Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.Durften kaum entfernt zu ahnen wagen Wie die Sonne alle andern Sterne Weit an Glanz und Schönheit überstrahlt, Glänzt von Rügens Jungfrau'n nah und ferne Wunna, kaum erst sechszehn Sommer alt. Früh bestimmte schon der Aeltern Wille Sie zum Dienst der Göttin; aber ach! Gumbert liebte sie, und in der Stille Hingen Beide ihrer Liebe nach. Als sie nun in Hertha's finstern Hallen Ihren Dienst mit trübem Sinn versah, Wagte Gumbert oft dahin zu wallen, Jeden Abend stand er lauschend da. Wunna schlich, wenn Alle um sie ruhten, Leise durch die Pforte in den Hain Und genoß dort selige Minuten Bei der Sterne mildem Dämmerschein. Bald vernahm der Priester schon die Kunde, Daß der Jungfrau'n eine ihn betrog Und in stiller mitternächt'ger Stunde In die Arme eines Jünglings flog. Drob ergrimmt' er sehr und ließ erscheinen Alle Priesterinnen, solche That Streng zu rächen an der schuld'gen Einen; Wunna bebte, als sie vor ihn trat. Doch die Schuld'ge wußt' er nicht und fragte;
Alle schwiegen, Wunna schöpfte Muth; Keiner hielt sie für die Angeklagte, Denn sie war so fromm und schön und gut. Durften kaum entfernt zu ahnen wagen Wie die Sonne alle andern Sterne Weit an Glanz und Schönheit überstrahlt, Glänzt von Rügens Jungfrau’n nah und ferne Wunna, kaum erst sechszehn Sommer alt. Früh bestimmte schon der Aeltern Wille Sie zum Dienst der Göttin; aber ach! Gumbert liebte sie, und in der Stille Hingen Beide ihrer Liebe nach. Als sie nun in Hertha’s finstern Hallen Ihren Dienst mit trübem Sinn versah, Wagte Gumbert oft dahin zu wallen, Jeden Abend stand er lauschend da. Wunna schlich, wenn Alle um sie ruhten, Leise durch die Pforte in den Hain Und genoß dort selige Minuten Bei der Sterne mildem Dämmerschein. Bald vernahm der Priester schon die Kunde, Daß der Jungfrau’n eine ihn betrog Und in stiller mitternächt’ger Stunde In die Arme eines Jünglings flog. Drob ergrimmt’ er sehr und ließ erscheinen Alle Priesterinnen, solche That Streng zu rächen an der schuld’gen Einen; Wunna bebte, als sie vor ihn trat. Doch die Schuld’ge wußt’ er nicht und fragte;
Alle schwiegen, Wunna schöpfte Muth; Keiner hielt sie für die Angeklagte, Denn sie war so fromm und schön und gut. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="poem"> <lg type="poem"> <lg n="4"> <pb facs="#f0357" n="325"/> <l>Durften kaum entfernt zu ahnen wagen</l><lb/> <l>Treuer Liebe stille Seligkeit.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l> <hi rendition="#et">Wie die Sonne alle andern Sterne</hi> </l><lb/> <l>Weit an Glanz und Schönheit überstrahlt,</l><lb/> <l>Glänzt von Rügens Jungfrau’n nah und ferne</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Wunna</hi>, kaum erst sechszehn Sommer alt.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l> <hi rendition="#et">Früh bestimmte schon der Aeltern Wille</hi> </l><lb/> <l>Sie zum Dienst der Göttin; aber ach!</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Gumbert</hi> liebte sie, und in der Stille</l><lb/> <l>Hingen Beide ihrer Liebe nach.</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l> <hi rendition="#et">Als sie nun in Hertha’s finstern Hallen</hi> </l><lb/> <l>Ihren Dienst mit trübem Sinn versah,</l><lb/> <l>Wagte <hi rendition="#g">Gumbert</hi> oft dahin zu wallen,</l><lb/> <l>Jeden Abend stand er lauschend da.</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Wunna</hi> schlich, wenn Alle um sie ruhten,</hi> </l><lb/> <l>Leise durch die Pforte in den Hain</l><lb/> <l>Und genoß dort selige Minuten</l><lb/> <l>Bei der Sterne mildem Dämmerschein.</l><lb/> </lg> <lg n="9"> <l> <hi rendition="#et">Bald vernahm der Priester schon die Kunde,</hi> </l><lb/> <l>Daß der Jungfrau’n eine ihn betrog</l><lb/> <l>Und in stiller mitternächt’ger Stunde</l><lb/> <l>In die Arme eines Jünglings flog.</l><lb/> </lg> <lg n="10"> <l> <hi rendition="#et">Drob ergrimmt’ er sehr und ließ erscheinen</hi> </l><lb/> <l>Alle Priesterinnen, solche That</l><lb/> <l>Streng zu rächen an der schuld’gen <hi rendition="#g">Einen</hi>;</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Wunna</hi> bebte, als sie vor ihn trat.</l><lb/> </lg> <lg n="11"> <l> <hi rendition="#et">Doch die Schuld’ge wußt’ er nicht und fragte;</hi> </l><lb/> <l>Alle schwiegen, <hi rendition="#g">Wunna</hi> schöpfte Muth;</l><lb/> <l>Keiner hielt sie für die Angeklagte,</l><lb/> <l>Denn sie war so fromm und schön und gut.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [325/0357]
Durften kaum entfernt zu ahnen wagen
Treuer Liebe stille Seligkeit.
Wie die Sonne alle andern Sterne
Weit an Glanz und Schönheit überstrahlt,
Glänzt von Rügens Jungfrau’n nah und ferne
Wunna, kaum erst sechszehn Sommer alt.
Früh bestimmte schon der Aeltern Wille
Sie zum Dienst der Göttin; aber ach!
Gumbert liebte sie, und in der Stille
Hingen Beide ihrer Liebe nach.
Als sie nun in Hertha’s finstern Hallen
Ihren Dienst mit trübem Sinn versah,
Wagte Gumbert oft dahin zu wallen,
Jeden Abend stand er lauschend da.
Wunna schlich, wenn Alle um sie ruhten,
Leise durch die Pforte in den Hain
Und genoß dort selige Minuten
Bei der Sterne mildem Dämmerschein.
Bald vernahm der Priester schon die Kunde,
Daß der Jungfrau’n eine ihn betrog
Und in stiller mitternächt’ger Stunde
In die Arme eines Jünglings flog.
Drob ergrimmt’ er sehr und ließ erscheinen
Alle Priesterinnen, solche That
Streng zu rächen an der schuld’gen Einen;
Wunna bebte, als sie vor ihn trat.
Doch die Schuld’ge wußt’ er nicht und fragte;
Alle schwiegen, Wunna schöpfte Muth;
Keiner hielt sie für die Angeklagte,
Denn sie war so fromm und schön und gut.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/357 |
Zitationshilfe: | Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/357>, abgerufen am 16.02.2025. |