Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch] Leb eine Sprache hatten, deren Wörter durch den Ge-brauch bedeutend wurden, mußten sie sich nothwen- dig solcher schildernden Töne bedienen, die izt voll- kommen überflüßig sind. Jndem der Grieche das Wort anemos höret, denkt er eben so geschwind und eben so bestimmt an die Sache, die es ausdrükt, als der Engländer, dem durch das Wort Wind, die Sache selbst geschildert wird. Jn ausgebildeten Sprachen haben dergleichen Daher kommt es mir seltsam vor, daß ein so Leb tadeln würde, wenn ich mich bereden könnte, daßer diese Schilderung gesucht hätte. So findet er diesen Vers Oid epi d[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]xia, o`~i[th] [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]p' aris[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]ra [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]om[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]mi bon, fürtreflich; weil er seiner Meinung nach durch den Ei[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt], makra bib[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]s, krasaon dolikhikn egkhos. Er trat einher mit mächtigem Schritt, seinen ge- kommt (*) II. VII 238. (+) Motus concitos, reciprocos et celeriter agigatos op- time depingunt bujus versus numeri. Clarcke. (+) [Spaltenumbruch]
höret, und nicht jeder Mund sie gleich bestimmt nachahmet;
einer glaubte das Brüllen des Stieres gut durch das Wort Ochs, der andre durch das Wort bouns nachzuahmen; beyde Wörter sind im Grund einerley. So sehen wir täglich, daß ein Deutscher, ein Franzos, und ein Engländer, ein und eben dasselbe ihm unbekannte, z. E. Polnische oder Rußische Wort, jeder nach seiner Art, nachspricht Hätten alle Menschen dasselbe Gehör und dieselben Werkzeuge der Sprache, so würden die Stammwörter aller Sprachen der Welt genau mit einander übereinkommen. Jn den abgeleiteten Bedeutungen, zeiget sich ein noch grösserer Unterschied. Ein Mensch wurd bey dem Stier durch die [Spaltenumbruch] Größe gerühret, und machte daher von dem Worte bouns eine Ableitung um etwas Großes auszudrüken; einen anderen rührte bey demselben Thier die plumpe Dummheit, und dieses bewog ihn einen grobdummen Menschen einen Och- sen zu nennen. Diese beyden Anmerkungen sind schon hinlänglich den großen Unterschied zwischen den Sprachen der Völker, die ursprünglich aus Nachahmung eben dersel- ben Töne entstanden sind, zu erklären. Hätten alle Men- schen gleiche Sinnesart, so würden auch die abgeleiteten Bedeutungen der Wörter in allen Sprachen einerley seyn. [Spaltenumbruch] Leb eine Sprache hatten, deren Woͤrter durch den Ge-brauch bedeutend wurden, mußten ſie ſich nothwen- dig ſolcher ſchildernden Toͤne bedienen, die izt voll- kommen uͤberfluͤßig ſind. Jndem der Grieche das Wort ἀνεμος hoͤret, denkt er eben ſo geſchwind und eben ſo beſtimmt an die Sache, die es ausdruͤkt, als der Englaͤnder, dem durch das Wort Wind, die Sache ſelbſt geſchildert wird. Jn ausgebildeten Sprachen haben dergleichen Daher kommt es mir ſeltſam vor, daß ein ſo Leb tadeln wuͤrde, wenn ich mich bereden koͤnnte, daßer dieſe Schilderung geſucht haͤtte. So findet er dieſen Vers Ὅιδ ἐπι