bens, kann sie so gut, als die Mahlerey selbst ausdruken. Was wir also zum Lobe dieser Kunst gesagt haben, (*) kann größtentheils auch auf die Kunst des Kupferstechens angewendet werden. Die Vortheile, welche die Farben dem Mahler geben, werden bey dem Kupferstecher durch einen andern Vortheil, den er über den Mahler hat, wo nicht überwogen, doch gewiß ersetzet. Denn er kann sein Werk mit großer Leichtigkeit viel hundertmale vermehren, und ohne große Müh überall ausbreiten.
Aber ohne uns länger bey der Vergleichung der beyden verwandelten Künste zu verweilen, wollen wir anmerken, daß das Kupferstechen sowol von Seite der dazu nöthigen Talente, als von der Seite des Nutzens und der Annehmlichkeiten betrachtet, eine wichtige Kunst ist, durch deren Erfindung die neuere Welt einen großen Vorzug über die Alten hat.
Von einigen dem Kupferstecher nöthigen Talen- ten ist im vorhergehenden Artikel gesprochen wor- den. Hier wollen wir nur noch dieses anmerken, daß die Kupferstecherkunst in ihrer eigenen Art zu zeichnen, Licht und Schatten, Haltung, Harmonie und den natürlichen Charakter der Dinge herauszu- bringen, vielleicht mehr Genie und Kunst erfodert hat, als das Mahlen. Man kann nicht ohne Be- wunderung sehen, daß durch schwarze Striche auf einem hellen Grund so mannigfaltige Gestallten der Dinge können dargestellt werden. Die glänzende Politur des Metalles, die Durchsichtigkeit und den Schimmer des Glases, das Glatte und dabey doch weiche Wesen des Nakenden am menschlichen Kör- per; die Mannigfaltigkeit der verschiedenen seide- nen und wollenen Gewänder; Luft, Wolken, Ge- wässer, Erde; alle Gattungen der Thiere und Bäu- me, jedes in seinem wahren Charakter, und doch ohne Farbe! Wer dieses bedenket, und sich die Mühe geben will, aus den Werken älterer und neuerer Meister die Kunstgriffe herauszusuchen, wodurch so gar vielerley Würkungen erreicht werden, dem wird es nicht fremde vorkommen, daß die Kupferstecher- kunst, ob sie gleich mit der neuen Mahlerey ohnge- fehr ein Alter hat, späther, als diese, zur Vollkom- menheit gekommen ist. Man kann den Anfang der wahren Mahlerey unter den Neuern nicht weit über den Leouhardo da Vinci hinaussezen; und beynahe eben so alt ist das Kupferstechen. Aber schon lange hatte die Mahlerey einen Titian gehabt, ehe die Ku- [Spaltenumbruch]
Kup
pferstecherkunst ihre Höhe erreichte, auf die sie im vorigen Jahrhundert gekommen ist.
Wir müssen aber auch ihren Nuzen betrachten. Die Vortheile, welche die Wissenschaften, besonders die Naturgeschicht und die Mechanik aus dem Ku- pferstechen ziehen, müssen wir hier übergehen, ob sie gleich allein hinlänglich wären, es schäzbar zu machen. Wir wollen blos von den Werken des Geschmaks reden, die daher rühren. Alles was die zeichnenden Künste hervorbringen, kann die Kupfer- stecherkunst im Kleinen nachahmen, und ohne großen Aufwand jedem Liebhaber der schönen Künste zum Genuß überlassen. Die Werke der Baukunst, der Bildhauerey, des Steinschneiders und des Mahlers, die das größte Aufsehen in der Welt machen, kön- nen wir durch Hülfe der Kupferstecherkunst in unsere Cabinette sammlen. Freylich geht vielen dieser Werke dadurch, daß sie ins Kleine gezogen worden, etwas von ihrer Kraft ab. Wenn man aber da- gegen bedenket, mit was für Gemächlichkeit, und mit wie wenig Kosten man die herrlichsten Werke der Kunst durch die Wohlthat des Kupferstechens haben könne, so erkennet man den vorzüglichen Werth dieser Kunst. Nur durch sie kommen die beträchtlichsten Werke der großen Mahler, deren Originale in den Pallästen der Großen verschlos- sen sind, in die Wohnungen der Bürger. Also erleichtert die Kupferstecherkunst ihren verwandten Künsten, die Nuzbarkeit, die von ihnen zu erwar- ten steht.
