an, um den entlaufenden Jüngling einzuholen, doch ohne den Schlitten verlassen zu können. Während Bertold, die Hände auf

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[0095] Der See war dieses Jahr bei windstillem, heiterem Wetter spiegelglatt gefroren; die Eisdecke glänzte strahlend, wie Kristall im Sonnenlichte. Bertold war hier auf seinem Elemente; er hatte als Sieger in den jährlichen Wettläufen schon manchen schönen Preis und Triumph errungen, indem er flüchtiger, als die berühmtesten englischen Rennpferde, bei gutem Wind im Rücken, in acht Minuten eine deutsche Meile auf Schlittschuhen zurück gelegt. Nur allein der kraftvolle Enten-Piet lief ihm gleich und war im Stuhlschieben bei langer Dauer dem muskelschwächeren Jüngling überlegen. — Meister Jan hielt sich auch für einen tüchtigen Eisläufer; aber Bertold erkannte mit gutmüthigem Lächeln beim Anblick der schülerhaften Bogenzüge des Meisters, daß dieser den rechten Wettläuferstrich nicht kenne, der vom Bogenlaufen so verschieden ist, wie die lancirende Carriere eines trainirten Renners von dem wiegenden Galopp eines Schulpferdes. Als die beiden Läufer schnell den vorangeschobenen Schlitten erreichten, rief Bertold: Adieu, Papa Baldus, ich werde Sie anmelden! Halt, das ist überflüssig! Ich will zuerst — schnell, Meister Jan, holen Sie ihn ein! Der Junge spielt mir sonst wieder einen Streich. Der Meister strengte zwar die ganze Muskelkraft seiner mächtig gebauten Schenkel an, um den entlaufenden Jüngling einzuholen, doch ohne den Schlitten verlassen zu können. Während Bertold, die Hände auf

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:22:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910/95>, abgerufen am 22.11.2024.