δ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ξια, ο῟ι[ϑ] [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]π᾽ ἁρις[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ρα [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ωμ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]μι βῶν, fuͤrtreflich; weil er ſeiner Meinung nach durch den Ἠϊ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt], μακρα βιβ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ς, κρασαων δολιχικν ἐγχος. Er trat einher mit maͤchtigem Schritt, ſeinen ge- kommt (*) II. VII 238. (†) Motus concitos, reciprocos et celeriter agigatos op- time depingunt bujus verſus numeri. Clarcke. (†) [Spaltenumbruch]
hoͤret, und nicht jeder Mund ſie gleich beſtimmt nachahmet;
einer glaubte das Bruͤllen des Stieres gut durch das Wort Ochs, der andre durch das Wort βȣ̃ς nachzuahmen; beyde Woͤrter ſind im Grund einerley. So ſehen wir taͤglich, daß ein Deutſcher, ein Franzos, und ein Englaͤnder, ein und eben daſſelbe ihm unbekannte, z. E. Polniſche oder Rußiſche Wort, jeder nach ſeiner Art, nachſpricht Haͤtten alle Menſchen daſſelbe Gehoͤr und dieſelben Werkzeuge der Sprache, ſo wuͤrden die Stammwoͤrter aller Sprachen der Welt genau mit einander uͤbereinkommen. Jn den abgeleiteten Bedeutungen, zeiget ſich ein noch groͤſſerer Unterſchied. Ein Menſch wurd bey dem Stier durch die [Spaltenumbruch] Groͤße geruͤhret, und machte daher von dem Worte βȣ̃ς eine Ableitung um etwas Großes auszudruͤken; einen anderen ruͤhrte bey demſelben Thier die plumpe Dummheit, und dieſes bewog ihn einen grobdummen Menſchen einen Och- ſen zu nennen. Dieſe beyden Anmerkungen ſind ſchon hinlaͤnglich den großen Unterſchied zwiſchen den Sprachen der Voͤlker, die urſpruͤnglich aus Nachahmung eben derſel- ben Toͤne entſtanden ſind, zu erklaͤren. Haͤtten alle Men- ſchen gleiche Sinnesart, ſo wuͤrden auch die abgeleiteten Bedeutungen der Woͤrter in allen Sprachen einerley ſeyn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0098" n="681[663]"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Leb</hi></fw><lb/> eine Sprache hatten, deren Woͤrter durch den Ge-<lb/> brauch bedeutend wurden, mußten ſie ſich nothwen-<lb/> dig ſolcher ſchildernden Toͤne bedienen, die izt voll-<lb/> kommen uͤberfluͤßig ſind. Jndem der Grieche das<lb/> Wort ἀνεμος hoͤret, denkt er eben ſo geſchwind und<lb/> eben ſo beſtimmt an die Sache, die es ausdruͤkt,<lb/> als der Englaͤnder, dem durch das Wort Wind,<lb/> die Sache ſelbſt geſchildert wird.</p><lb/> <p>Jn ausgebildeten Sprachen haben dergleichen<lb/> ſchildernde Woͤrter, wenn man blos beſtimmt ſpre-<lb/> chen will, keinen, oder doch einen ſehr geringen<lb/> aͤſthetiſchen Werth; weil man ohne ſie ſich ſehr be-<lb/> ſtimmt und verſtaͤndlich ausdruͤken kann. Ganz<lb/> anders aber verhaͤlt es ſich, wenn man auf die Em-<lb/> pfindung wuͤrken will; denn da muß auch der bloße<lb/> Ton der Worte das Seinige zu Erreichung des End-<lb/> zweks beytragen. Wer andre durch Erzaͤhlung ei-<lb/> ner Schandthat in Zorn und Entruͤſtung ſetzen will,<lb/> muß nicht einen ſanften Ton annehmen, auch nicht<lb/> ſanftklingende Woͤrter brauchen; denn dieſes wuͤrde<lb/> dem Zuhoͤrer anzeigen, daß der Erzaͤhler ſelbſt nichts<lb/> dabey fuͤhlet. Wie alſo der Ton der