Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.begab sich Sanct Otto nach Stettin, um allda sein heiliges Werk mit desto größerem Eifer wieder zu beginnen. Die Stettiner nahmen ihn zwar nicht so feindselig auf, wie die Juliner gethan hatten; aber er konnte doch auch hier lange Zeit gar nicht zu seinem Zwecke gelangen. Er predigte bei zwei Monate lang alle Tage, und unterrichtete das Volk; und wie es in Quatember war, ließ er alle Morgen ein silbernes Crucifix vor sich her tragen, und ging mit seinen Priestern auf den Markt. Doch wollte Niemand hinan, und es hat Keiner das Christentum annehmen wollen. Sie fragten ihn, warum sie doch den neuen Glauben annehmen sollten? Daß sie daraus frömmer werden sollten? Das glaubten sie nicht, denn sie sähen, daß unter den Christen größere Laster wären, denn unter ihnen, nämlich Raub, Mord, Dieberei, Lügen und Trügen, ja auch so großer Uebermuth, Hoffahrt und Ehrsucht, daß sie oft ihren Glauben selbst darum verachteten und schmäheten. Einen solchen Glauben begehrten sie nicht. Doch schickte es unser Herr Gott um ihres eignen Besten willen anders. Denn es war damals ein gewaltiger Mann in Stettin, Dobislav geheißen, in solcher Achtung, daß auch der Fürst Wartislav nichts gern that ohne ihn, und von großem Geschlecht, also daß er beides, in der Stadt und auf dem Lande viele Freundschaft, Verwandtschaft und Schwägerschaft mit dem Adel hatte. Derselbe war schon früher, als er unter den Sachsen gewesen, getauft, aber als er wieder zu den Wenden kam, achtete er das Christentum nicht mehr und begab sich zu der Heidenschaft zurück. Er hatte eine Frau von vornehmem Adel aus Sachsen, welche in ihrer großen Jugend von den Wenden ergriffen und weggeführt, und an den Dobislav verkauft war. Damit hatte er zwei junge Söhne gezeugt, Tepitz und Borant geheißen. Da nun St. Otto nach Stettin kam, war Herr Dobislav begab sich Sanct Otto nach Stettin, um allda sein heiliges Werk mit desto größerem Eifer wieder zu beginnen. Die Stettiner nahmen ihn zwar nicht so feindselig auf, wie die Juliner gethan hatten; aber er konnte doch auch hier lange Zeit gar nicht zu seinem Zwecke gelangen. Er predigte bei zwei Monate lang alle Tage, und unterrichtete das Volk; und wie es in Quatember war, ließ er alle Morgen ein silbernes Crucifix vor sich her tragen, und ging mit seinen Priestern auf den Markt. Doch wollte Niemand hinan, und es hat Keiner das Christentum annehmen wollen. Sie fragten ihn, warum sie doch den neuen Glauben annehmen sollten? Daß sie daraus frömmer werden sollten? Das glaubten sie nicht, denn sie sähen, daß unter den Christen größere Laster wären, denn unter ihnen, nämlich Raub, Mord, Dieberei, Lügen und Trügen, ja auch so großer Uebermuth, Hoffahrt und Ehrsucht, daß sie oft ihren Glauben selbst darum verachteten und schmäheten. Einen solchen Glauben begehrten sie nicht. Doch schickte es unser Herr Gott um ihres eignen Besten willen anders. Denn es war damals ein gewaltiger Mann in Stettin, Dobislav geheißen, in solcher Achtung, daß auch der Fürst Wartislav nichts gern that ohne ihn, und von großem Geschlecht, also daß er beides, in der Stadt und auf dem Lande viele Freundschaft, Verwandtschaft und Schwägerschaft mit dem Adel hatte. Derselbe war schon früher, als er unter den Sachsen gewesen, getauft, aber als er wieder zu den Wenden kam, achtete er das Christentum nicht mehr und begab sich zu der Heidenschaft zurück. Er hatte eine Frau von vornehmem Adel aus Sachsen, welche in ihrer großen Jugend von den Wenden ergriffen und weggeführt, und an den Dobislav verkauft war. Damit hatte er zwei junge Söhne gezeugt, Tepitz und Borant geheißen. Da nun St. Otto nach Stettin kam, war Herr Dobislav <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0070" n="38"/> begab sich Sanct Otto nach Stettin, um allda sein