Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.Daß sie nämlich Mutter werden sollte, Gleich dem Aar, der mit gespreizten Klauen Pfeilschnell auf die Beute niederfährt Und das Lamm von unbewachten Auen Mit sich führt, weil ihm kein Schäfer wehrt, So umfaßt mit grimmig-starken Armen Schnell der Priester Wunna's zarten Leib; Reißt sie fort ohn' jegliches Erbarmen, Fast zerdrückend das ohnmächt'ge Weib. Droben auf der hohen Stubbenkammer Hält er an, und mit gewalt'ger Wucht Stürzet er, - o unerhörter Jammer! - Wunna in die tiefe Bergesschlucht. Doch mit ew'ger Liebe und Erbarmen Schützet auch den Sünder Gottes Hand; Engel trugen Wunna auf den Armen Sanft hernieder an des Meeres Strand. - Als aus langem Schlummer sie erwachte, Lag sie an des Jünglings treuer Brust; Und der Liebe goldne Sonne lachte Ihrem Leben nun in reiner Lust. Wenn Du auf der Stubbenkammer weilest, Wandle doch zum alten Götterhain, Ehe Du von Jasmunds Fluren eilest; Noch erblickst Du dort den Wunderstein. - Welch ein Glück, daß wir in unsern Tagen Sicher auf den breiten Steinen stehn, Und daß unsre Tritte nicht mehr sagen, Wie viel stille Sünden wir begehn. Daß sie nämlich Mutter werden sollte, Gleich dem Aar, der mit gespreizten Klauen Pfeilschnell auf die Beute niederfährt Und das Lamm von unbewachten Auen Mit sich führt, weil ihm kein Schäfer wehrt, So umfaßt mit grimmig-starken Armen Schnell der Priester Wunna’s zarten Leib; Reißt sie fort ohn’ jegliches Erbarmen, Fast zerdrückend das ohnmächt’ge Weib. Droben auf der hohen Stubbenkammer Hält er an, und mit gewalt’ger Wucht Stürzet er, – o unerhörter Jammer! – Wunna in die tiefe Bergesschlucht. Doch mit ew’ger Liebe und Erbarmen Schützet auch den Sünder Gottes Hand; Engel trugen Wunna auf den Armen Sanft hernieder an des Meeres Strand. – Als aus langem Schlummer sie erwachte, Lag sie an des Jünglings treuer Brust; Und der Liebe goldne Sonne lachte Ihrem Leben nun in reiner Lust. Wenn Du auf der Stubbenkammer weilest, Wandle doch zum alten Götterhain, Ehe Du von Jasmunds Fluren eilest; Noch erblickst Du dort den Wunderstein. – Welch ein Glück, daß wir in unsern Tagen Sicher auf den breiten Steinen stehn, Und daß unsre Tritte nicht mehr sagen, Wie viel stille Sünden wir begehn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="poem"> <lg type="poem"> <lg n="19"> <pb facs="#f0359" n="327"/> <l>Daß sie nämlich Mutter werden sollte,</l><lb/> <l>Lag nun Aller Augen offenbar.</l><lb/> </lg> <lg n="20"> <l> <hi rendition="#et">Gleich dem Aar, der mit gespreizten Klauen</hi> </l><lb/> <l>Pfeilschnell auf die Beute niederfährt</l><lb/> <l>Und das Lamm von unbewachten Auen</l><lb/> <l>Mit sich führt, weil ihm kein Schäfer wehrt,</l><lb/> </lg> <lg n="21"> <l> <hi rendition="#et">So umfaßt mit grimmig-starken Armen</hi> </l><lb/> <l>Schnell der Priester <hi rendition="#g">Wunna</hi>’s zarten Leib;</l><lb/> <l>Reißt sie fort ohn’ jegliches Erbarmen,</l><lb/> <l>Fast zerdrückend das ohnmächt’ge Weib.</l><lb/> </lg> <lg n="22"> <l> <hi rendition="#et">Droben auf der hohen Stubbenkammer</hi> </l><lb/> <l>Hält er an, und mit gewalt’ger Wucht</l><lb/> <l>Stürzet er, – o unerhörter Jammer! –</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Wunna</hi> in die tiefe Bergesschlucht.</l><lb/> </lg> <lg n="23"> <l> <hi rendition="#et">Doch mit ew’ger Liebe und Erbarmen</hi> </l><lb/> <l>Schützet auch den Sünder Gottes Hand;</l><lb/> <l>Engel trugen <hi rendition="#g">Wunna</hi> auf den Armen</l><lb/> <l>Sanft hernieder an des Meeres Strand. –</l><lb/> </lg> <lg n="24"> <l> <hi rendition="#et">Als aus langem Schlummer sie erwachte,</hi> </l><lb/> <l>Lag sie an des Jünglings treuer Brust;</l><lb/> <l>Und der Liebe goldne Sonne lachte</l><lb/> <l>Ihrem Leben nun in reiner Lust.</l><lb/> </lg> <lg n="25"> <l> <hi rendition="#et">Wenn Du auf der Stubbenkammer weilest,</hi> </l><lb/> <l>Wandle doch zum alten Götterhain,</l><lb/> <l>Ehe Du von Jasmunds Fluren eilest;</l><lb/> <l>Noch erblickst Du dort den Wunderstein. –</l><lb/> </lg> <lg n="26"> <l> <hi rendition="#et">Welch ein Glück, daß wir in unsern Tagen</hi> </l><lb/> <l>Sicher auf den breiten Steinen stehn,</l><lb/> <l>Und daß unsre Tritte nicht mehr sagen,</l><lb/> <l>Wie viel stille Sünden wir begehn.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [327/0359]
Daß sie nämlich Mutter werden sollte,
Lag nun Aller Augen offenbar.
Gleich dem Aar, der mit gespreizten Klauen
Pfeilschnell auf die Beute niederfährt
Und das Lamm von unbewachten Auen
Mit sich führt, weil ihm kein Schäfer wehrt,
So umfaßt mit grimmig-starken Armen
Schnell der Priester Wunna’s zarten Leib;
Reißt sie fort ohn’ jegliches Erbarmen,
Fast zerdrückend das ohnmächt’ge Weib.
Droben auf der hohen Stubbenkammer
Hält er an, und mit gewalt’ger Wucht
Stürzet er, – o unerhörter Jammer! –
Wunna in die tiefe Bergesschlucht.
Doch mit ew’ger Liebe und Erbarmen
Schützet auch den Sünder Gottes Hand;
Engel trugen Wunna auf den Armen
Sanft hernieder an des Meeres Strand. –
Als aus langem Schlummer sie erwachte,
Lag sie an des Jünglings treuer Brust;
Und der Liebe goldne Sonne lachte
Ihrem Leben nun in reiner Lust.
Wenn Du auf der Stubbenkammer weilest,
Wandle doch zum alten Götterhain,
Ehe Du von Jasmunds Fluren eilest;
Noch erblickst Du dort den Wunderstein. –
Welch ein Glück, daß wir in unsern Tagen
Sicher auf den breiten Steinen stehn,
Und daß unsre Tritte nicht mehr sagen,
Wie viel stille Sünden wir begehn.
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Zitationshilfe: | Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/359>, abgerufen am 16.02.2025. |