Rede uͤber-<lb/> haupt das Gepraͤge der Empfindung, die man erwe-<lb/> ken will, haben muß, ſo muͤſſen auch die Woͤrter<lb/> und der Gang der Rede, oder das rhythmiſche da-<lb/> rin, demſelben angemeſſen ſeyn. Dieſes verſtehen<lb/> wir hier durch den lebendigen Ausdruk. Hingegen<lb/> halten wir das meiſte, was ſo vielfaͤltig von dem<lb/> ſchildernden Ausdruk geruͤhmt wird, fuͤr Kleinigkei-<lb/> ten, die der Aufmerkſamkeit des Redners oder Dich-<lb/> ters entweder nicht werth ſind, oder gar, wenn ſie<lb/> wuͤrklich geſucht worden, zu tadeln waͤren.</p><lb/> <p>Daher kommt es mir ſeltſam vor, daß ein ſo<lb/> ſcharfſinniger Mann, als <hi rendition="#fr">Clarke,</hi> den Homer ſo<lb/> ofte des ſchildernden Verſes halber lobt, wo ich ihn<lb/><cb/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Leb</hi></fw><lb/> tadeln wuͤrde, wenn ich mich bereden koͤnnte, daß<lb/> er dieſe Schilderung geſucht haͤtte. So findet er<lb/> dieſen Vers</p><lb/> <cit> <quote>Ὅιδ ἐπι δ<gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>ξια, ο῟ι<supplied>ϑ</supplied> <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>π᾽ ἁρις<gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>ρα <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>ωμ<gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>μι βῶν,<lb/> Ἀζαλεην. <note place="foot" n="(*)"><hi rendition="#aq">II. VII</hi><lb/> 238.</note></quote> </cit><lb/> <p>fuͤrtreflich; weil er ſeiner Meinung nach durch den<lb/> Fall der Worte die ſchnellen Wendungen der Bewe-<lb/> gungen im Zweykampf ſchildern ſoll. <note place="foot" n="(†)"><hi rendition="#aq">Motus concitos, reciprocos et celeriter agigatos op-<lb/> time depingunt bujus verſus numeri. Clarcke.</hi></note> Der Dich-<lb/> ter beſchreibet an dieſem Orte den Zweykampf zwi-<lb/> ſchen Hektor und Ajax. Dieſe Helden ſind im Be-<lb/> griff den Streit anzufangen. Ajax fodert ſeinen<lb/> Feind auf, alle ſeine Kraͤfte gegen ihn anzuwenden.<lb/> Dieſer voll ruhigen Muthes antwortet ihm in einen<lb/> gelaſſenen, aber ſehr zuverſichtlichen Tone. „Denke<lb/> nicht Ajax, daß du einen unerfahrnen Juͤngling,<lb/> oder einen weichlichen Knaben vor dir habeſt: ich<lb/> bin mit dem Streit und mit toͤdlichen Streichen wol<lb/> bekannt, <hi rendition="#fr">weiß auch den Schild zur Vertheidigung<lb/> fertig, rechts oder links vorzubalten.“</hi> Wer bey<lb/> Leſung dieſer Stelle ſeine Empfindung erforſchet,<lb/> wird die Gemuͤthsfaſſung worin Hektor dieſes ſagt,<lb/> ſo voll Wuͤrde und ſo voll Ernſt finden, daß ihm<lb/> ſchwerlich dabey einfallen wird, der Held habe durch<lb/> den Ton der Worte die ſchnellen Bewegungen des<lb/> Schildes bald rechts, bald links, ſchildern wollen.<lb/> Warum ſoll denn der Dichter dieſes im Sinne ge-<lb/> habt haben? Kurz vorher beſchreibet er, wie Ajax<lb/> ſich bewaffnet, wie er hierauf gleich dem maͤchtigen<lb/> Kriegesgott hervortritt, und hoͤhniſch fuͤrchterliche<lb/> Blike wirft. Denn thut er hinzu:</p><lb/> <cit> <quote>Ἠϊ<gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>, μακρα βιβ<gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>ς, κρασαων δολιχικν ἐγχος.</quote> </cit><lb/> <p><hi rendition="#fr">Er trat einher mit maͤchtigem Schritt, ſeinen ge-<lb/> waltigen Speer leicht ſchwenkend.