heiliges Werk mit desto größerem Eifer wieder zu beginnen. Die Stettiner nahmen ihn zwar nicht so feindselig auf, wie die Juliner gethan hatten; aber er konnte doch auch hier lange Zeit gar nicht zu seinem Zwecke gelangen. Er predigte bei zwei Monate lang alle Tage, und unterrichtete das Volk; und wie es in Quatember war, ließ er alle Morgen ein silbernes Crucifix vor sich her tragen, und ging mit seinen Priestern auf den Markt. Doch wollte Niemand hinan, und es hat Keiner das Christentum annehmen wollen. Sie fragten ihn, warum sie doch den neuen Glauben annehmen sollten? Daß sie daraus frömmer werden sollten? Das glaubten sie nicht, denn sie sähen, daß unter den Christen größere Laster wären, denn unter ihnen, nämlich Raub, Mord, Dieberei, Lügen und Trügen, ja auch so großer Uebermuth, Hoffahrt und Ehrsucht, daß sie oft ihren Glauben selbst darum verachteten und schmäheten. Einen solchen Glauben begehrten sie nicht.</p> <p>Doch schickte es unser Herr Gott um ihres eignen Besten willen anders. Denn es war damals ein gewaltiger Mann in Stettin, Dobislav geheißen, in solcher Achtung, daß auch der Fürst Wartislav nichts gern that ohne ihn, und von großem Geschlecht, also daß er beides, in der Stadt und auf dem Lande viele Freundschaft, Verwandtschaft und Schwägerschaft mit dem Adel hatte. Derselbe war schon früher, als er unter den Sachsen gewesen, getauft, aber als er wieder zu den Wenden kam, achtete er das Christentum nicht mehr und begab sich zu der Heidenschaft zurück. Er hatte eine Frau von vornehmem Adel aus Sachsen, welche in ihrer großen Jugend von den Wenden ergriffen und weggeführt, und an den Dobislav verkauft war. Damit hatte er zwei junge Söhne gezeugt, Tepitz und Borant geheißen. Da nun St. Otto nach Stettin kam, war Herr Dobislav </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0070]
begab sich Sanct Otto nach Stettin, um allda sein heiliges Werk mit desto größerem Eifer wieder zu beginnen. Die Stettiner nahmen ihn zwar nicht so feindselig auf, wie die Juliner gethan hatten; aber er konnte doch auch hier lange Zeit gar nicht zu seinem Zwecke gelangen. Er predigte bei zwei Monate lang alle Tage, und unterrichtete das Volk; und wie es in Quatember war, ließ er alle Morgen ein silbernes Crucifix vor sich her tragen, und ging mit seinen Priestern auf den Markt. Doch wollte Niemand hinan, und es hat Keiner das Christentum annehmen wollen. Sie fragten ihn, warum sie doch den neuen Glauben annehmen sollten? Daß sie daraus frömmer werden sollten? Das glaubten sie nicht, denn sie sähen, daß unter den Christen größere Laster wären, denn unter ihnen, nämlich Raub, Mord, Dieberei, Lügen und Trügen, ja auch so großer Uebermuth, Hoffahrt und Ehrsucht, daß sie oft ihren Glauben selbst darum verachteten und schmäheten. Einen solchen Glauben begehrten sie nicht.
Doch schickte es unser Herr Gott um ihres eignen Besten willen anders. Denn es war damals ein gewaltiger Mann in Stettin, Dobislav geheißen, in solcher Achtung, daß auch der Fürst Wartislav nichts gern that ohne ihn, und von großem Geschlecht, also daß er beides, in der Stadt und auf dem Lande viele Freundschaft, Verwandtschaft und Schwägerschaft mit dem Adel hatte. Derselbe war schon früher, als er unter den Sachsen gewesen, getauft, aber als er wieder zu den Wenden kam, achtete er das Christentum nicht mehr und begab sich zu der Heidenschaft zurück. Er hatte eine Frau von vornehmem Adel aus Sachsen, welche in ihrer großen Jugend von den Wenden ergriffen und weggeführt, und an den Dobislav verkauft war. Damit hatte er zwei junge Söhne gezeugt, Tepitz und Borant geheißen. Da nun St. Otto nach Stettin kam, war Herr Dobislav
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Zitationshilfe: | Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/70>, abgerufen am 16.02.2025. |