Hiernächst wird dem zeichnenden Künstler selbst das Studium der Kunst durch die Kupferstiche un- gemein erleichtert. Der Baumeister hat nicht nö- thig in der Welt herumzureisen, um die besten Werke der alten und neuen Baukunst zu sehen. Der Kupferstecher liefert sie ihm in sein Cabinet, wo er mit der größten Gemächlichkeit alles betrachten, ausmessen und übersehen kann. Eben diesen Vor- theil kann auch der Mahler in Absicht auf den größ- ten Theil seiner Kunst, aus den Kupferstichen ziehen.
Die Erfindung dieser schäzbaren Kunst ist nicht gar alt, und doch mit Dunkelheit umgeben. Die Jtaliäner, die, wie ehemals die Griechen, sich gern alle neuen Erfindungen in den schönen Künsten zu- eigneten, geben einen florentinischen Goldschmidt Maso Finiguerra für den Erfinder derselben aus, und sezen die Epoche der Erfindung um das Jahr 1460. Aber mit weit mehr Wahrscheinlichkeit ei-
gnen
(*) S. Mahlerey.
[Spaltenumbruch]
Kup
bens, kann ſie ſo gut, als die Mahlerey ſelbſt ausdruken. Was wir alſo zum Lobe dieſer Kunſt geſagt haben, (*) kann groͤßtentheils auch auf die Kunſt des Kupferſtechens angewendet werden. Die Vortheile, welche die Farben dem Mahler geben, werden bey dem Kupferſtecher durch einen andern Vortheil, den er uͤber den Mahler hat, wo nicht uͤberwogen, doch gewiß erſetzet. Denn er kann ſein Werk mit großer Leichtigkeit viel hundertmale vermehren, und ohne große Muͤh uͤberall ausbreiten.
Aber ohne uns laͤnger bey der Vergleichung der beyden verwandelten Kuͤnſte zu verweilen, wollen wir anmerken, daß das Kupferſtechen ſowol von Seite der dazu noͤthigen Talente, als von der Seite des Nutzens und der Annehmlichkeiten betrachtet, eine wichtige Kunſt iſt, durch deren Erfindung die neuere Welt einen großen Vorzug uͤber die Alten hat.
Von einigen dem Kupferſtecher noͤthigen Talen- ten iſt im vorhergehenden Artikel geſprochen wor- den. Hier wollen wir nur noch dieſes anmerken, daß die Kupferſtecherkunſt in ihrer eigenen Art zu zeichnen, Licht und Schatten, Haltung, Harmonie und den natuͤrlichen Charakter der Dinge herauszu- bringen, vielleicht mehr Genie und Kunſt erfodert hat, als das Mahlen. Man kann nicht ohne Be- wunderung ſehen, daß durch ſchwarze Striche auf einem hellen Grund ſo mannigfaltige Geſtallten der Dinge koͤnnen dargeſtellt werden. Die glaͤnzende Politur des Metalles, die Durchſichtigkeit und den Schimmer des Glaſes, das Glatte und dabey doch weiche Weſen des Nakenden am menſchlichen Koͤr- per; die Mannigfaltigkeit der verſchiedenen ſeide- nen und wollenen Gewaͤnder; Luft, Wolken, Ge- waͤſſer, Erde; alle Gattungen der Thiere und Baͤu- me, jedes in ſeinem wahren Charakter, und doch ohne Farbe! Wer dieſes bedenket, und ſich die Muͤhe geben will, aus den Werken aͤlterer und neuerer Meiſter die Kunſtgriffe herauszuſuchen, wodurch ſo gar vielerley Wuͤrkungen erreicht werden, dem wird es nicht fremde vorkommen, daß die Kupferſtecher- kunſt, ob ſie gleich mit der neuen Mahlerey ohnge- fehr ein Alter hat, ſpaͤther, als dieſe, zur Vollkom- menheit gekommen iſt. Man kann den Anfang der wahren Mahlerey unter den Neuern nicht weit uͤber den Leouhardo da Vinci hinausſezen; und beynahe eben ſo alt iſt das Kupferſtechen. Aber ſchon lange hatte die Mahlerey einen Titian gehabt, ehe die Ku- [Spaltenumbruch]
Kup
pferſtecherkunſt ihre Hoͤhe erreichte, auf die ſie im vorigen Jahrhundert gekommen iſt.
Wir muͤſſen aber auch ihren Nuzen betrachten. Die Vortheile, welche die Wiſſenſchaften, beſonders die Naturgeſchicht und die Mechanik aus dem Ku- pferſtechen ziehen, muͤſſen wir hier uͤbergehen, ob ſie gleich allein hinlaͤnglich waͤren, es ſchaͤzbar zu machen. Wir wollen blos von den Werken des Geſchmaks reden, die daher ruͤhren. Alles was die zeichnenden Kuͤnſte hervorbringen, kann die Kupfer- ſtecherkunſt im Kleinen nachahmen, und ohne großen Aufwand jedem Liebhaber der ſchoͤnen Kuͤnſte zum Genuß uͤberlaſſen. Die Werke der Baukunſt, der Bildhauerey, des Steinſchneiders und des Mahlers, die das groͤßte Aufſehen in der Welt machen, koͤn- nen wir durch Huͤlfe der Kupferſtecherkunſt in unſere Cabinette ſammlen. Freylich geht vielen dieſer Werke dadurch, daß ſie ins Kleine gezogen worden, etwas von ihrer Kraft ab. Wenn man aber da- gegen bedenket, mit was fuͤr Gemaͤchlichkeit, und mit wie wenig Koſten man die herrlichſten Werke der Kunſt durch die Wohlthat des Kupferſtechens haben koͤnne, ſo erkennet man den vorzuͤglichen Werth dieſer Kunſt. Nur durch ſie kommen die betraͤchtlichſten Werke der großen Mahler, deren Originale in den Pallaͤſten der Großen verſchloſ- ſen ſind, in die Wohnungen der Buͤrger. Alſo erleichtert die Kupferſtecherkunſt ihren verwandten Kuͤnſten, die Nuzbarkeit, die von ihnen zu erwar- ten ſteht.
Hiernaͤchſt wird dem zeichnenden Kuͤnſtler ſelbſt das Studium der Kunſt durch die Kupferſtiche un- gemein erleichtert. Der Baumeiſter hat nicht noͤ- thig in der Welt herumzureiſen, um die beſten Werke der alten und neuen Baukunſt zu ſehen. Der Kupferſtecher liefert ſie ihm in ſein Cabinet, wo er mit der groͤßten Gemaͤchlichkeit alles betrachten, ausmeſſen und uͤberſehen kann. Eben dieſen Vor- theil kann auch der Mahler in Abſicht auf den groͤß- ten Theil ſeiner Kunſt, aus den Kupferſtichen ziehen.
Die Erfindung dieſer ſchaͤzbaren Kunſt iſt nicht gar alt, und doch mit Dunkelheit umgeben. Die Jtaliaͤner, die, wie ehemals die Griechen, ſich gern alle neuen Erfindungen in den ſchoͤnen Kuͤnſten zu- eigneten, geben einen florentiniſchen Goldſchmidt Maſo Finiguerra fuͤr den Erfinder derſelben aus, und ſezen die Epoche der Erfindung um das Jahr 1460. Aber mit weit mehr Wahrſcheinlichkeit ei-
gnen
(*) S. Mahlerey.
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[638/0073]
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bens, kann ſie ſo gut, als die Mahlerey ſelbſt
ausdruken. Was wir alſo zum Lobe dieſer Kunſt
geſagt haben, (*) kann groͤßtentheils auch auf die
Kunſt des Kupferſtechens angewendet werden. Die
Vortheile, welche die Farben dem Mahler geben,
werden bey dem Kupferſtecher durch einen andern
Vortheil, den er uͤber den Mahler hat, wo nicht
uͤberwogen, doch gewiß erſetzet. Denn er kann
ſein Werk mit großer Leichtigkeit viel hundertmale
vermehren, und ohne große Muͤh uͤberall ausbreiten.
Aber ohne uns laͤnger bey der Vergleichung der
beyden verwandelten Kuͤnſte zu verweilen, wollen
wir anmerken, daß das Kupferſtechen ſowol von
Seite der dazu noͤthigen Talente, als von der Seite
des Nutzens und der Annehmlichkeiten betrachtet,
eine wichtige Kunſt iſt, durch deren Erfindung die
neuere Welt einen großen Vorzug uͤber die Alten hat.
Von einigen dem Kupferſtecher noͤthigen Talen-
ten iſt im vorhergehenden Artikel geſprochen wor-
den. Hier wollen wir nur noch dieſes anmerken,
daß die Kupferſtecherkunſt in ihrer eigenen Art zu
zeichnen, Licht und Schatten, Haltung, Harmonie
und den natuͤrlichen Charakter der Dinge herauszu-
bringen, vielleicht mehr Genie und Kunſt erfodert
hat, als das Mahlen. Man kann nicht ohne Be-
wunderung ſehen, daß durch ſchwarze Striche auf
einem hellen Grund ſo mannigfaltige Geſtallten
der Dinge koͤnnen dargeſtellt werden. Die glaͤnzende
Politur des Metalles, die Durchſichtigkeit und den
Schimmer des Glaſes, das Glatte und dabey doch
weiche Weſen des Nakenden am menſchlichen Koͤr-
per; die Mannigfaltigkeit der verſchiedenen ſeide-
nen und wollenen Gewaͤnder; Luft, Wolken, Ge-
waͤſſer, Erde; alle Gattungen der Thiere und Baͤu-
me, jedes in ſeinem wahren Charakter, und doch
ohne Farbe! Wer dieſes bedenket, und ſich die Muͤhe
geben will, aus den Werken aͤlterer und neuerer
Meiſter die Kunſtgriffe herauszuſuchen, wodurch ſo
gar vielerley Wuͤrkungen erreicht werden, dem wird
es nicht fremde vorkommen, daß die Kupferſtecher-
kunſt, ob ſie gleich mit der neuen Mahlerey ohnge-
fehr ein Alter hat, ſpaͤther, als dieſe, zur Vollkom-
menheit gekommen iſt. Man kann den Anfang der
wahren Mahlerey unter den Neuern nicht weit uͤber
den Leouhardo da Vinci hinausſezen; und beynahe
eben ſo alt iſt das Kupferſtechen. Aber ſchon lange
hatte die Mahlerey einen Titian gehabt, ehe die Ku-
pferſtecherkunſt ihre Hoͤhe erreichte, auf die ſie im
vorigen Jahrhundert gekommen iſt.
Wir muͤſſen aber auch ihren Nuzen betrachten.
Die Vortheile, welche die Wiſſenſchaften, beſonders
die Naturgeſchicht und die Mechanik aus dem Ku-
pferſtechen ziehen, muͤſſen wir hier uͤbergehen, ob
ſie gleich allein hinlaͤnglich waͤren, es ſchaͤzbar zu
machen. Wir wollen blos von den Werken des
Geſchmaks reden, die daher ruͤhren. Alles was die
zeichnenden Kuͤnſte hervorbringen, kann die Kupfer-
ſtecherkunſt im Kleinen nachahmen, und ohne großen
Aufwand jedem Liebhaber der ſchoͤnen Kuͤnſte zum
Genuß uͤberlaſſen. Die Werke der Baukunſt, der
Bildhauerey, des Steinſchneiders und des Mahlers,
die das groͤßte Aufſehen in der Welt machen, koͤn-
nen wir durch Huͤlfe der Kupferſtecherkunſt in unſere
Cabinette ſammlen. Freylich geht vielen dieſer
Werke dadurch, daß ſie ins Kleine gezogen worden,
etwas von ihrer Kraft ab. Wenn man aber da-
gegen bedenket, mit was fuͤr Gemaͤchlichkeit, und
mit wie wenig Koſten man die herrlichſten Werke
der Kunſt durch die Wohlthat des Kupferſtechens
haben koͤnne, ſo erkennet man den vorzuͤglichen
Werth dieſer Kunſt. Nur durch ſie kommen die
betraͤchtlichſten Werke der großen Mahler, deren
Originale in den Pallaͤſten der Großen verſchloſ-
ſen ſind, in die Wohnungen der Buͤrger. Alſo
erleichtert die Kupferſtecherkunſt ihren verwandten
Kuͤnſten, die Nuzbarkeit, die von ihnen zu erwar-
ten ſteht.
Hiernaͤchſt wird dem zeichnenden Kuͤnſtler ſelbſt
das Studium der Kunſt durch die Kupferſtiche un-
gemein erleichtert. Der Baumeiſter hat nicht noͤ-
thig in der Welt herumzureiſen, um die beſten
Werke der alten und neuen Baukunſt zu ſehen. Der
Kupferſtecher liefert ſie ihm in ſein Cabinet, wo er
mit der groͤßten Gemaͤchlichkeit alles betrachten,
ausmeſſen und uͤberſehen kann. Eben dieſen Vor-
theil kann auch der Mahler in Abſicht auf den groͤß-
ten Theil ſeiner Kunſt, aus den Kupferſtichen ziehen.
Die Erfindung dieſer ſchaͤzbaren Kunſt iſt nicht
gar alt, und doch mit Dunkelheit umgeben. Die
Jtaliaͤner, die, wie ehemals die Griechen, ſich gern
alle neuen Erfindungen in den ſchoͤnen Kuͤnſten zu-
eigneten, geben einen florentiniſchen Goldſchmidt
Maſo Finiguerra fuͤr den Erfinder derſelben aus,
und ſezen die Epoche der Erfindung um das Jahr
1460. Aber mit weit mehr Wahrſcheinlichkeit ei-
gnen
(*) S.
Mahlerey.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/73>, abgerufen am 25.11.2024.
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