</hi> Daß in dieſem<lb/> Vers etwas hochtrabendes und majeſtaͤtiſches iſt,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">kommt</fw><lb/></p> <note place="foot" n="(†)"><cb/> hoͤret, und nicht jeder Mund ſie gleich beſtimmt nachahmet;<lb/> einer glaubte das Bruͤllen des Stieres gut durch das Wort<lb/><hi rendition="#fr">Ochs,</hi> der andre durch das Wort βȣ̃ς nachzuahmen; beyde<lb/> Woͤrter ſind im Grund einerley. So ſehen wir taͤglich,<lb/> daß ein Deutſcher, ein Franzos, und ein Englaͤnder, ein<lb/> und eben daſſelbe ihm unbekannte, z. E. Polniſche oder<lb/> Rußiſche Wort, jeder nach ſeiner Art, nachſpricht Haͤtten<lb/> alle Menſchen daſſelbe Gehoͤr und dieſelben Werkzeuge der<lb/> Sprache, ſo wuͤrden die Stammwoͤrter aller Sprachen<lb/> der Welt genau mit einander uͤbereinkommen. Jn den<lb/> abgeleiteten Bedeutungen, zeiget ſich ein noch groͤſſerer<lb/> Unterſchied. Ein Menſch wurd bey dem Stier durch die<lb/><cb/> Groͤße geruͤhret, und machte daher von dem Worte βȣ̃ς<lb/> eine Ableitung um etwas Großes auszudruͤken; einen anderen<lb/> ruͤhrte bey demſelben Thier die plumpe Dummheit, und<lb/> dieſes bewog ihn einen grobdummen Menſchen einen Och-<lb/> ſen zu nennen. Dieſe beyden Anmerkungen ſind ſchon<lb/> hinlaͤnglich den großen Unterſchied zwiſchen den Sprachen<lb/> der Voͤlker, die urſpruͤnglich aus Nachahmung eben derſel-<lb/> ben Toͤne entſtanden ſind, zu erklaͤren. Haͤtten alle Men-<lb/> ſchen gleiche Sinnesart, ſo wuͤrden auch die abgeleiteten<lb/> Bedeutungen der Woͤrter in allen Sprachen einerley ſeyn.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [681[663]/0098]
Leb
Leb
eine Sprache hatten, deren Woͤrter durch den Ge-
brauch bedeutend wurden, mußten ſie ſich nothwen-
dig ſolcher ſchildernden Toͤne bedienen, die izt voll-
kommen uͤberfluͤßig ſind. Jndem der Grieche das
Wort ἀνεμος hoͤret, denkt er eben ſo geſchwind und
eben ſo beſtimmt an die Sache, die es ausdruͤkt,
als der Englaͤnder, dem durch das Wort Wind,
die Sache ſelbſt geſchildert wird.
Jn ausgebildeten Sprachen haben dergleichen
ſchildernde Woͤrter, wenn man blos beſtimmt ſpre-
chen will, keinen, oder doch einen ſehr geringen
aͤſthetiſchen Werth; weil man ohne ſie ſich ſehr be-
ſtimmt und verſtaͤndlich ausdruͤken kann. Ganz
anders aber verhaͤlt es ſich, wenn man auf die Em-
pfindung wuͤrken will; denn da muß auch der bloße
Ton der Worte das Seinige zu Erreichung des End-
zweks beytragen. Wer andre durch Erzaͤhlung ei-
ner Schandthat in Zorn und Entruͤſtung ſetzen will,
muß nicht einen ſanften Ton annehmen, auch nicht
ſanftklingende Woͤrter brauchen; denn dieſes wuͤrde
dem Zuhoͤrer anzeigen, daß der Erzaͤhler ſelbſt nichts
dabey fuͤhlet. Wie alſo der Ton der Rede uͤber-
haupt das Gepraͤge der Empfindung, die man erwe-
ken will, haben muß, ſo muͤſſen auch die Woͤrter
und der Gang der Rede, oder das rhythmiſche da-
rin, demſelben angemeſſen ſeyn. Dieſes verſtehen
wir hier durch den lebendigen Ausdruk. Hingegen
halten wir das meiſte, was ſo vielfaͤltig von dem
ſchildernden Ausdruk geruͤhmt wird, fuͤr Kleinigkei-
ten, die der Aufmerkſamkeit des Redners oder Dich-
ters entweder nicht werth ſind, oder gar, wenn ſie
wuͤrklich geſucht worden, zu tadeln waͤren.
Daher kommt es mir ſeltſam vor, daß ein ſo
ſcharfſinniger Mann, als Clarke, den Homer ſo
ofte des ſchildernden Verſes halber lobt, wo ich ihn
tadeln wuͤrde, wenn ich mich bereden koͤnnte, daß
er dieſe Schilderung geſucht haͤtte. So findet er
dieſen Vers
Ὅιδ ἐπι δ_ξια, ο῟ιϑ _π᾽ ἁρις_ρα _ωμ_μι βῶν,
Ἀζαλεην. (*)
fuͤrtreflich; weil er ſeiner Meinung nach durch den
Fall der Worte die ſchnellen Wendungen der Bewe-
gungen im Zweykampf ſchildern ſoll. (†) Der Dich-
ter beſchreibet an dieſem Orte den Zweykampf zwi-
ſchen Hektor und Ajax. Dieſe Helden ſind im Be-
griff den Streit anzufangen. Ajax fodert ſeinen
Feind auf, alle ſeine Kraͤfte gegen ihn anzuwenden.
Dieſer voll ruhigen Muthes antwortet ihm in einen
gelaſſenen, aber ſehr zuverſichtlichen Tone. „Denke
nicht Ajax, daß du einen unerfahrnen Juͤngling,
oder einen weichlichen Knaben vor dir habeſt: ich
bin mit dem Streit und mit toͤdlichen Streichen wol
bekannt, weiß auch den Schild zur Vertheidigung
fertig, rechts oder links vorzubalten.“ Wer bey
Leſung dieſer Stelle ſeine Empfindung erforſchet,
wird die Gemuͤthsfaſſung worin Hektor dieſes ſagt,
ſo voll Wuͤrde und ſo voll Ernſt finden, daß ihm
ſchwerlich dabey einfallen wird, der Held habe durch
den Ton der Worte die ſchnellen Bewegungen des
Schildes bald rechts, bald links, ſchildern wollen.
Warum ſoll denn der Dichter dieſes im Sinne ge-
habt haben? Kurz vorher beſchreibet er, wie Ajax
ſich bewaffnet, wie er hierauf gleich dem maͤchtigen
Kriegesgott hervortritt, und hoͤhniſch fuͤrchterliche
Blike wirft. Denn thut er hinzu:
Ἠϊ_, μακρα βιβ_ς, κρασαων δολιχικν ἐγχος.
Er trat einher mit maͤchtigem Schritt, ſeinen ge-
waltigen Speer leicht ſchwenkend. Daß in dieſem
Vers etwas hochtrabendes und majeſtaͤtiſches iſt,
kommt
(†)
(*) II. VII
238.
(†) Motus concitos, reciprocos et celeriter agigatos op-
time depingunt bujus verſus numeri. Clarcke.
(†)
hoͤret, und nicht jeder Mund ſie gleich beſtimmt nachahmet;
einer glaubte das Bruͤllen des Stieres gut durch das Wort
Ochs, der andre durch das Wort βȣ̃ς nachzuahmen; beyde
Woͤrter ſind im Grund einerley. So ſehen wir taͤglich,
daß ein Deutſcher, ein Franzos, und ein Englaͤnder, ein
und eben daſſelbe ihm unbekannte, z. E. Polniſche oder
Rußiſche Wort, jeder nach ſeiner Art, nachſpricht Haͤtten
alle Menſchen daſſelbe Gehoͤr und dieſelben Werkzeuge der
Sprache, ſo wuͤrden die Stammwoͤrter aller Sprachen
der Welt genau mit einander uͤbereinkommen. Jn den
abgeleiteten Bedeutungen, zeiget ſich ein noch groͤſſerer
Unterſchied. Ein Menſch wurd bey dem Stier durch die
Groͤße geruͤhret, und machte daher von dem Worte βȣ̃ς
eine Ableitung um etwas Großes auszudruͤken; einen anderen
ruͤhrte bey demſelben Thier die plumpe Dummheit, und
dieſes bewog ihn einen grobdummen Menſchen einen Och-
ſen zu nennen. Dieſe beyden Anmerkungen ſind ſchon
hinlaͤnglich den großen Unterſchied zwiſchen den Sprachen
der Voͤlker, die urſpruͤnglich aus Nachahmung eben derſel-
ben Toͤne entſtanden ſind, zu erklaͤren. Haͤtten alle Men-
ſchen gleiche Sinnesart, ſo wuͤrden auch die abgeleiteten
Bedeutungen der Woͤrter in allen Sprachen einerley ſeyn.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |